Christoph Hoenings

DAS GESCHÄFT - TEIL 1


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in ihm hoch, als er sich vorstellte, wie Roxana mit diesem Mann zusammen wäre, ihn küsste, womöglich mit ihm schlief. Dieser Gedanke verursachte in ihm eine Qual, die so schlimm war, dass er sie fast als süßen Schmerz empfand.

      Garcia überlegte, was eine Frau an Graf anziehend finden mochte.

      Seinen kahlgeschorenen Kopf?

      Garcia hatte schon mehrmals gehört, dass Frauen das sexy fanden, auch wenn es seine Vorstellungskraft überstieg.

      Sein Geld?

      Gracia war sicher, dass ein Mann wie Graf über eine Menge Geld verfügte, auch wenn er Angestellter eines Unternehmens war.

      Garcia hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Kinzel im Umgang mit Graf gewesen war. Nicht devot, aber man sah doch, dass Graf eindeutig eine höhere hierarchische Stellung im Unternehmen haben musste. Und Kinzel hatte einen Mercedes und ein schönes Haus in einer der teuersten Gegenden Limas!

      Charme?

      Garcia wusste nicht genau, was dieser Begriff bedeutete, hatte aber mitbekommen, wie die Kellner im Restaurant gestern Nacht und heute und die Kellner hier in der Bar auf Graf reagiert hatten, freundlich, zuvorkommend, mit einer Aufmerksamkeit, die er, Garcia, noch nirgendwo erfahren hatte. Auch Grafs Umgang mit den Frauen von Kinzel und Fernandez hatte ihn, das musste er zugeben, beeindruckt. Sie schienen an Grafs Lippen zu hängen, wenn er etwas sagte, lachten und warfen ihm bewundernde Blicke zu. Dann diese antiquierte Höflichkeit, diese Händeküsserei in einem Land, in dem es üblich war, sich auf die Wangen zu küssen!

      Schön war Graf wahrhaftig nicht! Er war groß, zumindest größer als Garcia. Er war, zugegebenermaßen, schlank. Er hatte eine lange, etwas krumme Nase.

      Wieder musste er daran denken, wie Roxana sich benommen haben würde, wenn sie mit diesem Mann zusammen gewesen wäre.

      Aber sie hatte ja gesagt, sie hätten sich beide nur angegrinst.

      Wäre er doch bloß dabei gewesen!

      Würde Frauen Grafs Kleidung gefallen? Garcia hatte Graf bisher als geschniegelt angesehen, als zu elegant! Würde es seiner eigenen Frau gefallen, wenn er, wie Graf, in so einem schwarzen Aufzug herumliefe?

      In dem Moment fiel Garcia siedend heiß ein, worüber er den ganzen Tag schon gerätselt hatte!

      Roxana! Sie hatte heute früh ihr schwarzes Minikleid angehabt! Dieses Kleid trug sie sonst nur abends! Sie war so stolz darauf, wie sie aussah, wenn sie dazu noch schwarze Strumpfhosen trug!

      Heute früh hatte sie keine Strumpfhosen angehabt, aber das Kleid! Das Kleid, das sie immer nur abends trug!

      Roxana war nicht vom Einkaufen gekommen, sie musste von irgendwo gekommen sein, wo sie übernachtet hatte!

      Sie hatte nicht zuhause geschlafen!

      Noch etwas fiel ihm jetzt ein. Sie hatte nasse Haare gehabt, aber ihre Wanne war knochentrocken gewesen! Das hatte er gesehen, als er ihr Klo benutzt hatte.

      Roxana, seine Roxana, hatte ihn betrogen!

      Garcia sah, wie Graf in diesem Augenblick dem Barkeeper einen Geldschein zuschob und zum Ausgang ging.

      Es war soeben viertel vor zwölf Uhr abends.

      ---

      Graf fuhr geradewegs zu seinem Zimmer.

      Roxana war fertig angezogen und geschminkt. Man sah nicht, dass sie vorhin geweint hatte.

      Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

      "Er sitzt immer noch in der Bar. Er scheint aber nicht ganz bei sich zu sein. Komischer Vogel!" sagte Graf.

      "Ich habe Angst vor ihm," sagte Roxana.

      "Komm, ich bin bei dir," antwortete Graf. "Können wir?"

      Bevor sie das Zimmer verließen, führte Graf noch ein kurzes Telefonat.

      Dann gingen sie gemeinsam die paar Schritte zum Aufzug.

      ---

      Garcia war wie gelähmt.

      Roxana hatte tatsächlich die Nacht mit Graf verbracht!

      Garcia war nahe daran, sich zu übergeben.

      Er winkte dem Kellner, um zu zahlen. Ein Trinkgeld gab er nicht. Er musste sich jetzt irgendwo hinsetzen und überlegen, was er tun konnte, am besten in die Hotelhalle. Da hatte er auch die Aufzugtüren im Auge.

      War Graf in die Bar gekommen, um nachzusehen, ob Roxana hier auf ihn wartete? Würde er auch in der Halle sein, um den Hoteleingang überschauen zu können?

      Garcia sah sich um. Von Graf war nichts zu sehen.

      Er ließ sich in einen der Sessel fallen. Er musste nachdenken, er musste sich beruhigen!

      Sein Herz tat ihm weh.

      Wieder glaubte er, sich übergeben zu müssen. Einen Moment war er damit beschäftigt, den Brechreiz zu unterdrücken.

      Roxana! Er hatte sie immer gut behandelt, ihr Geschenke gemacht, ihr eine gut bezahlte Stelle verschafft! Selbstmitleid stieg in ihm hoch.

      Roxana hatte ihn betrogen!

      Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen!

      Wo steckte sie bloß, dieses Luder?

      Er würde jetzt noch mal zu ihrem Haus fahren! Sie sollte ihn jetzt richtig kennenlernen!

      Ein Page mit einer holzgerahmten Tafel und einer Glocke lief an ihm vorbei. Er klingelte und zeigte die Tafel den in der Halle sitzenden Gästen.

      Garcia schreckte durch das Gebimmel auf.

      Auf der Tafel stand, mit weißer Kreide geschrieben:

      `Señor Carlos Garcia Alvarez`.

      Garcia sagte: "Das bin ich."

      "Sie werden am Telefon verlangt, Señor Garcia. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?"

      Garcia stand auf und ging mit unsicheren Schritten hinter dem Pagen her, der ihn zu einer Reihe von fünf Telefonzellen in der Nähe der Rezeption führte.

      Der Page sagte:

      "Zelle drei bitte, Señor Garcia."

      Garcia trat in die Zelle und hob den Hörer ab.

      "Ja bitte?!" sagte er.

      Am anderen Ende wurde aufgelegt.

      Garcia brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er nur ein Freizeichen hörte.

      Erst da ging ihm auf, dass eigentlich niemand wissen konnte, dass er sich hier im Hotel aufhielt.

      Er knallte den Hörer auf die Gabel und stürzte aus der Zelle.

      Weder Graf noch Roxana waren irgendwo zu sehen.

      Garcia ging in die Zelle zurück und hob den Hörer ab.

      Nach zwei Klingelzeichen meldete sich eine Frauenstimme:

      "Operadora, wie kann ich Ihnen helfen?"

      "Mein Name ist Garcia, ich bin soeben ausgerufen worden, aber der Anruf war weg, als ich dran ging. Können Sie mir sagen, wer nach mir gefragt hat?"

      "Das weiß ich leider nicht, Señor Garcia, der Anruf kam von außerhalb, nicht aus dem Hotel."

      "Verbinden Sie mich mit Señor Graf, er ist Gast in Ihrem Hotel!"

      "Sofort, Señor Garcia."

      Er hörte Knacken in der Leitung, dann das Klingelzeichen.

      Nach zehnmal Klingeln meldete sich erneut die Frauenstimme:

      "Es hebt niemand ab, Señor Garcia. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?"

      "Nein, vielen Dank."

      Er legte auf.

      Jetzt war ihm richtig übel.

      ----