K. Ostler

Die Mensch-Erklärungsformel (Teil 3)


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      Ein weiterer Punkt, in der Kategorie Selbstschutz anzusiedeln, ist das Funktionieren, im Sinne, den Erwartungen der Umwelt und ebenso des selbst aufgebauten Außenbildes zu genügen, das sich über eine das normale Maß hinausgehende Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft, sowohl den beruflichen wie ehrenamtlichen Bereich betreffend, zeigt. Der Mann kann – außer bei der Partnerin – nicht „Nein“ sagen, da mit einem „Nein“ ein möglicher Entzug an Anerkennung und Bestätigung verbunden wäre, das Außen- wie Selbstbild ins Wanken bringen und folglich gefährden würde. Das identitätsgemäße Pseudogleichgewicht und die damit verknüpfte, selbstredend nur relativ zerbrechliche, Sicherheit und Stabilität wären bedroht.

      Das vornehmlich in der Beziehung gegenwärtige dominante, eigensinnige und starre Verhalten, gepaart mit Ungeduld, hat ein kompensatorisches Wesen, indem anhand dieser Verhaltensweisen versucht wird, die tief verwurzelte psychische Schwäche in (vermeintliche) Stärke umzumünzen. Die erfahrene Ohnmacht (Demütigung, Entwertung) und das daraus erwachsene Minderwertigkeitsgefühl sollen durch ein Machtgehabe ausgeglichen werden, um darüber Bestätigung und letztlich Selbstwert generieren zu können.

      Das soziale Engagement ist hier gleichfalls einzuordnen, einerseits die Einbettung in eine Gemeinschaft (Akzeptanz und eine gewisse, aber im Endeffekt „distanzierte“ Nähe) und der helfende Charakter (Bestätigung, Anerkennung), und auf der anderen Seite die dominante Facette des Einsatzes, weil der Mann bei den ehrenamtlichen Tätigkeiten die bestimmende und vorgebende Rolle einnimmt (er ist der Hilfeleistende, der aus der Position der Stärke anderen Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, hilft).

      Die häufigen Stimmungsschwankungen dokumentieren eine Unausgeglichenheit, zumal das psychische Defizit ständig innerlich arbeitet, ergo buchstäblich ruhelos ist, und erschüttert auf diese Weise das identitätsgemäße Pseudogleichgewicht (hohe Labilität).

      Sich prinzipiell nicht rechtfertigen zu wollen, mutmaßlich Unangenehmen von vornherein aus dem Weg zu gehen oder sofortiges Abblocken von kritischen Fragen bzw. Gesprächen, um derart sich nicht mit den eigenen Problemen (und der psychischen Problematik) auseinandersetzen zu müssen, also in der Konsequenz eine Aufrechterhaltung der scheinbar Sicherheit erzeugenden Verdrängung, und sich die Dinge schönzureden (Rationalisierung) nach dem Motto „ich weiß, was ich mache und was mir gut tut und werde daran nichts ändern“ (die psychosomatischen Beschwerden, die berufliche und freizeitgemäße Überbeanspruchung ohne notwendige Pausen, die dauernde Müdigkeit und Abgespanntheit), all diese Gebaren sind Zeichen eines präventiven Abwehrverhaltens (Stichwort: Vermeidungsstrategie). Der Mann muss sich permanent um seine fragile psychische Lage sorgen und zieht deshalb intuitiv (die Betonung liegt auf unbewusst) eine Verteidigungsmauer, die potenzielle Angriffe von außen (dazu dient auch das fassadäre, auf Schein errichtete Außenbild) und von innen (um das Aufbrechen der Verdrängung zu verhindern) abwenden soll.

      In diesem Kontext passen auch die Nörgelei/Mäkelei und das Kritisieren des Mannes um des Kritisieren willens, also den Partner ohne ersichtlichen Grund in eine defensive, sich zu rechtfertigende Position zu bringen, mit dem Hintergrund, von der eigenen Situation abzulenken, ihn zu schwächen bzw. abzuwerten, und damit automatisch sich selbst zu stärken bzw. aufzuwerten (Gegenpol zum Minderwertigkeitsgefühl). Folgendermaßen, wieder in Form einer proaktiven Verteidigung, soll ein mögliches Risiko für die instabile psychische Verfassung ausgeschaltet werden (buchstäblich: den Spieß umdrehen und der Gegenseite den Wind aus den Segeln nehmen).

      Diese Punkte beinhalten zudem eine dominante (Herr der Lage zu sein) und eine narzisstische Komponente.

      Noch zwei typische Symptome respektive Charakteristika für Menschen mit erheblicher Bindungsangst und Angst vor Nähe sind bei dem Mann zu erkennen.

      Erstens die Neigung, Streit zu entfachen und dadurch Disharmonie zu verursachen (ebenso keine gemeinsamen Pläne zu verfolgen und den eigenen Weg, der gegangen wird, herauszustellen), um dergestalt eine Distanz zu schaffen, die, sobald die Nähe zu intensiv wurde, wieder ausreichend Schutzraum bietet. Wenn sich erneut zu viel Nähe aufgebaut hat, beginnt das „Spiel“ aus Anziehung und Abstoßung von neuem.

