Frauen an den Tisch. Gemeinsam genehmigten sie sich einen letzten Umtrunk und verließen das Lokal.
Fernando begleitete die Frauen nach Hause. Vor der Haustüre bat er Ruth um ihre Telefonnummer. Bereitwillig schrieb sie sie auf einen Zettel, den Fernando ihr reichte und händigte ihm das Papier und den Stift aus. Fernando versprach, sich zu melden.
Ruth war überglücklich. In Fernando hatte sie sich vom ersten Augenblick an verliebt. Sie musste nur noch herausbekommen, was er studierte oder arbeitete. Und vor allem, wie lange er in Deutschland blieb. Wenn er in ein oder zwei Monaten abreiste, lohnte es sich nicht, Zeit in eine Beziehung zu investieren.
Ihr Auserwählter hatte den ersten Schritt getan und von ihr die Telefonnummer erbeten. Alles Weitere würde folgen.
Erst dann, als Fernando weggegangen war, wurde Ruth klar: Von ihm hatte sie nichts! Sie konnte ihn also nicht erreichen. Hoffentlich meldete er sich. Sofort beruhigte sie sich wieder, weshalb wollte er ihre Telefonnummer, wenn er sich dann nicht mehr meldete?
Selten hat sie sich sofort derart stark zu einem Menschen hingezogen gefühlt. Die interessanten Ideen, die er während des Gesprächs entwickelt hatte, gefielen ihr und überzeugten sie. Nicht nur die Augen hatten eine große Ausstrahlung, auch seine warme, melodische Stimme wirkte anziehend um nicht zu sagen sexy.
Was wird die Zukunft bringen? Meistens hielten sich die Studenten aus Mittel- und Südamerika nur begrenzte Zeit in Deutschland auf. Sie bezogen ein Stipendium. Wie lange, also würde Fernando im Land bleiben? Hoffentlich recht lange, damit sie genügend Möglichkeit hatten, sich eingehend kennen zu lernen.
Vielleicht wurde ihre Beziehung so intensiv, dass er das Land gar nicht mehr verlassen wollte und bei ihr blieb. Aber das waren nur Hirngespinste und Zukunftsmusik, sie wusste das. Schließlich hatte sie andere Latinos getroffen. Nur ganz wenige kehrten nicht in ihre Heimat zurück.
Oft verlangten auch die Familienbande, dass sie in die Heimat zurückkehrten. Einige waren bereits verlobt oder hatten feste Bande. Vielleicht blieben sie auch deshalb in Deutschland in Cliquen zusammen. Im Augenblick wusste sie zu wenig über den Mann ihrer Träume.
Sie war nicht abgeneigt, Deutschland nach ihrem Studium den Rücken zu kehren und mit ihrer großen Liebe in ein anderes Land auszuwandern.
Im Augenblick hieß für Ruth abzuwarten, bis Fernando sich meldete. Dann würde sie seine Telefonnummer erfragen. Und auch seine Adresse!
*
Eine Woche später, für Ruth erschien es wie eine Ewigkeit, stand Fernando vor der Türe.
Gabi hatte ihm geöffnet. Ruth kehrte gerade von der Uni zurück. Als sie Fernando im Gang stehen sah, klopfte ihr Herz wild.
„Hola, Ruth“, meinte Fernando lächelnd und selbstverständlich in Spanisch. „Willst du mit mir Essen gehen?“
„Hola Fernando“, gab Ruth ebenfalls in Spanisch überrascht zurück, „schön, dass du vorbeikommst. Ja, wir können essen gehen.“ Sie ging auf ihn zu und küsste ihn auf beide Wangen, wie das in diesen Kreisen üblich war.
Diesmal schien Fernando etwas erstaunt, hatte sich aber gleich wieder unter Kontrolle.
„Ich räume nur meine Bücher weg“, erklärte Ruth, während sie geradeaus auf ihr Zimmer zuging. Sie öffnete die Türe. „Komm rein“, forderte sie ihn auf und unterstrich mit einer Kopfbewegung ihre Einladung.
Fernando schien zu zögern, betrat dann jedoch das Zimmer.
Etwas hilflos stand der junge Mann im Zimmer, bis Ruth ihn aufforderte: „Setz dich doch.“ Dabei machte sie mit der rechten Hand eine einladende Geste zum einzigen Sessel, der im Zimmer stand.
*
Fernando ließ sich in den Sessel fallen.
Während Ruth ihre Sachen auf den Schreibtisch legte, schaute sich der Gast neugierig in ihrem Zimmer um.
