Bärbel Junker

Die Tote auf der Bank


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dunkelgraue Designertasche rundeten ihr ansprechendes Outfit perfekt ab. Ihre mahagonifarbenen Haare trug sie hochgesteckt. Ihre grünen Augen musterten aufmerksam die beiden Kommissare.

      „Sie glauben Ihre Schwester auf dem Zeitungsfoto erkannt zu haben, Frau Berger?“, fragte Kommissar Heckert, nachdem sie sich bekannt gemacht hatten.

      Kommissar Schuster, der neben dem Schreibtisch stand, verfolgte aufmerksam das Gespräch.

      „Ich glaube es nicht nur, Herr Kommissar Heckert. Ich weiß es“, erwiderte die Besucherin. „Was ist passiert? Wurde Samantha ermordet?“, fragte sie leise.

      „Und wieso vermuten Sie ein Verbrechen? Es könnte doch auch ein Unfall gewesen sein, meinen Sie nicht?“, fragte Kommissar Heckert.

      Katharina Berger sah ihn erstaunt an. „Na, Sie sind gut. Ich bin doch hier bei der Mordkommission, nicht wahr? Was würden Sie denn denken, wenn man Sie dort hinbeordern würde, Herr Kommissar? Doch sicherlich nicht an einen Unfall, oder irre ich mich?“

      „Nein, natürlich nicht. Es war auch nur eine der üblichen Fragen“, erwiderte der Kommissar.

      „Was ist passiert? Bitte, sagen Sie es mir“, verlangte Katharina.

      „Wir sprechen darüber, nachdem Sie sich die Verstorbene angesehen haben“, erwiderte Heckert. „Zuerst einmal begleiten wir Sie jetzt zu unserem Rechtsmediziner, der uns bereits erwartet.“

      Katharina Berger stand stocksteif neben der Bahre, auf der ihre tote Schwester lag. Schweigend starrte sie auf Samanthas bleiches Gesicht. Sie stand kerzengerade, vollkommen unbeweglich und sagte kein einziges Wort.

      Man hätte auch sie für tot halten können, hätte sich ihr Brustkorb nicht unter ihren leichten Atemzügen bewegt. Nur Katharinas Körper war hier an diesem schaurigen Ort, ihre Gedanken jedoch weigerten sich das Entsetzliche zu akzeptieren. Sie wanderten stattdessen durch die Vergangenheit, einer Vergangenheit, in der sie und ihre ältere Schwester fest zusammenhielten und glücklich waren.

      Nein, es darf nicht sein, Samantha! Du kannst mich doch nicht alleine lassen. Ich brauche dich. Du bist meine große Schwester, die mir stets beigestanden hat. Du darfst mich nicht verlassen, schrie es in Katharina. Sie starrte in Samanthas bleiches Gesicht, wusste, dass ihr Flehen hoffnungslos war, weigerte sich jedoch, diese Wahrheit zuzulassen, vermochte den Schmerz nicht zu ertragen, zog sich stattdessen in die Vergangenheit zurück.

       Erinnerst du dich noch an unsere Kindheit? Damals, als ich, deine vier Jahre jüngere Schwester, dir ständig nachgerannt bin damit du mich beschützt, mich in meinem Kummer tröstest, wenn unsere Eltern wieder einmal viel zu streng gewesen waren?

       Und dann dieser schreckliche Tag, als dich unsere Eltern zu Tante Thea schickten? Ich war so verzweifelt. Ein ganzes langes Jahr musste ich einsam und allein ohne dich ertragen. Mir erschien dieses traurige endlos lange Jahr damals wie die Zeitspanne eines ganzen Lebens.

       Und dann kehrtest du endlich wieder heim. Aber du hattest dich in dem einen Jahr verändert, warst nicht mehr so fröhlich, wirktest oftmals so traurig, so allein. Und du hast geweint, wenn du glaubtest keiner würde es merken.

       Was ist damals mit dir passiert?

       Ich habe es nie erfahren.

       Ich weiß nicht, weshalb mir gerade jetzt, wo ich dich verloren habe, ausgerechnet diese Zeit einfällt. Es mag einen Grund dafür geben, doch wenn, dann kenne ich ihn nicht.

