Laura Feder

Die Kinder Paxias


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Entladen zu bringen.

      Es kostete sie viel Kraft, sich ihrer Fähigkeit zu besinnen, Schmerzen zu ertragen, wenn es sich bei der Art dieser um etwas handelte, in dem sie kaum Erfahrungen hatte sammeln müssen.

      Wunden konnten ihr nichts anhaben, mit Verletzungen aller Art wusste sie umzugehen.

      Doch dieses hämmernde Pulsieren unter ihrer Schädeldecke, das Stechen hinter ihren Augen, das pochende Rauschen ihres Kiefers, dessen nervenaufreibende Geräusche sie in ihren Ohren wahrzunehmen glaubte, waren etwas, was sie in dieser Intensität nie zuvor erlebt hatte. Es kostete sie große Beherrschung, dem Drang zu widerstehen, ihre Hände gegen den Kopf zu pressen, um einen anderen Schmerz zu spüren als den, den sie erlebte.

      Sie sehnte sich nach Druck. Unendlich viel Druck. Ihre Schädeldecke sollte bersten unter ihren Fingern, sollte Erleichterung bringen vor dieser wütenden Folter.

      Die Nägel ihrer geballten Fäuste bohrten sich in die Haut ihrer Handinnenflächen, erzeugten blutende Abdrücke in den vergeblichen Versuchen, die Qual zu verlagern – die Schmerzboten auf andere Regionen ihres Körpers zu konzentrieren.

      Dieser Kampf ging an den beiden Männern nicht spurlos vorbei. Sie wechselten zunehmend besorgte Blicke. Arn, der sich in keiner Weise mit Heilmethoden auskannte, da in der Geschichte seines Reiches die Lösung auf jedes bekannte Leiden in irgendeiner Art mit Feuer und Hitze zu tun hatte, fühlte sich hilflos in seinem Unwissen und unfähig, Saya beizustehen in ihrem Bestehen auf Abstand.

      Diese hielt sich immer in einiger Entfernung hinter ihnen auf und ließ sich zeitweise absichtlich noch weiter zurückfallen. Arn vermutete, dass dies mit ihrem Schmerzpegel zusammenhing, da dieser sicher dazu beitrug, ihre Reaktionsgeschwindigkeit einzuschränken. Eine Behinderung, die sie mit dem Instinkt der Kriegerin kompensierte.

      Mit Kaeli verhielt es sich ganz anders. Ihr anschmiegsames, vertrauensvolles Wesen veränderte sich auch nicht in der Not. Und es war wenig genug, was er für sie tun konnte.

      Ab und zu, wenn er gerade Kaeli führte und ihr leises Stöhnen vernahm, zog er sie in seine Arme und strich ihr behutsam über den Kopf, bis die Schmerzwelle vorüber war und ihr Beben nachgelassen hatte.

      Doch es war am Ende eben diese Geste, die in Cecil längst verdrängtes Wissen an die Oberfläche beförderte. Er erinnerte sich an den verstorbenen Vater eines Freundes, der chronisch an nervösen Kopfschmerzen gelitten hatte. Kräutermischungen hatten ihm nicht zu helfen vermocht, aber es gab eine Massagetechnik, die die Heilerin angewandt hatte, wenn es unerträglich geworden war.

      Er selbst hatte sie nie angewandt, nur ein paar Mal beobachten können, aber es war einen Versuch wert.

      Kaeli erklärte sich nur zu gern bereit, die Behandlung über sich ergehen zu lassen. Saya beobachtete Cecils Finger genau, die behutsam Punkte ertasteten, an denen der Schmerz sich sammelte, um dann eben dort mit steigendem Druck zu pressen und nach einer bestimmten Zeit abrupt abzulassen.

      Es brauchte einige Wiederholungen, aber es trat eine spürbare Besserung ein, wie Kaeli mit erwachenden Lebensgeistern und sehr erleichtert feststellte, woraufhin Saya und Cecil sich unbehaglich ansahen und zu dem Schluss kamen, dass Saya sich um sich selbst kümmern sollte.

      Genaugenommen entschied Saya dies, die Cecil zwar respektierte und auch als Gefährten akzeptiert hatte, aber dennoch kein Interesse an einer Nähe zeigte, in der sie seine Körperwärme spüren konnte. Erst recht keine Berührung so intim wie diese an Gesicht und Kopf.

      Cecil war ihre Ablehnung offensichtlich recht, auch wenn er selbst nicht auf die Idee gekommen wäre, ihr seinen Dienst zu versagen. Doch er fühlte sich in ihrer zu nahen Gegenwart mindestens ebenso unwohl wie sie sich in der seinen.

      Also war es an Saya allein, die Zonen, die der Massage bedurften, zu finden, was nicht schwer fiel, nachdem sie einmal begriffen hatte, wie sie diese ertastete. Schließlich konnte sie mindestens ebenso gezielt arbeiten wie Cecil.

