Robert Kiauka

Wohlstand, Demokratie und weiter?


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Soldaten strikte Auflagen erteilt, z. B. darf Leitungswasser nicht mehr zum Zähne-Putzen benutzt werden. Landwirte aus Kampanien, eine der fruchtbarsten Regionen Europas, haben Probleme, ihre Produkte zu verkaufen, der Großhandel will sie nicht mehr. Nach der billigen Entsorgung bietet sich damit wohl als neues Geschäftsmodell für Mafiosi eine Umdeklaration von Lebensmitteln an, um sie abzusetzen93.

      Von der Anlieferung deutschen Sondermülls wurde auch berichtet, aber der gewichtigere Beitrag Deutschland zum Geschäftsmodell der Mafia insgesamt ist die Funktion als Geldwäscheparadies94. In Deutschland kann mit beliebig hohen Summen an Bargeld bezahlt werden, anders als in den meisten anderen Ländern, insbesondere auch Italien. Ein Unternehmen soll lediglich Bericht erstatten, wenn es meint, Auffälligkeiten bemerkt zu haben, nach eigenem Ermessen. Natürlich kommt das extrem selten vor, da ein Unternehmen sich selber schadet, wenn es zu häufig Meldung macht, wer will schon seine Kunden vergraulen95.

      Ölwechsel Je nach Fahrzeugtyp steht bei einem Auto nach bestimmten Strecken oder Zeitintervallen ein Ölwechsel an. Stattdessen besteht aber im Prinzip auch die Möglichkeit, das Öl nur zu reinigen, statt es aufwendig zu entsorgen und durch neues zu ersetzen. Die sogenannte Öldialyse bietet damit ökologische Vorteile sowie Ersparnis für den Verbraucher. Eine Win-win-Situation? Nicht ganz, denn der Verkauf neuen Öls ist lukrativer und so konnte sich die Öldialyse bislang kaum durchsetzen. Interessenten wurden dazu allerlei Horrorgeschichten über den nahen Tod ihres Autos durch die neue Technik aufgetischt, die sich später als Märchen erwiesen96, aber wer kann das schon in Echtzeit beurteilen?

      Lohndumping Minijobber haben weniger Rechte, z. B. beim Krankengeld oder Anspruch auf Urlaub, so sagt es der Volksmund. Der Jurist und Professor Ralf Höcker hat eigens ein Werk verfasst, um derartigen Irrtümern entgegenzutreten97. Geringfügig Beschäftigte haben genau den gleichen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub wie Festangestellte, heißt es da. Er muss es ja wissen. Was er aber nicht sagt: Verweigert ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer z. B. den Lohn bei Krankheit, so wird das nicht etwa von Amts wegen durch die Behörden verfolgt, sondern der Arbeitnehmer muss die Leistung vor Gericht einklagen, wenn er nicht verzichten will. Und da hat ein Festangestellter natürlich viel bessere Karten, denn er kann in der Folge nicht einfach so entlassen werden wie die Aushilfskraft. Eine Form von Lohndumping. Auch anderweitig haben die Unternehmen Kreativität gezeigt, um die Löhne zu drücken, so bei der Verlagerung von festen Arbeitsverhältnissen hin zu Zeitarbeit, Werksverträgen und Subunternehmern. Mit der Folge, dass die Beschäftigten von einstmals vernünftig bezahlten Tätigkeiten kaum noch leben können. Exzesse sind z. B. bei Paketzustellern bekannt geworden. Auch die Generation Praktikum lässt grüßen. Schon diese lässt erahnen, dass eine hohe Qualifikation nicht unbedingt vor Ausbeutung schützt. Sehr deutlich führen das die Arbeitsverhältnisse von Piloten bei Billigfliegern vor Augen: Teilweise zweifelhafte Ausbildungen bzw. Prüfungen der Piloten, prekäre Arbeitsverhältnisse mit schwachem bis nicht nicht vorhandenen Kündigungsschutz als (Schein-)Selbstständige, Druck, unter (fast) allen Umständen zu arbeiten, also auch im Krankheitsfall, und unzureichende Ruhezeiten führen zu billigen Tickets, vermindern die Flugsicherheit und lassen am Beruf Pilot nicht mehr viel Traumhaftes. Großer Vorreiter dieses Geschäftsmodells ist Ryan Air. Andere Fluggesellschaften folgen mal mehr, mal weniger freiwillig, während Ryan Air es so zum Branchenprimus in Europa geschafft hat98.

      Fairer Handel Angefangen hat es klein mit Eine-Welt-Läden in Deutschland und Frankreich und funktionierte. Mittlerweile gibt es ein kommerzielles Siegel aus Holland für fairen Handel, die Menge der demnach fair gehandelten Produkte ist in die Höhe geschossen, aber „unten“ kommt weniger an, dafür wächst der Profit auf anderen Ebenen99.