      Die psychosomatischen Beschwerden (Herzrasen, Beklemmungen, etc.), die besonders bei Beziehungen mit großer Emotionalität und demnach Nähe auftreten, sind – gerade die Atemnot und die zugeschnürte Kehle – ein Ausdruck starker Angst und gleichzeitig Gegenwehr (um die mit der Nähe verbundene Gefahr für den Betroffenen zu signalisieren; der Körper wehrt sich förmlich gegen die Nähe) wie ein klassisches Sinnbild für die empfundene Enge und Unfreiheit (kein Raum/Platz zum Atmen), obwohl die – und dies das Paradox – psychische Problematik letztendlich den Menschen unfrei macht, da sein Handeln infolgedessen merklich gesteuert und determiniert ist.

      Sobald die Nähe aufgelöst ist, weil die Beziehung beendet ist, geht diese Art von Schmerzen wieder weg, allerdings nicht die latenten körperlichen Leiden (u. a. anfälliges Immunsystem).

      Interessant ist das Phänomen, dass am Anfang der Beziehung (Phase der Anfangsverliebtheit) die Bindungsangst und die Angst vor (zu viel) Nähe keine Rolle gespielt haben, sogar das Gegenteil der Fall war, da, ganz einfach, die Ängste nicht präsent waren. Dieser Umstand ist der temporären Außerkraftsetzung der bedrückenden und belastenden Identitätsproblematik geschuldet (auch weil die Urangst kurzzeitig neutralisiert ist), währenddessen der Betroffene mit Energie geladen ist, und dies sich in einer Leichtigkeit, dem Gefühl schweben zu können, dokumentiert (siehe dazu die Ausführungen in Buch 5 unter dem Kapitel „Was ist Liebe, was Eifersucht?“).

      Noch einige Anmerkungen unabhängig vom geschilderten Beispiel und daher von allgemeingültiger Bedeutung.

      Menschen mit einer Bindungsangst und Angst vor Nähe sind in einem Dilemma mit Teufelskreis-/Wiederholungscharakter gefangen, zumal das – psychische - Bedürfnis nach intensiver Nähe im Widerspruch zur - psychischen – Fähigkeit, intensive Nähe auszuhalten und zu ertragen, diametral steht. Das psychische Bedürfnis beruht auf den generellen, wesensbedingten Vorgaben eines jeden Menschen, die psychische Fähigkeit auf der individuell erwachsenen psychischen Struktur (Versehrtheit oder Unversehrtheit der Psyche, Niveau der psychischen Ausbildung).

      Dieser unauflösbare Widerspruch, in einem mehr oder minder großen psychischen Defizit begründet, geht immer mit einer Palette an Problemen einher, ob psychosomatische Krankheiten, ob unbefriedigende, emotional und kommunikativ oberflächliche Partnerschaften mit vielen Konflikten, ob häufiger Partnerwechsel, ob nur sehr eingeschränkte Genussfähigkeit aufgrund mangelnder Offenheit und Wahrnehmbarkeit, ob ein unausgeglichenes, stimmungsschwankendes Naturell, und, und, und, jedenfalls stets eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität.

      Weswegen ist aber eigentlich die Angst vor abermaliger Verletzung vorhanden, und warum befreit sich der Mensch nicht von der stark limitierenden psychischen Last, hier ausgelöst mittels der Bindungsangst und Angst vor Nähe?

      Vorab, es handelt sich nicht um bewusste Prozesse mit unabhängigen rationalen Entscheidungen, sondern um eine Instrumentalisierung der Ratio durch die Psyche).

      Die unterschwellige Angst vor neuerlicher Verletzung ist gleichbedeutend mit der Angst, dass das aus der psychischen Schädigung entstandene, von entsprechenden Kompensationen gestützte, dennoch äußerst fragile identitätsgemäße Pseudogleichgewicht so ins Wanken gerät (also verunsichert wird), dass die Funktionsfähigkeit bedroht wäre.

      Die Zurückversetzung würde die geschaffene psychische Struktur, vor allem die schützende Verdrängungs- und Rationalisierungsstruktur, aufbrechen und den unterdrückten Schmerz wieder ins Bewusstsein bringen. Der Betroffene wäre so erneut schutz- und hilflos wie in der Kindheit.

      Sich vom psychischen Leid zu befreien (besser: das psychische Leid zu mindern), demzufolge den langen, beschwerlichen Weg der therapeutischen Aufarbeitung zu beschreiten, ist in den meisten Fällen nicht möglich (besonders bei umfangreichen psychischen Schädigungen). Die bestehende psychische Struktur und das daraus entstammende Lebensmodell, gerade auch die unterschwellige Angst vor Ent- bzw. Aufdeckung der existenten Problematik (Aufrechterhaltung der Fassade bzw. des Scheins), kosten viel psychische Kraft, deren Potenzial jedoch schon wegen des Defizits wesentlich limitiert ist.

      Einfach weiter wie bisher zu machen, erfordert