E. K. Busch

Einer von Zweien


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doch ich hatte nicht das Bedürfnis eine persönliche Beziehung zu ihnen einzugehen.

      Marion zuliebe beugte ich mich immerhin ein Stück hinunter und streichelte den Hund etwas unbeholfen. Er zerrte weiter an der Leine und versuchte mir in die Hand zu beißen.

      „Sie will nur ein bisschen knabbern“, erklärte Marion und tätschelte dem Hund den Kopf.

      „Eigentlich ist sie `ne ganz Liebe, nur ein bisschen ungestüm.“

      „Mmm“, bemerkte ich, fand jedoch, dass ich es mir nun erlauben dürfte, meine Hand zurückzuziehen. Zumal der Hund stank. Zudem war er völlig durchnässt und das Fell komplett zerzaust.

      „Gretchen also“, bemerkte ich, weil mir keine andere Bemerkung einfiel: „Ist das nicht etwas unpassend für einen Hund?“

      „Ich mag Goethe“, erklärte Marion und gab dem Hund ein Kopfzeichen, dass es weiterginge mit dem Spaziergang. Und mir ehrlich gesagt gab sie das gleiche Signal.

      Einen Moment zögerte ich noch, denn eigentlich wollte ich doch laufen und nicht gehen, doch da fuhr Marion schon fort: „Welchen Namen hättest du ihr denn gegeben? Bella oder etwas ähnlich Originelles?“, und hatte mich damit in ein Gespräch verstrickt aus dem ich mich nicht so einfach zu befreien wusste.

      „Ich weiß nicht...“, meinte ich schulterzuckend: „Ich habe noch nie über Hundenamen nachgedacht.“

      „Na dann hast du jetzt die Chance, einen schnellen Kopf und einen guten Geschmack unter Beweis zu stellen!“, und sie grinste keck.

      Ich überlegte kurz, dann meinte ich: „Für einen Rüden fände ich Sirius ganz gut. Wie der Hundestern. Und für eine Hündin...“, ich musste einen Moment nachdenken: „Vielleicht Lupina?“

      „Lupina?“

      Sie sah mich zweifelnd an.

      „Wie diese Blume? Die heißt doch Lupinie, oder?“

      „Eher wie Lupus“, erklärte ich zögerlich, um einen belehrenden Ton zu vermeiden.

      „Ich bin eine Niete in Latein, das müsstest du mittlerweile doch wissen“, bemerkte sie leichthin.

      Wir waren da in einem gemeinsamen Kurs.

      „Aber das kommt doch auch bei diesem Spruch von Hobbes vor, oder?“, fragte sie nun.

      Sie ließ sich zurückfallen und hob die Hundeleine über meinen Kopf, weil ich mich sonst in dem Ding verheddert hätte.

      „Homo homini lupus“, meinte ich etwas trocken: „Der Mensch ist“, und sie stimmte strahlend mit ein: „Dem Menschen ein Wolf“, und tauchte damit wieder neben mir auf. Dieses Mal jedoch zu meiner Linken.

      Und während mich die ganze Unterhaltung etwas verwirrte, fuhr sie leichthin fort: „Dabei brauche ich das Latinum fürs Germanistikstudium. – Du brauchst es doch auch fürs Studium, oder? Wobei ich dir sogar ein gewisses Interesse für dieses abartig langweilige Fach zutrauen könnte!“

      Sie lachte und ich hob mehr oder weniger entschuldigend die Arme.

      „Aber weißt du, Konrad, in gewisser Weise passt das alles schon ganz gut zusammen bei dir,“ und sie strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht.

      „Und auf welche Weise?“, fragte ich und befürchtete, dass sie mich gleich - unabsichtlich wohlgemerkt - beleidigen würde.

      „Für dich müssen alle Dinge einen Sinn machen. – Deshalb auch die Hundenamen... Und Fred meint, du wärst in Mathematik noch besser als in Latein und du würdest auch in deinem Zimmer alles ordnen und...“

      Ich strich mir das Wasser aus dem Gesicht und erwiderte etwas aufgebracht: „Ich weiß ja nicht, was Fred dir da so erzählt, aber...“

      „Ist doch nicht schlimm!“, bemerkte sie achselzuckend: „Was stört es mich denn, wenn du seltsame Dinge in deinem Zimmer treibst? Oder wenn dir ein Schulfach Freude bereitet, das mir völlig verhasst ist? – Ich finde das eigentlich nur interessant.“

      „Interessant?“, und ich hob fragend die Augenbraue und wiederholte nüchtern: „Interessant? In dem Sinne wie es die Menschen vor Hundert Jahren auf den Jahrmärkten interessant fanden, irgendwelche Missgeburten zu begaffen?“

      Ich war stehengeblieben, ohne es zu bemerken.

