Daniel Sternberg

Die Insel


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mit Sitzvorrichtungen ausgestattet, und zwar dergestalt, dass die Ausscheidungen des Körpers durch ein Loch im Boden nach unten fielen und sich direkt ins Meer ergossen. Arwin war der einzige, der sich darum sorgte, dass sich Leon auf Magnor einigermassen wohl fühlte, und er versäumte es nie, ihn darum zu bitten, doch endlich zu arbeiten. Eines Abends - es war schon spät - klopfte er an Leons Tür. Nachdem Leon die Tür geöffnet hatte, schaute sich Arwin nach allen Seiten um und reichte ihm hastig ein kleines Bündel.

      "Das ist alles, was ich auftreiben konnte", flüsterte er und liess seinen Blick erneut über die umliegenden Häuser schweifen, "ich sollte das nicht tun, ich weiss selber nicht, warum ich das mache, aber ich ..."

      Er verstummte, senkte den Blick und scharrte mit dem Fuss über den Boden. Leon schlug das Bündel auseinander und entdeckte ein Brot sowie ein paar gepökelte Fischbrocken.

      "Ich danke dir vielmals", sagte er genauso leise, wie Arwin es getan hatte, "ich weiss gar nicht, wie ich dir danken kann!"

      "Komm morgen zur Arbeit, dann bin ich schon zufrieden", entgegnete Arwin, drehte sich um und schlich zu seinem Haus zurück.

      Abgesehen von Arwins Besuchen verbrachte Leon seine Tage allein, sass an der Küste und schaute auf das Meer hinaus. Je mehr Tage verstrichen, ohne dass er ein Schiff entdeckte, desto unruhiger wurde er. Ständig schichtete er das Feuerholz neu auf, um sicherzustellen, dass es auch wirklich brannte, wenn er es brauchte. Er holte zusätzliches Holz aus dem Wäldchen, damit er das Feuer falls nötig für längere Zeit unterhalten konnte. Er schnitt ein paar Farne und brachte sie ebenfalls zu seiner Feuerstelle, um damit das Holz abzudecken und es vor den täglichen Regenschauern zu schützen - auch wenn an der Küste selten mehr als ein paar Tropfen fielen. Und immer, wenn im Meer etwas aufblitzte, sprang er auf, lief an den Rand der Klippen und schaute angestrengt hinaus, nur um festzustellen, dass weit draussen eine Schaumkrone über das Wasser tanzte. Die Tatsache, dass es auf der Insel sehr still war, beruhigte ihn auch nicht wirklich. Meist war nur das Rauschen des Meeres zu vernehmen. Gelegentlich kreischten ein paar Vögel, die Wölfe heulten nur in der Nacht. Das einzige Geräusch, das aus dem Dorf zu hören war, war eine Klangfolge, die von einer Fanfare oder einem ähnlichen Instrument zu stammen schien. Die Fanfare erschallte jeweils am späteren Vormittag, jeden Tag in etwa zur gleichen Zeit. Manchmal trug der Wind auch andere Klangfolgen herbei, die sich von der ersten deutlich unterschieden. Allerdings kamen diese aus der Ferne - wahrscheinlich aus den Nachbardörfern - und erschallten zu anderen Zeiten. Aber Leon dachte nicht weiter über die Bedeutung der Fanfaren nach, denn er hatte andere Sorgen. Er fühlte sich rastlos und wurde zunehmend vom Hunger geplagt, zumal ihm auch Arwin kein Essen mehr brachte. Er musste sich mit Birnen und Beeren begnügen, die er im nahen Wäldchen fand, doch vermochten ihn die Früchte nicht richtig zu stärken. Sein Körper sehnte sich nach einer kräftigen Mahlzeit, und auch sein Schlaf litt unter der mangelhaften Ernährung. Er schlief nicht sehr tief und auch nicht sehr beständig. Oft lag er wach in seinem Bett und lauschte dem Geheul der Wölfe. Er lag einfach nur da und sehnte sich nach einer Zigarette, während er vergeblich darauf wartete, das ihn der Schlaf übermannte. Sein Körper wurde schwächer und schwächer, und als er nach einer Woche noch immer kein Schiff gesichtet hatte, beschloss er, sich den Gesetzen der Insel zu beugen.

      X

      Es war noch dunkel, als Leon an Elias' Tür klopfte. Er hatte kaum geschlafen - so sehr hatte sein Magen geknurrt - und sich früh auf den Weg gemacht. Ein Mädchen, das genauso früh unterwegs gewesen war, hatte ihm den Weg zu Elias' Haus gewiesen, das auf dem höchsten Punkt des Dorfes stand. Es war grösser als die anderen Häuser, besass zwei Stockwerke und war nur über eine lange Treppe zu erreichen. Es dauerte eine Weile, bis Elias die Tür öffnete. Er blinzelte mit den Augen, und als er Leon erkannte, lächelte er.

