Joachim Koller

Secret of Time


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jetzt fällt es mir ein. Es steht für das Herz Jesu. Es gibt nur eine Kirche in Barcelona, zu der dieses Symbol passt.“

      „Bei dem Symbol, das meine Holzschachtel ziert, sind auch noch Mosaike eingearbeitet, wie man sie von Gaudís Werken kennt.“

      Ramona verdrehte die Augen.

      „Na herrlich. Da kannst Du Dich mit meinem alten Herrn zusammentun. Er ist von Gaudí besessen und hat einige abstruse Fantasien über den Mann.“

      „Vielleicht kann er mir auch etwas über die Familie Sagnier verraten“, überlegte Leon laut.

      Ramona kicherte.

      „Er wird begeistert sein. Mein Vater liebt es, seine Theorien anderen zu erzählen. Pedro, mein Freund, kennt sie schon auswendig. Dem gefallen diese Legenden, ich persönlich halte wenig davon. Aber hast Du nicht gesagt, Dein Name wäre Hochgerber?“

      „Hochberger. Das ist eine längere Geschichte.“

      Ein vorbeifahrender Einsatzwagen der „Mossos d’Esquadra“, der Polizei von Katalonien erinnerte Ramona daran, dass sie aus dienstlichen Gründen hier stand. Spontan schlug sie Leon einen gemeinsamen Abend, zusammen mit ihrem Freund Pedro, vor. Leon musste nicht lange überlegen. Ebenso wie sein Interesse für andere Länder und Städte war er auch immer neugierig auf die Leute, die dort lebten. Eine Polizistin konnte ihm sicherlich einiges über Barcelona erzählen, was er bei einem reinen Sightseeing-Urlaub nicht erfahren würde. Sofort stimmte er zu. Nachdem Ramona seine Daten aufgenommen hatte, verriet sie ihm, dass Pedro im Fanshop des FC Barcelona, direkt beim Stadion Camp Nou arbeitete.

      „Ich habe heute noch bis 19 Uhr Dienst. Wenn Du Lust hast, treffen wir uns um halb neun beim Einkaufszentrum Arenas, am Plaça Espanya. Neben mehreren Lokalen gibt es dort auch eine weitere Attraktion zu sehen.“

      Mehr wollte Ramona nicht verraten und erklärte Leon, wo sie sich treffen würden. Währenddessen spazierten sie zurück zum Eingang der Sagrada Familia. Als Ramona einige ihrer Kollegen und auch Jasmina Martins sah, zuckte sie leicht zusammen.

      „Na herrlich. Die haben schon auf mich gewartet. Jetzt darf ich mich wieder rechtfertigen.“

      „Wofür? Für Deinen waghalsigen Sprung um den Dieb zu stellen oder weil Du so lange mit mir gesprochen hast.“

      „Eher Zweites. Die haben mich sowieso im Auge, wegen Pedro ... egal, darüber können wir am Abend reden. Ich wünsche Dir noch einen schönen Tag und bis später.“

      Sie reichte Leon die Hand und eilte dann zu den Kollegen. Leon blieb stehen und wartete, bis die letzten Beamten verschwunden waren.

      Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass es inzwischen schon nach dreizehn Uhr war.

      „Ich habe mir wirklich viel erwartet von Barcelona, aber das eindeutig nicht“, murmelte er und begab sich zur U-Bahn Station.

      Das Gespräch mit Ramona hatte ihn wieder beruhigt, die Aufregung rund um den Diebstahl legte sich langsam. Da er keinen Plan hatte, was er nun machen sollte, entschied sich Leon für die Ramblas. Immerhin war die Flaniermeile weltberühmt und ein absolutes Muss für einen Besuch der Stadt.

      Am Plaça Catalunya herrschte reges Treiben. Die fast sommerlichen Temperaturen waren nicht nur für die Touristen ein Genuss. Am großen Platz saßen Männer im Anzug auf den Bänken, tippten auf ihren Laptops und Tablets, telefonierten entspannt und ließen sich dabei von der Sonne verwöhnen. Kinder liefen herum und spielten mit Bällen, auf denen meistens das Logo des FC Barcelona prangte. Die Mütter saßen beisammen und tauschten den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Leon fühlte sich in den Sommer zurückversetzt. Neben dem Einkaufszentrum „El Corte Inglés“ fiel ihm auch das „Hard Rock Café“ auf.

      Ich habe noch bis Freitag Zeit, deshalb werde ich diesem Lokal erst einen Besuch abstatten, wenn das Wetter schlechter wird, beschloss er und überquerte die Straße in Richtung der Ramblas.

