Kim Scheider

Der rote Feuerstein


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an. „Ja, ich habe auch so etwas gehört.”

      „Ich beantrage die sofortige Verbannung der Rochusmenschen in die Abgründe!”, rief Vicki aufgebracht. „Die haben doch hier nichts mehr verloren!”

      „Die Auslosung muss für ungültig erklärt werden”, pflichtete ihr der Wehrdackel entrüstet bei. „Wer weiß, ob die nicht da schon ihre Finger im Spiel hatten!”

      Traurig schüttelte Fosite den Kopf. „Glaubt mir, ich bin auch besorgt. Aber für eine Verbannung haben wir nicht genügend Beweise.”

      „Ich glaube euch selbstverständlich jedes Wort”, fügte er hastig hinzu, als er ihre ungläubigen Gesichter sah. „Aber leider reicht die Beweislage nicht aus, um eine Verbannung auszusprechen.”

      „Meine Güte, du bist König! Wenn nicht du, wer soll dann etwas tun können?” Vicki konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte.

      „Es tut mir leid. Wir können vorerst nicht viel tun. Sie würden behaupten, dass wir nur Birgers eventuelle Krönung verhindern wollen. Jeder weiß, dass wir ihnen gegenüber „nicht wohlgesonnen“ sind. Wir können die Rochusmenschen nur unter Beobachtung halten und darauf hoffen, dass sie einen Fehler machen, der eine Verbannung rechtfertigt.”

      „Und du,” wandte er sich an Vicki. „Du musst einfach verdammt gut auf dich aufpassen!”

      Fassungslos starrten die beiden Fosite an und Deak knurrte leise.

      „Ihr kennt den Zauber, der auf unserer Welt liegt. Nur, wenn wir uns an die uralten Gesetze halten, kann Atlantis weiter so bestehen, wie wir es kennen.”

      Doch Vicki hörte ihm schon gar nicht mehr zu. In ihrem hübschen Kopf braute sich bereits ein unerhörter Plan zusammen. Ihr Weg würde sie wieder einmal in die Welt der Menschen führen und dort würde sie sich Hilfe holen, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.

      Das doppelte Tor

      „Meine Güte, ist das dunkel hier!”

      Paul stolperte unsicher den Tunnel entlang, während die kleine Fee voraus flog.

      „Warte, ich leuchte uns ein wenig”, antwortete Vicki und tatsächlich wurden die Sichtverhältnisse gleich besser. Wie ein Irrlicht huschte das rosa Ding in die Dunkelheit und Paul gelang es allmählich, Konturen vor sich auszumachen.

      „Ich denke, du kannst nicht mehr zaubern?”, fragte der Junge argwöhnisch.

      „Das erklär ich dir später. Wir müssen so schnell wie möglich das Tor erreichen. Der Rochusmensch kann jeden Moment wieder zu sich kommen und die Verfolgung aufnehmen.”

      Paul protestierte noch nicht einmal mehr, ob der vielen „Späters”, die er inzwischen zu hören bekommen hatte. Auch ihm war klar, dass jetzt keine Zeit für langwierige Erklärungen blieb. „Kennst du den Weg von diesem Eingang aus zum Tor?”

      „Nein, hier war ich auch noch nicht”, antwortete die Fee. „Aber erstmal werden wir uns ostwärts halten und dann schon bald nach Norden abbiegen.”

      „Das ist schön, ich hoffe nur, dass du irgendeinen Trick kennst, wie du hier unten Osten und Norden erkennst”, meinte Paul zweifelnd.

      Doch Vicki machte sich darüber weniger Gedanken.

      „Wenn ich erstmal an einer Stelle bin, die ich kenne, ist es ein Klacks. Unsere größte Sorge sollte vielmehr sein, dass wir hier nicht in einer Sackgasse landen.”

      Paul fand diese Antwort nicht gerade beruhigend, zumal vom Eingang her polternde Geräusche durch den Tunnel hallten, die seine Befürchtungen noch bestärkten. Offenbar war der Rochusmensch inzwischen erwacht. Vicki bedeutete dem Jungen, ihr möglichst leise zu folgen, doch das war gar nicht so einfach. Der Boden war übersät mit Sand und kleineren Gesteinsbröckchen, so dass jeder seiner Schritte ein leises Knirschen erzeugte. Da er leider nicht wie Vicki über Flügel verfügte, um geräuschlos durch die Gänge zu fliegen, zog er sich kurzerhand die Schuhe aus und schlich dem schwachen Schimmern der Fee um die nächste Ecke hinterher. Jetzt knirschten seine Schritte zwar nicht mehr, dafür zischte er ständig, wenn er versuchte, ein Schreien zu unterdrücken, weil sich ein spitzer Stein schmerzhaft in seine Fußsohlen gebohrt hatte.