      Endlich spürte auch sie Linderung, ihre Gedanken klarten sich allmählich wieder, und ihr Körper entspannte sich zunehmend. Im Gegensatz zu Kaeli, wandte sie die Technik auch während der Wanderung an, was nicht besonders bequem, aber äußerst effektiv war. Es dämpfte vor allem die permanenten Schläge ihrer Schritte in ihrem Kopf und löste den inneren Druck ihres Schädels erheblich.

      Diese reduzierte Qual war einfacher zu ertragen, und nun gelang ihr auch ausreichend Konzentration, sich ihrer Fähigkeiten zu besinnen und die Schmerzen in einen anderen Teil ihres Bewusstseins zu verlagern.

      Sie lenkte sich ab, indem sie die vergangenen Tage im Geiste noch einmal durchlief.

      Die Erleichterung als Cassia in Biran liebevoll aufgenommen worden war.

      Sanjo und Gareth hatten sie nicht enttäuscht – es war nicht einmal notwendig gewesen, ihnen ihre Pläne für die beiden Kinder zu erläutern.

      Nachdem das Paar die Geschichte vernommen hatte, waren sie selbst auf die Idee gekommen, Maya und Cedric in die Verantwortung zu nehmen. Sie hatten es nicht ausgesprochen, doch die Tatsache, dass die beiden Paxianer zur Kinderlosigkeit verdammt waren, schwelte unterschwellig im Raum. Sie waren überzeugt, dass die beiden gerne die Elternschaft für die verwaisten Kinder übernehmen würden, und hofften, dass sie ihnen diese bald bringen konnten.

      Dazu hatte Lyle sich sehr gern erboten.

      Der junge Mann hatte sich sofort Cassia angenommen und mit seiner warmherzigen, ruhigen Art Zugang zu ihrem Wesen gefunden.

      Es war unfassbar, wie schnell sie sich ihm erschlossen hatte, aber Saya und Arn waren viel zu froh gewesen, dass sie sich endlich ihrer Trauer ergab, als dass sie sich darüber hatten wundern wollen. Denn mit der Traurigkeit waren auch die nötigen Tränen geflossen, das Begreifen um ihren Verlust und somit die Möglichkeit, ihr tröstend beizustehen.

      Von Lyle hatte sie diesen Trost angenommen, und er war ohne Weiteres bereit gewesen, ihr diesen zu bieten – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wie ein Schatten war er an ihrer Seite geblieben, hatte sich sogar erboten, vorübergehend in das Kinderzimmer der beiden zu ziehen.

      Gareth und seine Gemahlin waren zu Recht voller Stolz auf ihren mitfühlenden Sohn, dem das Schicksal der Kinder so nahegegangen war, dass er es nicht über sich brachte, sich von ihnen zu trennen.

      Arn und Saya hatten guten Gewissens die Kinder zurückgelassen und waren zum Treffpunkt zurückgekehrt, an dem Cecil und Kaeli auf sie gewartet hatten.

      Im Fischerdorf war nach dem Verschwinden Cassias und des Babys alles ruhig geblieben. Cecil hatte nicht eingreifen müssen. Ihm zufolge waren die Bewohner überzeugt, dass die Kinder mit Verwandten gegangen waren. Nach ihrer Bergung war noch alles so chaotisch gewesen, dass niemand dazu gekommen war, Cassia nach ihrer Herkunft und ihren Eltern zu fragen, so dass sie davon ausgegangen waren, dass das Mädchen und ihr kleiner Bruder abgeholt worden waren. Es gab keinen, der gewusst hatte, dass Cassias Eltern unter den Opfern zu finden waren.

      Kaeli dagegen hatte weniger Genugtuung empfunden.

      Ihre Bemühungen waren erfolglos geblieben. Es gab keine Spur Angehöriger ihres Reiches. Wenn sie aus dem Meer hatten fliehen müssen, so waren sie sicher nicht auf dieser Seite Paxias zu finden.

      Ihre Unwissenheit war also unverändert.

      Sie hatte sich darüber etwas bedrückt gezeigt, aber nicht mutlos. Zu sehr glaubte sie an die Stärke ihres Volkes und ihrer Familie.

      Es war früher Nachmittag, als sie die ersten Bäume des Verbotenen Waldes erblickten.

      Eine schmale Landbrücke trennte sie von dem Baummassiv, das unähnlich der anderen Wälder, die Saya auf ihrem Weg bereits gesehen hatte, übergangslos von mit Sand durchzogenen Gräsern zu dunkler moosiger Tiefe wurde und in der Breite keine andere Begrenzung als das Meer kannte.

      Hoch ragten die Baumkronen empor, in überwältigend dichtem Grün der Nadel- und Laubbäume, die seit Anbeginn paxianischen Lebens existierten.

      Zahlreiches Buschwerk zwischen den ersten dicken, mit Kletterpflanzen umrankten Stämmen verwehrte ihnen aus ihrer Entfernung