      Die berühmteste Straße der Stadt war eine, etwas mehr als einen Kilometer lange, Promenade, die vom Plaça Catalunya bis zur Kolumbusstatue am Hafen von Barcelona führte. Ein breiter Weg, der auf beiden Seiten mit Bäumen abgegrenzt war, war den Fußgängern vorbehalten. Eine enge Straße zu beiden Seiten ließ Platz für den Verkehr. Leon spazierte langsam auf der Allee und versuchte alles aufzusaugen. Unzählige Lokale, Souvenirläden, Hotels und auch Wohnhäuser reihten sich aneinander, teils neu renoviert, teils wirkten sie aber auch wie aus dem letzten Jahrhundert. Die von den Ramblas abzweigenden Gassen waren schmal und voller Menschen, die sowohl den Gehsteig, als auch die Straße nutzten. Auf den Ramblas fand Leon in kurzen Abständen Zeitschriftenläden, die in einem rechteckigen Hüttchen untergebracht waren. Neben nationalen und internationalen Zeitungen, Ansichtskarten und Büchern, versuchten die Verkäufer auch Magnete mit unterschiedlichen Motiven und andere Kleinigkeiten an die vorbeischlendernden Touristen zu verkaufen. Eine Reihe von Blumenständen und sogar ein Stand mit Kleintieren waren zu finden. Dazwischen versuchten einige Straßenkünstler, die Blicke auf sich zu ziehe. Mit aufwendigen Verkleidungen standen sie die meiste Zeit über bewegungslos, bis ihnen entweder jemand zu nahe kam oder eine kleine Spende gab. Ein schwarzgoldenes Monster mit langen Klauen und Schwingen, einige Schritte weiter eine goldene Cowboystatue, die sich gegen etwas Kleingeld bewegte und von Touristen „erschießen“ ließ. Ein Künstler - ganz in Weiß - saß auf seinem Rad und strampelte auf Wunsch spontan los.

      Einige Lokale hatten ihre Tische direkt auf den Ramblas aufgebaut. Aus seinem Reiseführer wusste Leon, dass diese Plätze bei der Rechnung einen nicht geringen Zuschlag hatten, auf den manche Kellner gerne vergaßen hinzuweisen.

      Unterschiedlichste Leute kamen Leon entgegen. Touristen, die mit ihren Kameras alles festzuhalten versuchten, Einheimische, die keinen Blick mehr für die Besonderheiten der Ramblas hatten und viele mehr. Eine kleine Gruppe hatte sich um einen Mann versammelt, der auf dem Boden mit wellenförmigen Pflastersteinen saß. Leon blieb kurz stehen und erkannte sofort, was sich vor ihm abspielte. Ein Hütchenspieler versuchte, ahnungslose Passanten auszunehmen. Dieses Spiel kannte er gut aus Wien. Eigentlich war es ganz einfach: Es galt, die kleine Kugel unter der richtigen der drei Streichholzschachteln zu finden. Aber es ging dabei nicht mit rechten Dingen zu und die Gewinnchance war gleich null. Dennoch blieb Leon stehen und sah zu.

      Wie er es erwartet hatte, gewannen zwar ein paar Leute, diese Personen verschwanden danach und kamen kurz darauf wieder um das Geld abzuliefern. Die richtigen Touristen, die an dem Spiel teilnahmen, hatten keine Chance zu gewinnen. Leon versuchte sich auf die Finger des Mannes zu konzentrieren, doch dieser beherrschte sein Handwerk perfekt. Er wurde mehrmals aufgefordert, mitzuspielen, winkte aber freundlich ab. Nach einigen Minuten hatte er genug gesehen und spazierte weiter. Vor ihm war das Kolumbus-Denkmal zu sehen, welches den Abschluss der Ramblas und den Beginn des Hafens markierte. Ein bronzener Kolumbus stand auf einer sechzig Meter hohen, verzierten Säule und deutete hinauf auf das Meer. Einige Meter unter ihm war eine zum Teil verglaste Kugel zu erkennen. Von dort bekam man einen schönen Ausblick über die Stadt, behauptete Leons Reiseführer. Beim Gedanken, wie schmal die Säule war und damit auch der Aufzug im Inneren, krampfte sich sein Magen zusammen. Deshalb ließ er diese Sehenswürdigkeit aus, überquerte den mehrspurigen Kreisverkehr und landete am Hafen. Vor ihm boten Ausflugsschiffe Rundfahrten an der Küste an. Links davon war der Jachthafen voller kleiner und großer Segel- und Motorboote und über den modernen Pier gelangte er zum Einkaufszentrum „Maremagnum“. Die Schmuck- und Modeläden ließ er vorerst aus, Leons vorrangiges Ziel war ein Platz im Freien bei einem der Restaurants. Bei Tapas, genauer bei Patatas allioli, kleine Kartoffeln in Knoblauchmayonnaise, und Bier blickte er über den Hafen. Er sah in einiger Entfernung den Strand von Barcelona und überlegte, wie schön es hier mit seiner Frau wäre. Leon vermisste sie und hoffte, dass ihr Ausflug nach Deutschland sich nicht allzu oft wiederholen würde.

      Beim Blick auf ein Bild von Julia, dass in seiner Geldbörse war, ließ er seine Gedanken treiben und erinnerte sich, wie sie vor nun schon fast fünfzehn Jahren zusammengekommen waren. Damals, in Amsterdam, spielte auch Wasser eine Rolle.

      Zusammen mit einer Gruppe von Kollegen aus verschiedenen Büros war er damals für drei Tage in Amsterdam unterwegs. Neben den obligaten Hotelbesichtigungen