Rainer Holl

Flut über Peenemünde


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Montag, 5. November, 17.30 Uhr

       53 Montag, 5. November, 18.05 Uhr

       54 Montag, 5. November, 18.45 Uhr

       55 Montag, 5. November, 19.15 Uhr

       56 Montag, 5. November, 19.30 Uhr

       57 Montag, 5. November, 21.00 Uhr

       58 Montag, 5. November, 21.30 Uhr

       59 Dienstag, 6. November, 5.50 Uhr

       60 Dienstag, 6. November, 6.30 Uhr

       61 Dienstag, 6. November, 6.40 Uhr

       62 Dienstag, 6. November, 6.40 Uhr

       63 Dienstag, 6. November, 7.05 Uhr

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       Epilog Mai 2013

       Impressum neobooks

      10. März 1970

      KLACK.

      Eine einzige Fingerbewegung am Abzug und die Kugel klatschte gegen die Wand. Schnell nachladen, grob zielen, abdrücken – und wieder blieb im hellgelben Putz eine kleine Mulde zurück.

      Eine kleine Turnhalle verwandelte sich in eine beherrschbare Welt. Nicht einmal seinen Mitstreiter nahm er noch bewusst wahr, vermied es jedoch, in dessen Nähe zu schießen.

      Er glitt in einen Rausch. Tausende Jahre menschlicher Entwicklungsgeschichte verdrängten das, was er in sechzehn Lebensjahren an Denkmustern erworben hatte.

      Plötzlich betrat ein etwa zehnjähriger Junge die Halle.

      Die Schüsse faszinierten ihn, erinnerten an das Pfeifen der Kugeln im Indianerfilm. Er sah sich die Einschusslöcher in den Wänden an, blickte begeistert zu den Schützen.

      Vollkommen unerwartet traf der scharfe Schlag sein Gesicht. Mit der rechten Hand griff er an die Stelle – sie färbte sich rot.

      Ein etwa drei Millimeter breiter Blutfaden rann aus einer Wunde direkt unterhalb des linken Auges langsam nach unten.

      2012 1 Mittwoch, 31. Oktober, 11.00 Uhr

      Er schickt vom Ast neben seinem Horst auf der hundertjährigen Eiche am Waldrand einen prüfenden Blick über die Umgebung. Die scharfen Krallen geben ihm Halt in der schon von den Spuren seiner Vorfahren gezeichneten Rinde. Eine immer noch angenehm wärmende Herbstsonne taucht die vor ihm liegende Schilffläche in gleißendes Licht.

      Mit zweieinhalb Metern Flügelspannweite und einem respektablen Hakenschnabel gilt er als der größte Vogel des Ostseeraums.

      Der Seeadler von Peenemünde erhebt sich mit kraftvollen Flügelschlägen und beginnt den Rundflug über sein Revier. Seit Jahren schon beherrscht er auch den nahen Flugplatz, denn von dort heben anstelle der früheren MiG 23 fast nur noch Kleinflugzeuge ab. Er lässt den Blick hinüberschweifen zu den kleinen Inseln Ruden und Greifswalder Oie. Wie ein Reflektor wirken die hellsandigen Steilufer der großen Nachbarinsel Rügen im Norden. Er fliegt nach Süden zum Deich des Peenestroms.

      Im Takt des ruhigen Segelns im mäßigen Wind schwingen seine Gedanken Jahrhunderte zurück, zu Hochwasser – und zu Revierkämpfen der Menschen.

      Die Fluten kamen immer von Westen, von der Peene, dem schmalen Fluss zwischen der Insel Usedom und dem Festland.

      Nach dem ersten großen Krieg erhielt der Peenestrom endlich einen Deich. Der schützte bald nicht nur Peenemünde vor Hochwasser. An die Stelle kleiner lehmwändiger Fischerhütten des Dorfes traten hohe und großflächige Gebäude aus Ziegel und Beton. Blutgefäßen gleich verbanden Straßen und Schienen die vielen Gebäude, trugen Fahrzeuge, die bis dahin hier niemand kannte.

      Die Vorfahren des Adlers bekamen Konkurrenz vom neuen Flugplatz, die aber zum Glück auf andere Beute aus war.

      Den Flug der ersten Rakete in den Weltraum sahen sie von hier aus nicht mehr, denn solche Höhe überstieg ihre Möglichkeiten bei Weitem.

      Aufmerksam betrachtet er das einzelne Wesen am Ufer des Peenestroms, genau an dem Platz, der ihm gerade erst eine neue Erfahrung über mögliche Beute gebracht hatte.

      Das verwirrt ihn auf ähnliche Weise wie Tage zuvor die vielen Menschen am Rande des Flugplatzes. Im großen Bogen flog er damals über die verdächtige Stelle. Schrille, einige Minuten andauernde unbekannte Geräusche hatten ihn dann erschreckt. Schnell war er zu seinem Horst zurückgekehrt, konnte sich nur langsam wieder beruhigen.

      Deshalb sah er nicht, wie danach ein einzelner Mann, der das Treiben aus einem Versteck beobachtet hatte, den Weg zum Wald in Richtung Ostsee einschlug. Er kannte jeden Meter, denn einst war er hier der Hausherr.

      Zielstrebig marschierte der Mann zum Schilfgürtel an der Ostsee, glaubte sich unentdeckt.

      Unverhofft wurde er eines besseren belehrt, als ihm jemand von hinten ein Tuch auf das Gesicht presste und Sekundenbruchteile später zwei kräftige Arme schraubstockgleich seinen Körper bewegungsunfähig machten. Als ihm dann Schlaufen um die Fußgelenke gelegt wurden, war er schon tot. Sein Mörder zog ihn hinter sich her wie einen Baumstamm, wählte den Weg durch das Schilf ins flache Wasser der Ostsee.

      Am folgenden Tag, dem 4. Oktober 2012, meldete Ingrid Bornhöft ihren Mann Dieter, den früheren Kommandeur des Jagdfliegergeschwaders in Karlshagen, als vermisst. Die sofort eingeleitete Suche blieb eine erfolglose Formsache, denn niemand wusste, wo er zu finden sein könnte.

      2 Mittwoch, 31. Oktober, 11.30 Uhr

      Die