Robert Kiauka

Wohlstand, Demokratie und weiter?


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zu finden und auszunutzen, so geht es im Markt um das Auffinden und Ausfüllen von Marktlücken. Aus Fressen und Gefressen Werden wird Kaufen und Verkaufen.

      Bei dem Ziel, das ideale Leistungsprinzip zu verwirklichen, stellt sich schnell eine Frage: Welche Leistung ist denn wie viel wert? Es mag sich die Antwort anbieten, dass gerade das eben der Markt regelt. Aber ganz so einfach ist es nicht. Das wird deutlich bei der Frage nach Gerechtigkeit und dem Sinn von Managergehältern, die einige hundert Male so hoch sein können, wie die von einfachen Angestellten des Unternehmens. Kann ein Mensch eine mehrere hundertmal so große Leistung bringen wie andere, durchschnittliche Menschen? Mit Blick auf einen Arzt und Wissenschaftler, der einen Impfstoff entwickelt, durch den Tausende andere gerettet werden, lässt sich diese Frage bestimmt mit Ja beantworten. Mit Blick auf Top-Manager, die ihre Unternehmen gegen die Wand fahren und dabei noch Top-Gehälter beziehen, wird aber auch klar, dass die Belohnung von Leistungen im realen Markt häufig nicht mit dem idealen Leistungsprinzip vereinbar ist. Konkrete Beispiele findet man im Kapitel Banken. Der Wert von Leistungen lässt sich kaum allgemein objektiv genau angeben, sondern ist häufig Ermessens- bzw. Verhandlungssache, wie Tarifverhandlungen zeigen. Die Belohnung von Leistungen hängt letztendlich auch davon ab, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, also vom Zufall. Sinnvoll für eine demokratische Gesellschaft ist es, Regeln aufzustellen, um das ideale Leistungsprinzip unter Berücksichtigung des Gerechtigkeitsempfindens des Volkes möglichst weitgehend zu gewährleisten. Problematisch wird es nun, wenn Menschen und insbesondere Unternehmen irgendwelche Lücken in diesen Regeln oder auch bei ihrer Durchsetzung finden. Dann können die Unternehmen ihren Profit statt zum Nutzen zum Schaden der Gesellschaft steigern. Das ist häufig einfacher als echte Innovation. Dazu ein paar Beispiele:

       Aus der Praxis

      Clean Diesel Ein Paradebeispiel liefert die Manipulation von Abgaswerten durch VW. Während die Fahrzeuge auf der Straße, wie für Dieselmotoren üblich, hohe Mengen an gesundheitsschädlichen Stickoxiden in die Luft bliesen, waren die Werte bei den offiziellen Tests auf dem Rollenprüfstand viel niedriger. Berichtet wurde von bis zu 35-fach erhöhten Werten auf der Straße67. Möglich wurde dies durch die Programmierung der Bordcomputer, die die Testsituation auf der Rolle erkannten und dann die Abgasnachbehandlung einschalteten. Auf der Straße arbeitete diese kaum oder gar nicht. VW beließ es nicht dabei, so die offiziellen Grenzwerte zu erreichen und damit die Zulassungen für seine Dieselautos zu bekommen, sondern bewarb diese auch noch offensiv als jetzt saubere Dieselfahrzeuge. Ungewöhnlich war dann das zwar späte, aber dann doch deutliche Schuldeingeständnis der bewussten Manipulation durch VW. Gerne leugnen Unternehmen ja jede auch noch so offensichtliche Verantwortung, wenn irgendwo Schäden auftreten. Sehr gut zu beobachten war dies z. B. im Falle der Verseuchung des Rio Doce in Brasilien durch giftige Abwässer aufgrund eines Dammbruches einer Eisenerzmine im November 201568. Zunächst suchte der Minenbetreiber Samarco die Gründe für den Dammbruch überall, nur nicht bei sich selber, dann erklärte ein Sprecher des Konzerns BHP, einer der Eigner von Samarco, der Schlamm sei nicht giftig für Menschen und schließlich ließ Vale, der andere Eigner-Konzern, verlauten, die mittlerweile in hohen Konzentrationen gefundenen Schwermetalle stammen von dem Fluss und seien von dem Schlamm nur mitgerissen worden69. Aber kommen wir zurück zum Diesel. Tatsächlich erwiesen sich nicht nur Autos von VW auf der Straße als Dreckschleudern. Frontal 21 hat dazu Ende 2015 mit Wagen verschiedener Hersteller, alles Diesel-PKW der Norm Euro 5, Tests durchgeführt, bei denen die Abgase zunächst auf der Rolle und dann auf der Straße jeweils dem genau gleichen Fahrzyklus NEFZ unterzogen wurden70. Der VW erzeugte auf der Rolle 127 mg Stickoxide pro km und blieb damit unter der Norm von 180 mg/km, auf der Straße waren es nach Abzug von großzügigen Toleranzen immer noch 471 mg/km und damit 3,7-mal so viel wie auf der Rolle und somit weit über der Norm. Auch die anderen, unter den gleichen Bedingungen getesteten Fahrzeuge hielten auf der Rolle alle die Norm ein, auf der Straße verfehlten sie sie deutlich. Beim Mercedes betrug der Faktor dabei 2,7, beim BMW 2,8 und beim Renault 6,6, auf der Straße wurden dabei 1067 mg/km gemessen. Mit diesen Ergebnissen konfrontiert, gaben die anderen Hersteller nicht etwa auch bewusste Manipulation zu, sondern verwiesen auf die auf der Straße anderen Bedingungen, wie andere Luftdruckverhältnisse usw., was nach Meinung von Automobilexperten aber bei Weitem nicht ausreicht, die Unterschiede technisch zu erklären. Es ist, als würde man die zusätzlichen Kilos, die die Waage nach Weihnachten anzeigt, auf die vielleicht seit einer Weile nicht mehr geschnittenen Haare zurückführen. Und nicht genug damit, dass die Manipulation nicht zugegeben wird, Hersteller drohten z. T. sogar mit einstweiligen Verfügungen, um die Veröffentlichung von unangenehmen Messwerten zu unterbinden, wie im Falle der Deutschen Umwelthilfe. Diese hatte bei weiteren Marken gezeigt, dass inoffiziell viel zu viele Stickoxide ausgeblasen wurden. Auch Fahrzeuge der neuesten Norm Euro 6 schließlich wiesen auf der Straße 7-fach erhöhte Werte auf71. Daimler ist mittlerweile auch in den USA aufgefallen, weil dort auf der Straße bis zu 30-fach erhöhte Stickoxid-Werte gemessen wurden72. Die hohen Faktoren 30 und 35 oben erklären sich wohl über das von dem unrealistischen Testzyklus abweichende Fahrverhalten auf der Straße. Wie sinnvoll ist übrigens ein und derselbe Test für ganz verschiedene Fahrzeugklassen, die in der Realität ganz unterschiedlich gefahren werden?