      Es dauerte nicht lange und Paul verstand, warum dieser Teil der Bunkeranlagen der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Überall waren eingestürzte Gänge, in denen sie nicht weiter kamen und einen neuen Weg suchen mussten. Die noch erhaltenen Tunnel sahen allerdings auch nicht wesentlich Vertrauen erweckender aus. Moosige Behänge zogen sich an den Wänden entlang, durch die kleine Rinnsale brackigen Wassers zu Boden liefen. Binnen kürzester Zeit waren die Socken des Jungen klatschnass und die Füße kalt wie nach einem langen Winterspaziergang.

      Es war nicht einfach für Paul, die Stille zu ertragen, wo er sich doch so gerne mit den ganzen Fragen an Vicki von seiner Angst und der Kälte abgelenkt hätte. Unheimliche Geräusche drangen aus der Dunkelheit unnatürlich laut an seine Ohren. Zwischendurch konnten sie immer wieder den Rochusmenschen gemein lachen hören, der natürlich unverzüglich ihre Verfolgung aufgenommen hatte und nun ebenfalls das Labyrinth aus Tunneln und Gängen durchforstete.

      „Versteckt euch nur“, lachte er, nur wenige Gänge entfernt. „Ich werde euch schon finden und dann seid ihr dran, das garantiere ich euch!"

      Mit diesem Versprechen im Nacken hastete Paul der Fee hinterher, die gerade in einen neuen Tunnel abbog.

      Das Schlimmste für die beiden war, dass sie den Dämon in der Dunkelheit nicht einmal würden kommen sehen. Ein Ungetüm wie dieses benötigte schließlich kein Licht wie sie, um sich in der Dunkelheit zu orientieren. Die ständige Sorge, er könnte sich plötzlich unbemerkt von hinten auf ihn stürzen, trieb Paul den Angstschweiß aus allen Poren. Als er schon befürchtete, er müsse durchdrehen, erreichten sie eine Treppe, die in die Tiefen des Felsens hinab führte. Vicki deutete nach unten und reckte den Daumen in die Höhe, was Paul zunächst mal positiv bewertete. Nicht so positiv waren die Geräusche, die aus einem Gang zu ihnen drangen, der nicht allzu weit entfernt sein konnte.

      „Ich kriege euch“, hörten sie die bösartige Stimme als nervenden Singsang erneut. „Gleich hab ich euch..."

      Lass den blöden Tunnel über ihm einkrachen, flehte Paul an niemand bestimmten gerichtet, während er Vicki die Treppe hinunter folgte, die einfach kein Ende nehmen wollte. Seine Nerven waren inzwischen zum Zerreißen gespannt. Pauls Befürchtung, sich mittlerweile schon weit unter dem Meeresspiegel zu befinden, wurde durch die immer größer werdenden Rinnsale unterstützt, die mittlerweile noch zahlreicher aus den Wänden drangen. Überall hatten sich Salzkristallbahnen gebildet, die sich wie ein gigantisches Spinnennetz über die Wände zogen und im Licht der Fee gespenstisch leuchteten.

      Die Vorstellung, dass sich über ihm meterhohes Felsgestein und womöglich sogar schon die Wassermassen der Nordsee befinden könnten, die nach wie vor nicht nur latent vorhandene Panik vor dem Rochusmenschen, die Tatsache, dass Vicki plötzlich, trotz ihres eigenen Schweigegebotes, laut fluchte und die Ursache für den Fluch, all das zusammen bewirkte wohl, dass Paul einen unglaublichen Urschrei von sich gab, in dem sich all seine Ängste widerspiegelte.

      Solche Geschichten zu lesen, in Ordnung.

      Anschließend, mit einem leichten Prickeln im Nacken, im Dunkeln zum Klo zu gehen und fast einen Herzstillstand zu kriegen, wenn die Katze einem plötzlich um die Beine streicht, auch in Ordnung.

      Aber das alles hier wirklich zu erleben, eindeutig nicht in Ordnung!

      Paul stand da wie angewurzelt und lauschte dem Hall seines Schreis nach. Im selben Moment, als er verklungen war, wurde ihm bewusst, was Vicki ihm auch sofort unter die Nase rieb.

      „Ging’s nicht noch ein bisschen lauter? Den Brüller dürfte unser Freund da oben wohl kaum überhört haben”, zischte sie ihn verärgert an. Paul wollte sich entschuldigen, aber er brachte nur ein undeutliches Gekrächze zustande.

      Doch das kleine Fabelwesen