Eric Gutzler

Der Anschlag auf London am 11. Sept. 2101 nebst seiner Vorgeschichte


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werden wir in der Früh jeden Schritt der beiden verfolgen können.“

      „Warum hat sich unsere Agentin auf dieses Risiko eingelassen? Ist sie wirklich zuverlässig?“ fragte ein Engländer, der erst vor kurzem zu der Gruppe gestoßen war.

      „Sie ist Jüdin, hat ihre Kindheit in Jerusalem verbracht und kennt die Mentalität der arabischen Fundamentalisten sehr gut. Sie würde sich nie umdrehen lassen. Außerdem“, erläuterte Killoren, „handelt es sich um ein Gegengeschäft. Ihr Vater hat sich auf eine dubiose Geschichte in Südafrika eingelassen und sitzt seit einem Jahr in einem Gefängnis in Botsuana. Der israelische Geheimdienst hat versprochen, ihn herauszuholen, wenn ihre Informationen helfen, das Attentat zu verhindern.“

      „Soll Dadullah festgenommen werden, sobald wir ihn aufspüren?“ fragte der Bonner Agent, der am liebsten auch schon die beiden Engländer in Tivetshall St Mary verhaftet gesehen hätte.

      „Nein, um die Bombe zu finden, müssen wir ihm folgen.“

      „Das ist ein hohes Risiko! Wenn es euch nicht gelingt, ihn aufzuhalten …“

      „Annecy wird ihn aufhalten, da bin ich ganz sicher“, unterbrach ihn Michael Zeitz, der bisher nur zugehört hatte.

      „Wer ist Annecy?“ erwiderte der Agent, den Zeitz unterbrochen hatte, und der zu der neunköpfigen Gruppe gehörte, die noch nie etwas von Solveig Solness gehört hatte.

      Zeitz blickte fragend zu Bouvier und Thornton. Bouvier nickte: „Zeitz, fassen Sie kurz zusammen und berichten Sie über den aktuellen Stand.“

      „Annecy kann ihn aufhalten, wenn sie weiß, wo er sich befindet; sie verfügt über besondere Fähigkeiten. Sie ist seit zwei Wochen in London und befindet sich zur Zeit in der Wohnung einer Freundin in Putney. Sie wird um fünf Uhr aufstehen und auf unsere Anweisungen warten.“

      „Ein Auto mit Fahrer“, ergänzte Thornton, „steht vor der Tür, und ein Hubschrauber wartet startbereit in der Nähe auf einem abgesperrten Platz. Er kann sie in kurzer Zeit zu jeder Stelle in London bringen.“

      „Noch eine Frau?“

      „Ja.“

      „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

      „Manthey“, fuhr Bouvier ungeduldig dazwischen, „es ist so, wie Zeitz es gesagt hat, sie kann es.“ Manthey war über diese Zurechtweisung ziemlich verärgert, sagte aber nichts mehr.

      „Sobald wir ein Signal von Rasha Orit erhalten, wird Annecy im Hubschrauber sein“, nahm Thornton das Gespräch auf, „und von vier Scharfschützen begleitet werden. Außerdem halten sich Spezialisten zum Aufbrechen von elektronisch gesicherten Türen bereit.“

      „Wenn Orit nicht sendet …?“ meldete sich Manthey zurück.

      „Die Frage ist berechtigt. Auf die Chance, Mansur Dadullah rechtzeitig zu finden, dürfen wir uns nicht verlassen“, sagte Thornton, „es könnte ja zum Beispiel sein, dass Dadullah sie in der Wohnung zurücklässt, vielleicht sogar umbringt. Er gilt als unberechenbar. Ich glaube, Samar Aljawi muss aktiv werden.“

      Bouvier nickte und antwortete: „Das sehe ich genauso. Ich habe ihn vorab informiert und werde ihn gleich anrufen.“