      „Nein“, erwiderte sie völlig gelassen und blieb ebenfalls stehen: „Interessant in dem Sinne, dass die Menschen so unterschiedliche Wesen besitzen wie man es sich nur vorstellen kann und ich neugierig bin.“

      Ich schloss den Reißverschluss meiner Jacke und gab damit das Zeichen unseren Spaziergang fortzusetzen. Ich bemühte mich um einen freundlichen Tonfall als ich sagte: „Was hat Fred dir denn genau erzählt?“

      „Er meinte lediglich“, und sie brach ab, weil sie den Hund an der Leine zu sich ziehen musste, da dieser stehengeblieben war um an einem Baumstumpf zu schnuppern. Als er endlich von dem Stumpf abgelassen hatte, brauchte sie einen Moment, setzte dann erneut an: „Er meinte lediglich, dass du sehr viel ordentlicher wärst als er. Und er scheint da übrigens zu dir aufzublicken.“

      Wir mussten acht geben, einen halbwegs befestigten Weg zwischen den tiefen Pfützen zu finden. Hier hatten die Wildschweine den ganzen Weg durchpflügt.

      Der Weg wurde schmal. Ich lief hinter ihr und sie rief mir zu: „Ich fand das nur in sofern seltsam“, und sie machte einen kleinen Sprung über eine Pfütze, dass der Matsch ihr bis zum Mantelsaum spritzte: „als er ja selbst gar nicht unordentlich ist. - Zumindest nicht besonders. - Und da habe ich ihn gefragt, in welcher Hinsicht du ordentlicher seist, weil ich dachte, dass er sich das ganze vielleicht nur einbilden würde.“

      Als wir das Schlachtfeld der Wildschweine hinter uns gelassen hatten, konnte ich wieder an ihre Seite treten.

      „Fred übertreibt immer, wenn es um mich geht“, erklärte ich und fügte hinzu: „Ich mag Unordnung vielleicht nicht sonderlich, aber so extrem ist es dann...“

      „Wie dem auch sei“, unterbrach sie mich etwas dreist, doch auf eine irgendwie naive Weise: „Ich möchte einfach wissen warum“, unterbrach sie mich.

      „Warum was?“, fragte ich und steckte meine Hände in die Jackentasche meiner Jogging-Jacke.

      „Warum du die Unordnung nicht magst zum Beispiel.“

      Nach einer kurzen Pause erwiderte ich: „Weil die Unordnung den Menschen beherrscht, und der Mensch die Ordnung“, und zuckte mit den Achseln. Sie kicherte und meinte süffisant: „Wie schön du das gesagt hast, Konrad. Aber meinst du wirklich, dass das der Grund ist?“

      „Ich denke doch“, erwiderte ich nüchtern und spürte, dass mir diese Art des sprachlichen Duells gefehlt hatte seit jenem Tag, an dem Doktor Eichinger das Dorf verlassen und gänzlich in die Stadt zurückgekehrt war.

      „Der Mensch schafft Ordnung um sich herum, weil er sich innerhalb dieser Ordnung sicher fühlt“, und ich lächelte leichthin, fügte dann hinzu: „Das Chaos nämlich besitzt eine durchaus beängstigende Komponente. Sie übersteigt den Menschen wie es die Unendlichkeit tut oder der Tod.“

      Ich kickte einen Stein auf dem Weg beiseite. Der Hund blickte neugierig auf, verlor jedoch das Interesse, als er das Ding als Stein erkannte.

      Ich setzte hinzu: „In der Unordnung auf jeden Fall werde ich mich nicht frei fühlen können und mich immer als Opfer empfinden müssen.“

      Ich sah zu ihr hinüber. Sie hörte mir aufmerksam zu und als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie auffordernd.

      Ich schloss: „Es erscheint mir daher nur logisch, dass ich die Welt um mich herum zu ordnen versuche. Nichts anderes ist Wissenschaft. Und im Grunde ist es dabei völlig unerheblich, ob diese Ordnung nun real oder nur imaginärer Natur ist.“

      Sie setzte an, etwas zu entgegnen, hielt dann jedoch inne und lachte.

      Sie meinte: „Du bist ganz schön klug, Konrad. Es ist gar