Bärbel Junker

Die Tote auf der Bank


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Ich bin ihm bisher nur zweimal kurz begegnet, aber ich traue ihm nicht. Es ist zwar nur ein Gefühl, aber ich halte diesen Mann für gefährlich.

      Sie hatte die Warnung ihrer Schwester nicht ernst genommen, wollte nichts Negatives über Frank hören, hatte diesen lieber vertrauensvoll schon bei ihrem zweiten Treffen zu diesem idyllischen Ort begleitet. Ein verwunschener Ort, an dem es ihr schien, als seien sie beide ganz allein auf dieser ansonsten so lauten und hektischen Welt.

      Sie hatte sich in Franks Nähe so glücklich und sicher gefühlt, hatte geglaubt, in ihm endlich den Mann fürs Leben gefunden zu haben.

      Sie hatte sich geirrt.

      Und dann hatte er sich ohne Vorankündigung von einem Tag auf den anderen von ihr getrennt. Hatte Schwierigkeiten vorgeschoben die ihn zwangen Deutschland zu verlassen. Ihr Angebot ihm zu helfen hatte er brüsk abgelehnt.

      Ich bin von jeher ein Einzelgänger gewesen und werde es auch immer bleiben. Ich komme allein am besten zurecht, Samantha. Und so ist es mir auch am liebsten. Die Zeit mit dir war nett, aber alles geht einmal zu Ende, hatte er kühl erwidert.

      Sie waren auseinander gegangen wie Fremde. Alles war gesagt. Ein letzter kühler Blick. Dann war er ebenso plötzlich aus ihrem Leben verschwunden wie er hineingetreten war.

      Und sie hatte erkennen müssen, dass dieser Mann, von dem sie gehofft hatte, er würde von nun an zu ihrem Leben gehören, wohl niemals etwas für sie empfunden hatte. Nur, weshalb hatte er sich dann überhaupt um sie bemüht?

      Was hatte er von ihr gewollt?

      Inwiefern war sie überhaupt jemals für ihn von Interesse gewesen?

      Hatte er es auf ihr Vermögen abgesehen? Allerdings hatten sie darüber nie gesprochen, und er hatte sie auch nie um Geld gebeten. Das konnte es also nicht gewesen sein.

      Aber was dann?

      Sie senkte den Kopf und blickte auf ihren Hund Baro, der friedlich zu ihren Füßen schlief. Frank hatte Baro ebenso wenig leiden können wie dieser ihn. Vielleicht hatten ihr kleiner Beschützer und ihre Schwester diesen Mann von Anfang an durchschaut und richtig eingeschätzt.

      Frank mochte ihren kleinen Hund nicht, hatte sie sogar dazu überreden wollen, sich von ihm zu trennen, etwas, dass für sie nie in Frage gekommen wäre. Hätte er darauf bestanden, wäre es das Ende ihrer Beziehung gewesen. Baros unerschütterliche Liebe und Treue hatte sie schon so oft in schweren Zeiten getröstet, denn ihr kleiner Freund enttäuschte sie nie. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und würde ihn niemals in Stich lassen.

      Nachdenklich starrte sie auf die dunkelbraune Hundeleine in ihrer Hand. In das Leder gepresst stand dort Baros Name. Lächelnd nahm sie ein weiches Tuch aus ihrer Tasche und polierte die Goldbuchstaben. Nachdem die Buchstaben glänzten, hängte sie die Leine über die Rückenlehne der Bank, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sekunden später war sie eingeschlafen.

      Schrilles, hektisches Bellen, riss Samantha abrupt aus ihrem leichten Schlummer. Erstaunt musterte sie ihren zitternden Hund, den sie noch nie so aufgeregt erlebt hatte.

      „Was ist denn los, Baro? Hast du schlecht geträumt?“, fragte sie verwundert. Dabei schweifte ihr Blick aufmerksam über den stillen Platz, an dem sie mit Frank verabredet war.

      Und plötzlich fragte sie sich, wieso sie mit einem Treffen an diesem Ort überhaupt einverstanden gewesen war? Immerhin hatte er sie bei ihrem letzten Zusammensein eiskalt und endgültig abserviert.

      Ich hätte auf Charlotte hören und seine Nachricht sofort zerreißen sollen, dachte sie reumütig. Warum tat ich es dann nicht? Aus Neugier? Wollte ich einfach nur wissen, wieso er nicht wie geplant das Land verlassen hat? Vielleicht. Und jetzt kommt er noch nicht einmal, lässt mich hier an diesem verlassenen Ort einfach sitzen, ärgerte sie sich.