      Kapitel 40: 3.00 Uhr: Samar Aljawi wird aktiv

      Als fünf Minuten später Aljawis Ohrstöpsel summte, war er sofort auf den Beinen. Seit Mitternacht lag er in Erwartung eines Anrufs angezogen auf seinem Bett. Noch während er Bouviers Stimme hörte, ging er ins Nebenzimmer, weckte zwei Agenten des israelischen Geheimdienstes, die dort schliefen, und machte einen starken Kaffee. Weitere zehn Minuten später verließ die kleine Gruppe in einem Fahrzeug mit Elektroantrieb das Altstadtviertel. Auf einer Ausfallstraße fuhr Aljawi nach Osten in Richtung Jericho und bog gegen drei Uhr dreißig auf eine Schotterstraße ab. Nach zwei Kilometern hörte die Straße auf und verzweigte sich in mehrere unmarkierte Pisten, an denen in unregelmäßigen Abständen kleine Häuser standen. Obwohl es keine Straßenlampen gab und obwohl Aljawi nur mit Standlicht fuhr, fand er sein Ziel. Er kannte die Strecke, die Schlaglöcher, die Felsbrocken und die ausgebrannten oder ausgeschlachteten Fahrzeuge, darunter auch Lastwagen und Busse, die an oder auf der Piste standen. Unmittelbar nach der ersten Fahrt, die Raisa mit Ronit unternommen hatte, hatte er Raisa Takris Wohnung ausgekundschaftet, eine Skizze des Hauses mit Türen und Fenstern angefertigt, und vor einer Woche war er die Strecke noch einmal abgefahren. Er fuhr an dem Haus vorbei, wendete und parkte an einer verdeckten Stelle zwischen Bauschutt und Müll. Auf der Rückseite drangen die Männer in das kleine Haus ein, knebelten die Mutter, stülpten ihr Kopfhörer über die Ohren, zogen ihr eine Kapuze über das Gesicht und fesselten ihre Hände auf dem Rücken. Während einer der Männer mit dem nicht behinderten Sohn gleichermaßen verfuhr, durchsuchte Aljawi das Haus, fand aber keine Aufzeichnungen oder sonstigen Hinweise. Aljawis Männer trugen Raisa Takri und den Sohn zum Wagen und legten sie in den Kofferraum. Den behinderten Sohn ließen sie zurück – er schlief fest und würde später keine Aussage machen können.

      Auf der Rückfahrt wurde der Wagen einmal von einer Polizeikontrolle angehalten. Aljawi behielt die Ruhe, aber seine Männer entsicherten ihre Pistolen. Glücklicherweise gab ihnen der Polizist nur einen Warnhinweis auf eine Fahrbahnsperrung in einer Kreuzung, die sie umfahren konnten.

      In Aljawis Gemüseladen angekommen, trugen die Männer Takri und ihren Sohn durch den Tunnel in das Haus auf der israelischen Seite. In einem der Kellerräume, den Aljawi für das Verhör vorbereitet hatte, setzten die Männer ihre Gefangenen auf zwei Stühle und fesselten sie so, dass sie weder die Beine noch die Arme bewegen konnten. Nachdem die beiden anderen Männer den Raum verlassen hatten, nahm Aljawi Raisa Takri die Kapuze, die Kopfhörer und die Augenbinde ab. Inzwischen war es drei Uhr achtundfünfzig europäischer Zeit.

      Als Raisa die Augen öffnete, sah sie vor sich einen Tisch, auf dem eine Axt, ein Hammer, mehrere Messer und Zangen sowie eine Spritze lagen. Hinter dem Tisch stand ein Stuhl, zu dem ein Mann ging, der eine Gesichtsmaske trug. Da er einen Knebel und Kopfhörer in den Händen hatte, musste er der Mann sein, der ihr sie eben abgenommen hatte. An der gegenüberliegenden Wand hingen Fotos verschiedener Moscheen, das Foto in der Mitte zeigte die Kaaba und den Innenhof der großen Moschee in Mekka. Über den Fotos war ein grünes Tuch befestigt, auf dem in Arabisch ein Vers aus der dreiunddreißigsten Sure gedruckt war: Wer ist es, der euch vor Gott beschützen kann, wenn er euch Böses zufügen oder Barmherzigkeit erweisen will?

      Inzwischen hatte der Mann sich gesetzt und sah sie an. Kurz danach vernahm sie Hundegebell, das aus großer Entfernung zu kommen schien. Es verstummte und wurde von Geräuschen fahrender Autos abgelöst. Raisa blickte nach unten und sah, dass ihre Unterarme an den Stuhllehnen und ihre Beine an den Stuhlbeinen festgebunden waren. Dabei bemerkte sie, dass ihre vollen schwarzen Haare, die zu ergrauen anfingen, offen herunterhingen. Beschämt und bestürzt – seit dem Tod ihres Gatten hatte kein Mann sie ohne Kopftuch gesehen – und um dem Blick des Fremden auszuweichen, sah sie zur Seite und erblickte ihren Sohn. Auch er war gefesselt, aber er trug noch eine Kapuze und konnte seine Mutter nicht sehen. Während der Fahrt hatte sie heilige Eide geschworen, nichts zu sagen, auch unter der Androhung von Folter zu schweigen. Aber als sie ihren Sohn sah, wurde sie bleich.

      Das Fahrgeräusch war verstummt, stattdessen setzte nach einer Pause wieder Hundegebell ein. Die Geräusche kamen, was Raisa Takri nicht erkennen konnte, aus einem Lautsprecher, den das grüne Tuch verdeckte und der mit einem Abspielgerät verbunden war. Der Lautsprecher, die Fotos und der Tisch mit der Axt waren Teile der Vorbereitungen, die Aljawi getroffen hatte.

      Plötzlich fing der Mann an zu sprechen: „Was ist der London-Plan?“

      „Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

      „Wen trifft Mansur Dadullah in London?“

      Sie schwieg. Wie konnte der Fremde etwas von Mansur Dadullahs Londonreise wissen? Es gab nur eine Person, die ihn hätte verraten können: Rasha Orit. Ich wusste es, dachte sie, sie war eine Verräterin. Ich habe ihr immer