Tessa Koch

Liebe ist tödlich


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Der Kopf des Mannes wird nach hinten geschleudert. Er schlägt mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf.

      „Lügner!“, schreit Leon und tritt den Mann wieder, dieses Mal in den Unterbauch.

      Er keucht auf und hält schützend seine Arme vor seinen Körper, doch er hat keine Chance gegen Leon, seine Kraft und seine unbändige Wut. Wieder tritt Leon zu, trifft dieses Mal den Brustkorb des Mannes. Dann beugt er sich zu ihm hinab, packt ihn an der Jacke, und zerrt ihn auf die Beine. Der Mann hängt halb bewusstlos da, sein Unterkiefer hängt grotesk herab. Seine Augen sind weit aufgerissen und blicken Leon angstvoll und verständnislos zugleich an. Seine Hände hat er in die Seite gestützt, dort, wo Leons Fuß ihn zuletzt getroffen hat.

      Leon nähert sein Gesicht dem des Mannes. „Ich habe gesehen, wie du sie angefasst hast!“

      Noch ehe der Mann etwas erwidern kann, stößt Leon ihn fest von sich. Er stürzt, knallt wieder mit dem Hinterkopf hart auf dem Boden auf. Lela sieht, wie seine Augen sich in die Höhlen drehen und wie sein Kopf benommen von der einen Seite auf die andere fällt. Das Blut strömt sein Gesicht hinab, bildet langsam eine Lache neben seinem Kopf und durchtränkt seine Klamotten. Er sieht halbtot aus. Doch Leon sieht es nicht. Er scheint nur noch Rot zu sehen, wie ein wütender Stier.

      Als Lela realisiert, dass er wieder auf den Mann losgehen, ihn noch mehr zurichten, ihm noch mehr Schmerz beibringen will, erwacht sie endlich aus der Starre, in die sie gefallen ist. Trotz der Schmerzen, die durch ihre Hände fahren, stemmt sie sich hoch und beeilt sich, wieder auf die Beine zu kommen. Sie muss ihn aufhalten. Denn wenn sie es nicht kann, dann kann es niemand. „Leon!“, ruft sie. Er scheint sie nicht zu hören. „Leon, nicht!“ Sie packt ihn am Oberarm und Schmerz fährt durch ihre Hände.

      Er bleibt stehen und dreht sich langsam zu ihr um. Der Ausdruck in seinen Augen lässt sie ein Stück vor ihm zurückweichen. Das ist nicht der Leon, den sie kennt. Das ist nicht der Leon, den sie liebt. Nein, das ist ein Monster.

      Es scheint etwas zu dauern, ehe Leon sie erkennt. Solange blickt er sie an, mit diesen leeren, beinahe toten Augen, die ihr kalte Schauer den Rücken hinab jagen. Doch dann schüttelt er mit einem Mal schnell den Kopf und der Ausdruck ist verschwunden. Er dreht sich zu dem Mann um, der leise stöhnend da liegt, und blickt dann wieder zu Lela. Kurz glaubt sie, dass er etwas zu ihr sagen möchte. Doch dann fasst er sie unerwartet kräftig bei den Handgelenken und dreht ihre Handflächen schmerzhaft nach oben, um sie sich zu besehen. Kleinere Scherben stecken in ihrem Fleisch und Blut rinnt ihre Handgelenke hinab. Doch im Grunde sieht es schlimmer aus als es ist. Es ist fast nichts im Vergleich zu dem Mann.

      Es ist fast nichts im Vergleich zu ihrem plötzlich versteinerten Herzen.

      Der Beamte sieht zu, wie der Arzt die Scherben aus Lelas Händen zieht, die Wunden desinfiziert und dann zu Nadel und Faden greift, um einen der Schnitte zu vernähen. Lela sieht im ausdruckslos dabei zu und Leon hat einen seiner Arme fest um ihre Schultern geschlungen, als wolle er sie nie wieder gehen lassen. Nie wieder.

      „Sie sagen also, dass er sie belästigt hat?“, hakt der Beamte noch einmal nach.

      „Ja.“ Leon nickt. „Dabei ist ihr die Tüte aus der Hand gefallen. Die Gläser sind zersprungen und dann ist sie gestürzt.“ Mit einem Mal spannen sich seine Muskeln wieder an. Bei der bloßen Erinnerung wird er wieder wütend.

      „Nun“, setzt der Polizist an, „Herr Wegers hat behauptet, dass die Tüte der Dame …“ Er deutet auf Lela, die sich teilnahmslos verarzten lässt „… gerissen ist, sie dann über die Einkäufe stolperte und hinfiel. Er wollte ihr nur aufhelfen. Zumindest glaube ich, dass er das gesagt hat. Sie haben ihn übel zugerichtet, Herr Berger.“

      „Weil er gelogen hat“, antwortet Leon knapp, die Lippen fest aufeinander gepresst. „Ich weiß, was ich gesehen habe! Ich prügel nicht einfach so auf fremde Männer ein, nur weil sie meiner Freundin helfen wollten! Er ist an alldem hier …“ Er deutet auf Lelas Hände „… überhaupt erst Schuld, verdammt nochmal!“

      Der Polizist nickt. „Frau Foster.“ Lela sieht leicht abwesend zu ihm auf. Es scheint beinahe so, als nehme sie ihn nun zum ersten Mal richtig wahr. „Können Sie mir vielleicht erzählen, was geschehen ist? Hat Herr Wegers sie belästigt?“

      „Wer?“ Lela ist benommen und erschöpft.