       Folgerungen

      Die obige Aufzählung kann natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit haben, insofern sollte sich keine Firma oder Branche übervorteilt fühlen, die jetzt nicht genannt wurde. Die genannten Beispiele legen aber einige Schlüsse nahe:

      1 Eine Lücke im System liegt u. a. immer dann vor, wenn externe Kosten nicht nach dem Verursacherprinzip ausgeglichen werden (vgl. Grenzen des Wachstums?). Da externe Kosten auf sehr vielfältige Arten entstehen können, liegt schon damit nahe, dass es eine Lücke zwischen idealem und realem Leistungsprinzip wohl immer geben wird. Das Ziel einer Gesellschaft muss sein, diese möglichst klein zu machen und zu halten.

      2 Innerhalb von bestehenden Gesetzen am Leistungsprinzip vorbei zu profitieren, ist legal, aber nicht (moralisch) legitim. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Außerhalb der Gesetze fehlende Kontrollen zu nutzen, ist kriminell. Hier ist zunächst die Exekutive gefordert. Die Nicht-Eindeutigkeit bzw. Auslegbarkeit von Gesetzen führt zu einer Grauzone zwischen legalem und kriminellem Handeln. Die Judikative, die für die Auslegung der Gesetze zuständig ist, nutzt ihren Spielraum offensichtlich nicht immer im Sinne des Leistungsprinzips und damit im Sinne des Volkes.

      3 Legislative und Exekutive auf der einen Seite und Lücken suchende Unternehmen auf der anderen Seite führen einen ständigen Wettlauf miteinander. Manchmal strengen sich Teile der Legislative und Exekutive dabei anscheinend nicht sehr an. Dazu kann besonders Korruption beitragen. Aber auch ohne Korruptionsprobleme werden in einer komplexer werdenden Welt Kontrollen schwieriger. So konnte vor 200 Jahren wohl jeder Mensch die Qualität von Lebensmitteln sofort beurteilen, heute kann das ein Lebensmittelchemiker mit einem vollausgerüsteten Labor und genügend Zeit. Mehr mit Hinweisgebern zu arbeiten wäre ein möglicher Ansatz. Zu Zeiten der Wehrpflicht sollten ja auch die Bürger in Uniform das Militär in Deutschland kontrollieren. Bürger in Arbeit sollten somit auch ihre Unternehmen kontrollieren. Mehr Kontrolle von außen ist zudem eine Notwendigkeit in einer komplexer werdenden Welt, die zusätzliche Arbeitsplätze erfordert. Damit ist eine teilweise Kompensation der zukünftig wegfallenden Arbeit durch Automatisierung bzw. Digitalisierung denkbar.

      4 Unternehmen, die eine Lücke im System gefunden haben und diese ausnutzen, üben über den Markt Druck auf die anderen aus, diese Lücke auch zu nutzen. Die Situation lässt sich mit Doping im Sport vergleichen.

      5 Der Wettbewerb um Wachstum übt Druck auf Staaten aus, Lücken im System zu erhalten oder sogar neu zu schaffen, wenn es diese Lücken in anderen Staaten schon gibt.

      6 Die öffentliche Hand führt Aufgaben nicht unbedingt schlechter oder ineffizienter aus als private. Ein Vorteil von Markt und Privatunternehmen ist, dass jemand eine gute Idee über ein (ggf. neues) Unternehmen auch umsetzen kann. Ideen kommen aber in der Regel nicht auf Anforderung. Damit provoziert ein Druck zur Privatisierung eher Nachteile. Denkbar wäre umgekehrt eine Konkurrenz öffentlicher, demokratisch kontrollierter Unternehmen mit Privaten, um echte Innovationen und Leistungssteigerungen aus Sicht der gesamten Gesellschaft zu fördern.

      7 Die Macht des Verbrauchers wird durch Intransparenz effektiv eingeschränkt. Man kann eben schlecht mal kurz nach Mittelamerika, um sich selber ein Bild von den Arbeitsbedingungen rund um die Banane zu machen, die im Supermarkt vor einem liegt. Instanzen, die Transparenz schaffen sollen, können Abhilfe schaffen, aber nicht, wenn sie von denen, die beurteilt werden sollen, bezahlt werden oder sonst wie abhängig sind.

      Der letzte Punkt ist ein Faktor von Marktversagen. Ein weiteres Beispiel dafür, ohne an dieser Stelle auf die Angemessenheit der Benzinpreise grundsätzlich einzugehen: Bekannt ist, dass die Mineralölunternehmen nicht immer einen möglichst günstigen Preis anbieten. Man beobachtet den Konkurrenten und wenn der eigene Preis etwas höher liegen sollte, kann man ja mal schauen. Sollte der Absatz nicht deutlich sinken, hat es sich ausgezahlt. Und umgekehrt zieht der Konkurrent in die andere Richtung nach. Hierher passt auch der eingebaute Verschleiß von Produkten.

      Zum Ende dieses Kapitels noch mal zum Vergleich mit der Natur. Den Markt, auch mit unvollkommenen Regeln, kann man ja als Abbild der Natur ansehen. Da diese sich doch prächtig entwickelt hat, kann man das doch als weiteres Argument für die Überlegenheit der Marktwirtschaft sehen, die sich ja immerhin als deutlich effektiver als Planwirtschaft gezeigt hat, oder? Politische Strömungen, die den Markt als das optimale System sehen, in dem sich alles zum Besten regelt, wenn ihm nur keine überflüssigen Schranken auferlegt werden, gibt es