Rechts von ihm stand der Schreibtisch, direkt unter dem Fenster. Auf der linken Seite war ein buntes Sofa, das abends wahrscheinlich als Bett umgebaut wurde. Gegenüber, hinter der Zimmertüre verbarg sich die große Schrankwand. Im Zimmer herrschte ein gemütliches Durcheinander. Auf dem kleinen Tisch vor dem Sessel befand sich eine Schale in der zwei Äpfel und eine Birne lagen. Zwischen Sofa und Türe stand ein kleiner Nachttisch, auf dem ein Lämpchen, Wecker und ein Buch Platz gefunden hatten. Der alte, wuchtige Schreibtisch dominierte das ganze Zimmer. Auf der einen Seite hatte Ruth ihre HiFi-Ecke installiert. Fernseher gab es in diesem Raum nicht.
Nachdem er das Zimmer taxiert hatte, ließ Ruth ihm noch Zeit. Er konnte sie also eingehender betrachten. Sie war beinahe so groß wie er selbst. Schlank, zu schlank. Für Fernandos Geschmack fast zu schlank. Das halblange Haar war rotblond und umgab in lockeren Naturlocken den Kopf. Sommersprossen zierten das Gesicht. Fernando vermutete, dass es in der Sonne noch ein paar mehr würden. Besonders beeindruckend fand er jedoch die grünen Augen, die von langen, dunklen, gebogenen Wimpern umrahmt waren. Ruth schien legere Kleidung zu lieben. Sie trug blaue Jeans und einen viel zu großen, grünen Pullover. Fernando verstand nicht, weshalb sie ihre Figur versteckte. Man konnte nur erahnen, dass sie mager war. Schließlich riss er sich vom Anblick los.
„Wohnst du schon lange hier?“, erkundigte er sich, während Ruth mit dem Rücken zu ihm am Schreibtisch stand.
„Seit zwei Jahren“, antwortete sie und drehte sich zu ihm um. „Gabi kenne ich schon seit dem Gymnasium und irgendwann hatten wir das Glück, die Wohnung zu ergattern.“
*
„Schön“, stellte Fernando anerkennend fest und nickte kaum merklich.
Ruth beschloss die Gelegenheit sofort beim Schopf zu packen. Sie wollte an Fernandos Adresse kommen.
„Und wo wohnst du?“, fragte sie, während sie sich langsam dem Sessel näherte. „Du hast mir gar nicht deine Adresse gegeben.“
„Ja, ich weiß“, Fernando zuckte die Schultern, „ich wohne da, wo jeder lateinamerikanische Praktikant wohnt. In einem Wohnheim, in dem man kein Wort Deutsch, aber dafür perfekt Spanisch in allen Dialekten aus den verschiedenen Ländern lernen kann.“
„Das ist frustrierend“, bemerkte Ruth, die nun direkt vor Fernando stand. „Und wo ist das Wohnheim?“
„In der Schleißheimer Straße“, war die kurze Antwort. „Leider ist es ziemlich schwierig etwas anderes zu finden, besonders, wenn man nur ein knappes Jahr in Deutschland bleibt. Also gibt man sich mit dem zufrieden, was einem zugewiesen wird.“
„Hast du auch eine Telefonnummer?“, hakte Ruth sofort nach, bevor sie vom Thema abkamen. Natürlich hatte sie die Information, dass Fernando nur ein Jahr in Deutschland verweilen würde sofort registriert. Schade, dachte sie sich.
„Ach, das ist so eine Sache“, stöhnte Fernando und holte sie aus ihren Gedanken. „Ein Telefon für alle. Meistens ist niemand da, der abnimmt, und geht doch einer ans Telefon, macht er sich nicht die Mühe die gewünschte Person zu suchen, sondern sagt einfach, sie sei nicht da.“
„Unverschämt!“, ereiferte sich Ruth.
„Es gibt keinen regulären Telefondienst“, meinte Fernando nur, „deswegen habe ich dir weder meine Adresse noch meine Telefonnummer gegeben. Ich hätte es dir gleich erklären sollen. Aber gib mir mal einen Zettel“, gleichzeitig streckte Fernando unerwartet die rechte Hand aus und berührte flüchtig Ruths linke, „dann schreibe ich dir die Adresse und Telefonnummer trotzdem auf.“
Als Fernando ihre Hand berührte, durchzog Ruth ein warmes Gefühl. Es dauerte nur Sekunden! Dann tat sie, wozu sie aufgefordert worden war und holte Zettel und Stift.
Ruth reichte ihm beides. Er schrieb seine Daten auf und gab Papier und Kugelschreiber zurück.
„So“, sagte Ruth munter, „wenn du willst, können wir gehen. Ich bin fertig.“
Fernando erhob sich gemächlich und ging langsam zur Zimmertüre. Dort blieb