Tessa Koch

Liebe ist tödlich


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einer kahlen Wand. Natürlich sind ihre Hände gefesselt und die Frau selbst geknebelt. Auf ihrer hellen, nackten Haut heben sich die Blutergüsse, die teilweise noch blutenden Schnitte und die Brandwunden, die von Zigaretten stammen könnten, deutlich ab. Am Surrealsten erscheint Lela jedoch die Tatsache, dass die Frau rote High Heels trägt. Ansonsten ist sie nackt und mit Blessuren übersät. Die roten High Heels stechen wie ein makaberes und vollkommen fehl am Platz zu seiendes Detail hervor.

      Auf dem nächsten Bild liegt die Frau gefesselt auf einem Bett, Lela sieht den Blutrinnsal, der ihre Oberschenkel hinab läuft. Ihr fällt ebenfalls auf, dass im Vergleich zu dem vorherigen Bild weitere Blutergüsse und Wunden den Körper der Frau bedecken. Obwohl Tränen ihre Wangen hinab laufen, die in dem festgehaltenen Moment wie gefrorene Kristalle wirken, ist ihr Blick leer. Beinahe tot. Hoffnungslos.

      Das darauf folgende Bild ist eine Nahaufnahme von ihrem Gesicht. Die Augäpfel sind so stark gerötet, dass man die Farbe der Iriden kaum noch erkennen kann. Tränen überschwemmen das ganze Gesicht und der Blick aus den stark geröteten Augen scheint nichts direkt zu erfassen, so als könne die Frau ohnehin nicht allzu viel erkennen. Es sieht so aus, als seien die Augen verätzt worden.

      Und Lela weiß, dass dies tatsächlich geschehen ist. Sie braucht nicht erst die letzten beiden Bilder zu betrachten, die die Frau leblos am Boden liegend zeigen, die Brust von mehreren Kugeln durchsiebt, das Gesicht durch einen einzigen gezielten Schuss fast vollständig zerstört, um zu wissen, was diese Bilder darstellen, wen sie zeigen.

      Denn sie hat es vom allerersten Moment an verstanden. In dem Moment, in dem ihr Frühstück sich katapultartig aus ihrem Magen befördert hat, hat sie begriffen, was dort auf den Bildern zu sehen ist. Dass es nicht einfach nur eine geschmacklose Fotosession ist. Denn sie kennt die Frau.

      Es ist Helen.

      Kapitel 14

      Als Lela die Tür zu ihrer Wohnung aufschließt, den Briefumschlag fest an ihre Brust gepresst, ist ihr Herz versteinert. Sie kann und will nicht verstehen, dass sie in ihrer Hand die Beweise dafür hält, dass Leon, ihr Leon, ihr Traumprinz, eine gute Freundin von ihr gefoltert, vergewaltigt und dann regelrecht hingerichtet hat. Dass er sie getötet hat. Einen Menschen, eine andere Frau, so wie sie auch eine ist, und das einfach so.

      Dasselbe hätte jeder Zeit mit ihr geschehen können. Er hätte sie ebenfalls einfach töten können. Doch stattdessen hat sie sich freiwillig in seine Hände begeben. Sie hat ihn von sich aus geküsst, sie hat mit ihm geschlafen, weil sie es wollte. Sie hat sich einem Entführer, Vergewaltiger und Mörder hingegeben.

      Das alles kann und will sie nicht fassen.

      Sie betritt die leere, stille Wohnung. Stella hat heute bis acht Uhr eine Vorlesung, sie kommt erst gegen zehn Uhr abends heim. Solange ist Lela allein. Mit ihren Gedanken, ihren Gefühlen und den Bildern, die die Folterung und den Mord an Helen Jakobit dokumentieren. Sie weiß, dass sie zur Polizei muss, dass sie dort den Mord an Helen aufklären muss. Doch sie weiß auch, dass sie es alleine nicht kann, dass sie diesen Gang nicht ohne Stella an ihrer Seite schaffen wird.

      Wie ferngesteuert geht sie in ihr Zimmer und legt den Umschlag auf ihr Bett. Dann beginnt sie langsam, ihre Taschen leer zu räumen. Als sie auf das Sammelsurium blickt, das auf ihrem Bett liegt, fällt ihr schnell auf, dass etwas nicht stimmt. Sie sucht ihre Taschen erneut ab, sowohl die ihrer Jacke als auch die ihrer Hose, doch es ist nicht da. Ihr Handy.

      Ein Bild schießt durch ihren Kopf, das sie zeigt, wie sie mit dem Umschlag in den Händen vor Buster kniet und ihn kurz krault, weil sie das Bedürfnis verspürt, das Tier zu berühren und sich zu vergewissern, dass sie nicht träumt, dass dies – so schrecklich es auch sein mag – tatsächlich real ist. Sie sieht, wie ihr Handy, das sie in der vorderen rechten Tasche ihrer Jeans getragen hat, halb aus ebendieser schaut. Als sie aufsteht, fällt es unbemerkt aus ihrer Tasche.