      „ Der Mann, der von ihrem Freund zusammengeschlagen worden ist.“

      Lelas Blick huscht zu Leon, der sie aufmerksam mustert. „Wieso wollen Sie das wissen?“

      „Naja.“ Der Beamte kratzt sich an der Nase. „Wenn die Geschichte, die mir Ihr Freund soeben erzählt hat, stimmt und Sie von Herrn Wegers tatsächlich belästigt worden sind, dann wirkt sich das positiv auf die Anzeige gegen Herrn Berger aus. Immerhin hat er dann in Notwehr gehandelt, um Sie zu beschützen. Vielleicht hat er es etwas übertrieben“, fügt er leicht spitz hinzu, „doch es wird sich immer noch mildernd für ihn auswirken. Doch sollte Herr Wegers Sie nicht belästigt haben, so kann dies eine Gefängnisstrafe für Ihren Freund bedeuten. Deswegen ist es wichtig, dass Sie mir jetzt sagen – und zwar die Wahrheit –, was geschehen ist.“

      Lelas Blick wird leer, als sie an den freundlichen Ausdruck in den Augen des Mannes denkt, als er ihr aufhelfen wollte. Er hat ihr nichts Böses gewollt. Er hat ihr helfen wollen, weil die verdammte Tüte unter der Last gerissen und sie unglücklich gestürzt ist. Und nun liegt er auf einem der Zimmer dieses Krankenhauses, um seinen gebrochenen Kiefer heilen zu lassen, der sofort gerichtet worden ist, sobald sie eingetroffen sind. Außerdem hat er mehrere Prellungen und eine Gehirnerschütterung. Und trotz alledem auch noch die Kraft, um gegen Leon auszusagen.

      Lela hingegen hat fast zwei Stunden warten müssen, ehe sie behandelt worden ist, da heute die <<Hölle>> im Krankenhaus los sei, wie der Arzt, der sie nun behandelt, ihr erklärt hat. Leon hat sich dennoch beschwert, weil sie so lange hat warten müssen. Doch nun wird sie ja behandelt. Während sie dasitzt und vor sich hin starrt, vernäht er ihre Hand, in stiller Neugier an dem Gespräch zwischen Lela, Leon und dem Polizisten beteiligt.

      Diese freundlichen, ehrlichen Augen wollen ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn gehen. Sie sieht wieder zu dem Beamten auf. „Ich wollte nicht, dass er mich anfasst“, sagt sie dann und wieder wird ihr Blick leer. „Ich habe mich fast zu Tode erschrocken. Und als ich dann herum fahren wollte, ist diese verdammte Tüte gerissen. Er hat mich losgelassen und als ich los laufen wollte, bin ich ausgerutscht und in die Scherben gefallen. Dann hat er mich einfach wieder angefasst.“ Tränen steigen in ihren Augen auf.

      „Also hat er sie belästigt?“

      Das Bild der freundlichen Augen verblasst langsam. „Ja, hat er.“

      „Würden Sie das auch unter Eid aussagen?“

      „Natürlich.“

      Der Beamte nickt. Er ist sich sicher, dass Lela die Wahrheit sagt. Der Blick aus diesen entsetzten braunen Augen kann nicht lügen, dass spürt er. Diese Frau hat einen schrecklichen Abend hinter sich. Einen sehr schrecklichen. Sie würde nicht lügen. Niemals.

      Doch genau das hat Lela getan.

      Kapitel 10

      Seit Tagen hat sie Leon nicht mehr gesehen.

      Seit sie ihre Aussage zu seinen Gunsten bei der Polizei gemacht hat. Ja, der Mann hat sie belästigt. Ja, Leon wollte ihr nur helfen. Nein, sie sagt das nicht, um ihren Lebensgefährten zu schützen. Ja, sie würde dies sogar unter Eid bestätigen. Nein, sie braucht niemanden, der sie nach Hause fährt. Ja, für weitere Nachfragen ist sie jederzeit offen.

      An dem Tag hat sie Leon das letzte Mal in die Augen gesehen. An dem Tag, an dem sie einen unschuldigen Mann bezichtigt hat, sie sexuell belästigt zu haben, nur um ihren Freund zu schützen, ihre große Liebe, ihren ach so perfekten Traumprinzen. An dem Tag hat sie sich das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht mit ihm befunden. Im Grunde ist Lela über diese Tatsache nicht einmal bestürzt.