P.K. Stanfay

Die STERNENKÖNIG - Saga


Скачать книгу

war schon erstaunlich, was die Berserker dem einst so kargen Gebiet jenseits der Mauer im Laufe der Zeiten abgetrotzt hatten.

      Durch die Umleitung einiger Bergquellen und Anlegung vieler Brunnen war eine fruchtbare Landschaft entstanden. Goldgelbe Weizenfelder wurden unterbrochen von blühenden Obst - und Gemüseplantagen und auf den saftigen Wiesen grasten große Schaf -, Rinder - und Pferdeherden. Eine breite, gut befestigte Straße schlängelte sich zwischen zahlreichen kleinen Dörfern vom eisernen Tor bis zur Stadt.

      Reger Verkehr herrschte auf ihr. Zwei - und vierrädrige Holzkarren, gezogen von Ochsen - oder Pferdegespannen, beladen mit Mehl, den verschiedensten Obst - und Gemüsesorten, Wein und noch vielem mehr, rollten Richtung Stadt. Im Gegenzug kamen die Händler und Handwerker aus Berror, um auf den Märkten der Ortschaften ihre Waren feilzubieten. Von den Minen in den Bergen brachten Fuhrwerke Ladungen voller Kohle, Erz und wertvollen Edelmetallen hinunter.

      Die Stadt selber war von einer doppelten Mauer umgeben, wobei die hintere noch ein Stück höher gebaut worden war, um einen eventuell angreifenden Feind von beiden zugleich unter Beschuss nehmen zu können. Getrennt wurden sie zusätzlich noch von einem tiefen, mit Wasser gefüllten Burggraben, der nur über die Zugbrücken der vier Tore, von denen es in jeder Himmelsrichtung eines gab, überschrit-ten werden konnte. Aufgrund dieser schweren Befestigungen trug Berror deshalb auch den Beinamen ‚die Unbezwingbare’. Die vier Torstraßen führten geradewegs ins Zentrum der Stadt zu einem großen, kreisrunden, mit Marmorplatten gepflasterten Platz, in dessen Mitte eine überlebensgroße, ganz aus Gold bestehende Statue stand, die den legendären, vom ganzen Volk verehrten Großhäuptling Belgador darstellte. Das war der Krönungsplatz, jener Ort, an dem jeder neue König der Berserker in einer feierlichen Zeremonie Krone und Zepter entgegennahm.

      Unmittelbar hinter diesem Platz erhob sich der prächtige Königspalast von Berror, wo in seinem privaten Audienzsaal König Ragador dem Bericht des weißen Wolfs lauschte.

      Das ansonsten offene und freundliche Gesicht des stattlichen Mannes, der in der Blüte seines Lebens stand, verdüsterte sich immer mehr und die eigentlich fröhlich leuchtenden braunen Augen hatte er nachdenklich zusammengekniffen.

      „ ... und deshalb kam ich zu dem Entschluss, Euch zu bitten, dieses Menschenkind aufzunehmen“, beendete Kratos seine Ausführungen.

      Eine Weile schwieg Ragador. „Ihr bringt wahrlich keine guten Nachrichten, Herrscher der Großen Grauen Wölfe“, sagte er schließlich. „Aber das erklärt so einiges.“

      Er erhob sich aus seinem Sessel, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schritt langsam auf und ab. „Uns ist die Verdunkelung einer der Monde natürlich auch nicht entgangen“, redete er weiter, „doch keiner wusste, was das bedeuten sollte. Ich wies daher unsere Gelehrten an, jedes Regal in den Bibliotheken zu durchsuchen, um irgendeinen Hinweis auf dieses Ereignis zu finden. Und sie fanden tatsächlich etwas. Eine Schriftrolle aus längst vergangenen Tagen. Und darauf stand etwas sehr Bedrohliches.“

      Er blieb vor Kratos stehen. „Kennt Ihr die uralte Prophezeiung über unsere Welt?“ fragte er ihn.

      Der Wolf sah zu ihm hoch und schüttelte stumm den Kopf.

      „Nun, sinngemäß stand folgendes in dieser Schrift: Wenn sich die drei Monde unserer Welt verdunkelt haben, ist das Geschlecht der STERNENKÖNIGE ausgelöscht und die ABSOLUTE FINSTERNIS wird die Macht übernehmen.“

      „Davon habe ich noch nie gehört“, gestand Kratos.

      „Ich bis vor kurzem auch nicht“, lächelte Ragador kurz, wandte sich dann ab, setzte sich und wurde wieder ernst. „Eines ist jedenfalls nach Eurem Bericht klar. König Capron und Astragol muss großes Unheil widerfahren sein.“ Er rieb nachdenklich sein Kinn.

      „Na ja, ganz so schlimm scheint die Lage doch nicht zu sein, wenn zwei der Monde noch hell sind“, sagte Kratos optimistisch. „Oder hat das nichts zu bedeuten?“

      „Wenn ich dir darauf nur eine Antwort geben könnte“, seufzte Ragador.