      Lela erstarrt, als ihr bewusst wird, dass es nur so gewesen sein kann. Und dass ihr Handy noch immer in Leons Wohnung liegt. Es wird der deutlichste Beweis für ihren heutigen Besuch sein. Und wenn Leon dann das Fehlen der Fotos bemerkt (und ein einfacher Blick in die Dunkelkammer wird reichen, um dies zu tun), wird er wissen, dass Lela sie genommen hat. Dass sie die Wahrheit über ihn weiß. Und über das, was er getan hat. Was er dann tun wird, um zu verhindern, dass Lela dies einer dritten Person berichten kann, wird sie dann am eigenen Leib erfahren. Es sei denn, sie holt ihr Handy aus der Wohnung. Noch bevor er wieder zurückkommt. Lela wirft einen gehetzten Blick auf ihren Wecker. Es ist Viertel nach fünf, wenn sie sich sofort wieder ins Auto setzt und losfährt, kann sie es schaffen.

      Sie weiß, dass sie keine andere verdammte Wahl hat.

      Ohne über das nachzudenken, was sie tatsächlich zu tun gedenkt, wirbelt sie auf dem Absatz herum und stürmt aus dem Zimmer. Sie schlüpft in ihre Schuhe, schnappt ihre Schlüssel und hetzt dann aus der Wohnung. Sie rennt die Stufen hinunter und auch die paar Meter zu ihrem Auto nimmt sie im Laufschritt. Dann klemmt sie sich hinter das Steuer, lässt mit zitternden Händen den Motor an und legt dann den Rückwärtsgang ein, um auszuparken.

      Mit dem ständigen Blick zu der Uhr in ihrem Auto drückt sie auf den so gut wie leeren Landstraßen das Gaspedal durch. Sie weiß, dass ihr nicht allzu viel Zeit bleiben wird, Leon kann sich bereits auf dem Rückweg befinden. Außerdem dauert die Fahrt nach Hamburg eine gute halbe bis ganze Stunde, je nach dem wie der Verkehr gerade ist. Und sie wird vermutlich genau in den Berufsverkehr geraten.

      Als sie auf die Autobahn abbiegt, ist sie erleichtert, als sie sieht, dass die Fahrbahnen auch hier größtenteils frei sind. Nur mit größter Beherrschung kann sie sich dazu zwingen, die Tempolimits einzuhalten. Am liebsten wäre sie mit konstanten zweihundert Kilometern die Stunde die Straßen entlang gerast, ununterbrochen hupend, um andere Autofahrer von ihrer Spur zu vertreiben. Doch sie weiß, dass sie es sich nun nicht erlauben kann, von der Polizei angehalten zu werden.

      Am liebsten würde sie schreien, als sie die Abfahrt für Hamburg nimmt und sieht, wie verstopft die Stadt ist. Der Feierabendverkehr legt die halbe Stadt lahm, zudem scheinen an der Kreuzung, an der sie gerade ansteht, die Ampeln ausgefallen zu sein. Lela sieht einen Polizeibeamten, der mit angespanntem Gesicht in der Mitte der Kreuzung steht und versucht den Verkehr zu regeln, während mehrere Männer an den Ampeln herum werkeln. Wieder wandert ihr Blick zu der Uhr. Inzwischen ist es kurz vor halb Sieben. Sie hofft, dass sie es noch rechtzeitig schafft. Dass sie Leon entgehen, einfach ihr Handy holen und dann verschwinden kann, ohne jemals wieder zurückkommen zu müssen, ohne jemals wieder Leon begegnen und ihn unter die Augen treten zu müssen. Dass sie ihm einfach würde entfliehen können.

      Doch sie weiß, dass diese Möglichkeit noch ein bloßer Wunsch ist.

      Zuerst muss sie ihrem Verderben entgegen fahren.

      Kapitel 15

      Das Handy liegt mitten im Flur, so als habe es nur auf Lela gewartet. Sie stürmt darauf zu, klaubt es vom Boden und presst es sich dann fest an die Brust, so als sei es das lebensrettende Mittel, das sie gegen eine sonst so tödliche Krankheit benötigt.

      Im Grunde kommt dieser Vergleich der Realität erschreckend nahe.

      Die Erleichterung durchströmt ihren Körper. Sie kann kaum glauben, es noch rechtzeitig geschafft zu haben. Der verdammte Verkehr, die ständigen Rotphasen und das Rasen des Minutenzeigers ihrer Uhr haben sie bereits vermuten lassen, zu spät zu kommen. Es nicht mehr vor Leon in seine Wohnung zu schaffen. Doch nun hat sie es doch geschafft.

      „Lela!“ Das Handy rutscht aus ihren Händen und zerschellt am Boden. Sie wirbelt herum. Leon steht in der offenen Tür und sieht sie an. „Was machst du denn hier?“ Er geht auf sie zu, doch sie weicht vor ihm zurück. Ihr Blut scheint mit einem Mal gefroren. Leon bleibt stehen und mustert sie eingehend, so als versuche er eine Antwort auf ihr plötzlich so (für ihn) merkwürdiges Verhalten zu finden. Er trägt einen Anzug und eine Aktentasche in der rechten Hand. In seinen Haaren hängen einzelne Wassertropfen. Es regnet noch immer.

      Sie