      "Du willst arbeiten?", fragte er und sah erwartungsfroh zu ihm auf. Leon nickte und wurde ins Haus gebeten. Elias war gerade beim Frühstück und lud ihn ein, mit ihm zu essen. Es gab Brot und gepökelten Fisch, dazu Früchte und Beeren. Sie assen schweigend. Leon war verstimmt, dass er so lange kein Essen bekommen hatte, und es schien, als ob diese Tatsache auch Elias ein wenig beschämte, so dass keiner von beiden das Bedürfnis verspürte, zu sprechen. Als Elias den letzten Bissen geschluckt hatte, erhob er sich von seinem Stuhl, räumte den Tisch ab, griff nach seinem Stock und bedeutete Leon, ihm zu folgen. Sie verliessen das Haus, stiegen die Treppe hinunter und gelangten zum Dorfplatz, auf dem sich in der Zwischenzeit zahlreiche Männer eingefunden hatten. Elias gesellte sich zu einer Gruppe, die um ein paar zusammengefaltete Fischernetze herumstand - es war dieselbe Gruppe, die Leon vor ein paar Tagen nach dem Festland gefragt hatte - und sprach mit dem grossen, kräftigen Kerl, der Leon geraten hatte, seine Flausen zu vergessen. Der Kerl schaute sich um und winkte Leon heran.

      "Es geht also doch", sagte er zur Begrüssung und kratzte sich in seinem Bart. Seine kleinen, nah beieinander liegenden Augen blieben ohne Ausdruck, so dass Leon nicht sagen konnte, ob er sich darüber freute oder nicht. "Du kannst gleich mit anpacken!"

      Leon verabschiedete sich von Elias und half den Männern, die erstaunlich schweren Netze zur Küste zu tragen. Sie erreichten eine schmale, in den Fels gehauene Treppe, die durch die Klippen nach unten führte. Die Treppe war steil und die Stufen standen eng beieinander, so dass Leon aufpassen musste, dass er nicht ausrutschte. Am unteren Ende der Treppe stiessen sie auf eine kleine Plattform und mehrere Boote, die an Pflöcken vertäut waren. Die Boote waren einfach gebaut. Der Rumpf bestand aus einem ausgehöhlten Baumstamm, die Ausleger waren über zwei Querstreben mit dem Rumpf verbunden. Je zwei Männer setzten sich in eines der Boote, und Leon wurde angewiesen, sich in das Boot des Bärtigen zu setzen. Er bekam ein Ruder, sie legten ab und fuhren hinaus, entfernten sich aber nicht sehr weit von der Küste. Das Boot schaukelte beständig auf den Wellen, so dass Leon schon bald von einer leichten Übelkeit befallen wurde, sich aber nichts anmerken liess. Nachdem die Netze ausgeworfen waren, wurden die beiden Enden an je einem Boot verzurrt und die Boote parallel zueinander und gegen die Strömung vorwärts gerudert. Sobald sich genügend Fische in den Maschen verfangen hatten, ruderten die Boote aufeinander zu und schlossen den Kreis. Gleichzeitig wurde die Leine, welche den unteren, mit Steinen beschwerten Rand des Netzes bildete, zugezogen, so dass die Fische vollständig vom Netz umschlossen waren. Danach musste das Netz nur noch eingeholt und an Bord gezogen werden. Der Bärtige gab sich äusserst wortkarg und erklärte nur das Allernötigste, so dass Leon mehrheitlich auf sich alleine gestellt war. Er schaute zu, prägte sich die Abläufe ein und packte an, wo immer er konnte. Der ganze Vorgang wurde mehrmals wiederholt, während die Sonne in den Himmel stieg und erbarmungslos auf die Fischer niederbrannte. Die Arbeit war hart und die Leinen schnitten Leon in die Handflächen, doch war er trotzdem zufrieden mit der Arbeitseinteilung - denn als Fischer hatte er zumindest die Möglichkeit, das Meer zu beobachten und allfällige Schiffe zu sichten.

      Gegen Mittag erschallte aus dem Dorf die Fanfare, worauf die Männer augenblicklich von ihrer Arbeit abliessen, die Netze einholten, zur Insel zurückruderten und die Boote vertäuten. Leon war froh darüber und half ihnen gerne, die Fische in die Körbe zu verladen, die auf der Plattform bereitstanden. Sie schulterten die Körbe und die Netze, stiegen die Treppe hoch, gelangten zu einem Haus am Rand des Platzes und traten ein. Das Haus besass einen länglichen, rechteckigen Grundriss und war noch deutlich grösser als dasjenige von Elias, diente aber offenbar ausschliesslich als Arbeits- und Lagerplatz. Die Frauen, die damit beschäftigt waren, Teig zu kneten, Gemüse zu schneiden oder Früchte zu entsteinen, hielten inne, um die Körbe in Empfang zu nehmen. Sie überprüften den Fang, wühlten in den Körben, nahmen einzelne Fische heraus, besahen sie sich genau und nickten. Während sie sich daran machten, die Fische auszunehmen, verstauten die Männer die Netze im hinteren Teil des Hauses. Sie nahmen ein Bündel in Empfang, das Brot, gepökelten Fisch und getrocknete Früchte enthielt, verliessen das Haus, setzten sich in den Schatten und assen schweigend. Sie warteten, bis alle Fischer zurückgekehrt waren - es handelte sich um ungefähr dreissig Männer, die offenbar von weiteren Anlegeplätzen aus gestartet waren - und machten sich auf den Weg ins Inselinnere. Leon, dem geheissen wurde, ihnen zu folgen, zupfte den Bärtigen, der vor ihm herging, am Ärmel.

      "Wohin gehen wir?", fragte er verärgert, "ich habe gedacht, wir seien Fischer!"

      "Das