      „Vielleicht kann das ja hier etwas erklären“, erklang plötzlich die Stimme von Königin Sarya, der Gemahlin des Berserkerkönigs. Sie hatte sich die ganze Zeit mit ihrem Leibarzt um das Kind gekümmert, ängstlich überwacht von Karra, die jeden Handgriff der beiden aufmerksam verfolgte. Die Königin war, wie alle Frauen ihres Volkes, nicht ganz so groß und graziler gebaut als die Männer, überragte einen Menschen aber immer noch um gut einen Kopf. Jetzt trat sie, das Kind zärtlich im Arm wiegend und natürlich mit Karra im Schlepptau, auf ihren Mann zu.

      „Es ist übrigens ein Junge“, sagte sie. „Ungefähr so alt wie unser Algor. Und das habe ich in seinem Korb gefunden.“ Sie drückte Ragador etwas in die Hand. „Ich glaube, es wird dir bekannt vorkommen.“

      Er betrachtete den Gegenstand und erkannte, das es sich um die Hälfte eines goldenen Amuletts handelte. „Das sieht aus wie ein Teil des Wappens der STERNENKÖNIGE“, murmelte er. „Aber wenn dem so wäre, was sollte das bedeuten?“

      „Es bedeutet nichts anderes, als das Königin Sarya Keldon, den rechtmäßigen Thronfolger von Astragol, auf dem Arm trägt“, hörte man eine Stimme von der Tür des Audienzsaals her sagen.

      Wie auf Kommando drehten sich alle Köpfe zu dem Sprecher.

      Auf den ersten Blick hätte man das kleine, kugelige Männchen für einen aus dem Volk der Buntmützen halten können, denn er war nicht viel größer als Kratos oder Karra. Bei genauerem Hinsehen bemerkte man aber, das ihm die typischen Spitzohren dieser kleinen Kerlchen fehlten. Der weiße Haarkranz, die blauen Äuglein, die verschmitzt über seiner Knollennase hervorblinzelten und die dicken, roten Bäckchen vermittelten den Eindruck eines gutmütigen Opas, der die Genüsse des Lebens zu schätzen wusste und den die Geschicke der Welt herzlich wenig interessierten. Doch wer ihn näher kennen lernen durfte, merkte bald, das das Erstere durchaus zutraf, aber beim Zweiten genau das Gegenteil der Fall war. Gekleidet war er in ein hellgraues Gewand, das sicher bis zum Boden gereicht hätte, wenn sein kugelrunder Bauch es nicht davon abgehalten hätte. Als Gürtel trug er ein zusammengeknotetes Hanfseil, an dem einige Beutelchen befestigt waren. Die rechte Hand hielt einen weißen Stab, an dessen Ende ein faustgroßer, rubinroter Edelstein glitzerte.

      „Magilos!“ rief König Ragador erfreut. „Wo wart ihr denn die ganze Zeit? Ich hatte nach Euch geschickt, doch meine Boten konnten Euch nirgendwo finden.“

      „Mal hier und mal da“, antwortete der kleine Mann ausweichend und kletterte ächzend in einen, wie es schien, eigens für ihn gebau-ten, bequemen Sessel, den einer der Diener eilig bereitgestellt hatte. „In diesen düsteren Zeiten sollte man schon genau Bescheid wissen, was in unserer Welt so vor sich geht.“

      „Also habt Ihr von dem Einfall dieser finsteren Horden und der Belagerung Astragols gehört“, schlussfolgerte Ragador.

      „Belagerung?“ Magilos schüttelte traurig den Kopf. „Astragol ist gefallen und König Capron wurde getötet.“

      Eine bedrückende Stille breitete sich ob dieser schlimmen Nachricht aus.

      „Woher wisst Ihr das?“ fragte Ragador dann.

      „Ich war selber da“, antwortete Magilos einfach.

      „Das müsst Ihr uns genauer erklären.“

      „Nun, als ich bemerkte, das sich der Mond Onar verdunkelt hatte, fiel mir sofort die alte Prophezeiung ein. Also setzte ich mich mit Brod, dem Führer der Aarhuman, der Adlermenschen, in Verbindung. Ich bat ihn, einige seiner Leute auszusenden, die Astragol auskundschaften sollten. Diese berichteten mir vom Fall der Stadt. Um mir ein genaueres Bild der Lage zu machen, begab ich mich selbst dahin.“

      „Und Ihr wurdet nicht erkannt?“ unterbrach ihn Kratos erstaunt.

      Magilos sah ihn irritiert an und sagte dann, etwas unwillig über die Störung: „Ihr müsst wissen, König der Großen Grauen Wölfe, das mir einige Mittel und Wege offen stehen, um mich unbemerkt irgendwo bewegen zu können.“ Er machte eine kleine Pause. „Wo war ich denn stehengeblieben? - Ach ja. - Als ich dort ankam,