      Zum Teufel! Was denkt sich dieser Mann?!

      Unbehaglich musterte sie ihre Umgebung, die ihr plötzlich bedrohlich erschien. Ein ungutes Gefühl, eine Empfindung von Einsamkeit und Gefahr kroch in sie hinein. Und erstmals erkannte sie, wie einsam gelegen dieser Treffpunkt wirklich war. Hilfe hatte sie an diesem verlassenen Ort bei Gefahr sicherlich nicht zu erwarten.

      Sie drehte sich im Sitzen um und musterte misstrauisch den dichten Wald hinter sich, der sich über viele Hektar Fläche ausdehnte. Aber von dort waren keinerlei Geräusche zu vernehmen, welche die Anwesenheit Fremder vermuten ließen.

      „Wer sollte sich wohl auch hierher an diesen abgelegenen Ort verirren“, murmelte die einsame Frau in die Stille um sich herum. Und doch hatte irgendetwas ihren kleinen Hund aufgeschreckt, der ganz nahe an sie herangerückt war und seinen Kopf an ihr Bein presste.

      Hatte ihn vielleicht ein Tier in dem Wald hinter ihr erschreckt? Sie beugte sich vor und streichelte zärtlich sein weiches Fell.

      „Was ist los, Baro? Was hat dich so erschreckt? Du zitterst ja immer noch“, sagte sie besorgt.

      Die schokoladenbraunen Augen des Hundes sahen sie verständig an.

      „Ist jetzt alles wieder gut?“, fragte sie zärtlich.

      Nein, das war es Baros Verhalten nach anscheinend ganz und gar nicht. Seine Ohren zuckten nervös, seine Lefzen zogen sich zurück, seine Mundwinkel reichten plötzlich bis fast an seine Ohren.

      Knurrend kam er mit einem Satz auf die Beine. Seine braunen Augen sahen Samantha auffordernd an; und dann geschah etwas, das sie völlig überraschte, weil sie es nicht für möglich gehalten hätte. Der kleine Hund drehte sich um und verschwand mit wenigen Sätzen im Wald.

      Die Frau sah ihm sprachlos hinterher.

      Baro wich nie von ihrer Seite, war noch niemals zuvor fortgelaufen. Was hatte ihn jetzt dazu veranlasst?

      Einen Moment lang vernahm sie noch sein Bellen, das sich nach einer Weile jedoch in dem dichten Wald verlor.

      Dann war es plötzlich still.

      „Baro?“, flüsterte die Frau verwirrt. Sie starrte auf die undurchdringliche Barriere dicht stehender Bäume und fühlte sich plötzlich sehr allein.

      „Baro?“, murmelte sie. Sorge um ihn riss sie jählings aus ihrer Lethargie. Sie sprang auf und eilte ihrem Hund hinterher.

      Sie fegte Blätter und Zweige beiseite, die ihr den Weg ins Innere des Waldes versperrten. Dabei beachtete sie weder die Schrammen an ihren Armen noch die Beschädigungen an ihrer Kleidung, die ihr aggressives Vorgehen verursachten.

      Sie stürmte voran ohne zu überlegen.

      Und der Wald schloss sich lautlos wieder zu einer dichten Wand hinter ihr.

      Zwischen den Bäumen hindurch, die nur diffuses Licht bis zum Waldboden durchließen, hastete die Frau in dem Bestreben, ihren kleinen Freund einzuholen. Einzig die Sorge um ihren Gefährten trieb sie voran.

      Immer wieder rief sie Baros Namen. Immer tiefer eilte sie in die Schatten hinein, welche die alten Baumriesen warfen, nicht überlegend, dass sie sich verlaufen und den Rückweg nicht finden könnte.

      Sie sorgte sich um Baro, musste ihn zurückholen, alles andere war nicht wichtig.

      Um sie herum war es so still wie auf einem Friedhof. Nur die Geräusche, die ihr Vorwärtsstürmen verursachten, störten die Lautlosigkeit ihrer Umgebung. Selbst die Vögel des Waldes hatten ihre manchmal ziemlich schrille Unterhaltung eingestellt.

      Die kopflos dahin eilende Frau bemerkte nichts von alledem.

      Sie wollte ihren kleinen Freund wiederfinden, das war alles, was in diesem Moment für sie zählte.

      Unverdrossen stürmte sie voran, ihrem unausweichlichen Schicksal entgegen.

      DER FUNDORT

      „Was