      Etwas geschickter als VW scheint sich Opel angestellt zu haben. Dort wurde nicht die schlechte Kontrolle, sondern eine Lücke in der EU-Verordnung ausgenutzt, nämlich die Ausnahme vom Abschaltverbot der Abgasreinigung, um den Motor zu schützen. Die Bedingungen, unter denen die untersuchten Opel-Fahrzeuge demnach sauber fuhren, machten nur einen kleinen Bruchteil der Fahrstrecke unter realistischen Nutzungsbedingen aus73. Es stellen sich hier zwei Fragen. Zum einen: Warum die Manipulationen? Ein in der Motorenentwicklung Beschäftigter sagte dazu anonym, dass technisch die Einhaltung der geforderten Stickoxid-Werte möglich sei, was aber mit höheren Kosten verbunden sei, was man vermeiden wollte. Tatsächlich gab es genau das gleiche Problem schon vor gut einem Dutzend Jahren mit Lkw’s. Die stoßen mittlerweile, wenn nicht geschummelt wird, viel weniger Stickoxide aus und sind jetzt sogar sauberer als Diesel-PKW. Dafür müssen LKW neben Diesel regelmäßig einen AdBlue genannten Zusatz, der i. W. Harnstoff enthält, tanken, der Verbrauch davon beträgt rund 5 bis 7 Prozent des Dieselverbrauches. Bei PKW liegt der AdBlue-Verbrauch bei nur etwa 1 %. Das senkt die Kosten und der Kunde bekommt davon gar nichts mit, wenn der Zusatz nur in den Wartungsintervallen nachgefüllt werden muss74. Die zweite Frage ist, wie bzw. ob derartige Diskrepanzen so lange von den Volksvertretern, die mit den Grenzwerten die Gesundheit der Menschen schützen wollten, unbemerkt bleiben konnten. Wir kommen dazu im nächsten Kapitel. Bleiben wir zunächst bei VW, hier zeigen sich noch einige weitere Lücken im System: VW stellte rund 16 Milliarden Euro für Schadenersatz zurück und stand mit dem Rücken zur Wand. Ein beträchtlicher Teil des Schadens ist auch auf das eben sehr späte Schuldeingeständnis zurückzuführen75, weswegen jetzt sogar Anklagen gegen ehemalige Führungskräfte drohen76. Und auch früher muss es ja Verantwortliche in der Führungsebene gegeben haben, allen voran der ehemalig VW-Chef Martin Winterkorn. Sei es, dass diese wussten, was passierte oder sei es, dass diese die Manipulationen durch einen Führungsstil, der kein Versagen auch bei unrealistisch hohen Anforderungen duldete, indirekt heraufbeschworen. Aber davon, dass jemand von seinen Millionen-Gehältern etwas wieder zurückgeben soll, ist nicht die Rede, selbst 2016 wurden noch nicht einmal die Boni gestrichen, sondern nur Teile davon zurückgestellt77. Das Problem scheint das gleiche zu sein, wie bei den Banken. Mittlerweile klagen Staatsfonds gegen VW, um die durch die fehlerhafte Informationspolitik der Führung von VW erlittenen Aktienkursverluste wieder zu bekommen78. Wirklich sinnvoll könnte so eine Klage bei konsequenten Gesetzen eigentlich nicht sein, denn Aktienhalter von VW klagen auf diese Weise gegen sich selber, von den Kursverlusten sind ja alle Aktionäre betroffen. Sinnvoll wäre dagegen eine Klage gegen die Verantwortlichen, aber tatsächlich wurde der Vorstand auch 2016 wieder entlastet. Wobei dieses allerdings nichts anderes bedeutet, als dass dem Vorstand das Vertrauen ausgesprochen wird. Eine etwaige Haftung leitet sich aus einer Nicht-Entlastung nicht ab79.

      Noch einmal zu den LKW’s. Auch unter diesen gibt es noch Dreckschleudern auf deutschen Straßen. Möglich wird das durch Emulatoren, die dem Motor nur vortäuschen, dass AdBlue zugeführt wird. Entwickelt wurden sie für den Einsatz da, wo AdBlue nicht erhältlich