       Ich bin so unendlich traurig, Samantha. Ich liebe dich so sehr. Wie soll es ohne dich weitergehen? Wir haben uns vertraut, haben über alles gesprochen. Alles vorbei. Ich werde dich vermissen, denn du fehlst mir bereits jetzt schon so sehr.

       Wer hat dir das nur angetan? Du warst doch noch viel zu jung, um bereits jetzt diese Welt zu verlassen. Ich kann es einfach nicht fassen!

      „Ist alles in Ordnung, Frau Berger?“, fragte Kommissar Heckert besorgt, als seine Besucherin so starr neben der Toten stand und sich nicht rührte.

      Katharina zuckte zusammen.

       Nichts ist in Ordnung!

      Nur mühsam gelang es ihr, sich von den Erinnerungen loszureißen. Widerwillig wandte sie sich dem Kommissar zu.

      „Ist die Tote Ihre Schwester?“

      Katharina nickte. „Ja“, erwiderte sie rau.

      Kommissar Heckert nickte dem Rechtsmediziner zu, der etwas entfernt von ihnen stand. Dr. Roth trat an die Bahre und zog das darüber liegende Tuch über das bleiche Gesicht der Toten, während Kommissar Heckert Katharina Berger hinausführte. Kommissar Schuster folgte ihnen.

      ERINNERUNGEN

      Die beiden Kommissare begaben sich zusammen mit Katharina Berger zurück in Heckerts Büro. Katharina nahm wieder auf dem Stuhl Platz, auf dem sie vorher gesessen hatte. Kommissar Schuster setzte sich auf einen Stuhl neben sie.

      Katherina wirkte zwar beherrscht, war jedoch kreidebleich. Dankbar nahm sie den Becher Kaffee entgegen, den ihr Kommissar Heckert anbot. Danach schien es ihr besser zu gehen, denn ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe.

      „Fühlen Sie sich in der Lage, uns jetzt noch einige Fragen zu beantworten oder sollen wir das lieber auf Morgen verschieben?“, wollte Kommissar Heckert wissen.

      „Nein, es geht schon, Herr Kommissar“, erwiderte Katharina leise.

      „Je mehr wir so schnell wie möglich über das Leben Ihrer Schwester erfahren, desto größer ist unsere Chance, des Täters möglichst bald habhaft zu werden“, erklärte Heckert.

      „Dann fragen Sie. Ich möchte es hinter mich bringen, um unbehelligt um meine Schwester trauern zu können. Was wollen Sie wissen? Was wäre für Ihre Ermittlungen wichtig, um den Mörder meiner Schwester zur Verantwortung zu ziehen? Falls ich Ihnen dabei behilflich sein kann, bin ich jederzeit dazu bereit“, sagte Katharina ernst.

      „Ich will, dass dieser Mörder für seine schreckliche Tat bestraft wird, auch wenn das meiner armen Schwester nichts mehr nützt“, fügte sie leise hinzu. Und nun standen ihr doch die Tränen in den Augen, die sie bis jetzt so tapfer zurückgehalten hatte.

      „Also gut, Frau Berger. Was können Sie uns über Ihre Schwester erzählen? Da sie keine Papiere bei sich hatte, fangen Sie vielleicht am besten mit dem Namen, Alter und der Adresse an. Alle weiteren noch erforderlichen Angaben besorgen wir uns dann selbst“, erklärte der Kommissar.

      „Samantha ist achtundzwanzig Jahre alt und ebenso unverheiratet wie ich es bin. Sie lebte in einer Eigentumswohnung im Dahlenkamp in Hamburg-Harburg.

      Meine Schwester war Bankkauffrau und bis zum Tod unserer Eltern, die bei einem Autounfall ums Leben kamen, in einer Bank tätig. Samantha legte ihr Erbe günstig an und vermehrte bienenfleißig ihr Vermögen, während ich mir mit meinem Erbteil den Traum einer eigenen Druckerei erfüllte. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung als Druckerin“, kam Katherina der Aufforderung nach.

      „Wir würden gerne wissen, was Ihre Schwester alleine an diesen abgelegenen Ort geführt haben könnte. Können Sie uns dazu etwas sagen?“, meldete sich Kommissar Schuster zu Wort.

      „Das ist leicht erklärt. Samantha liebte diesen Ort, weil sie dort eine kurze Zeit lang mit ihrem Freund Frank Köster glücklich war. Ihr Freund hatte ihr diesen Platz gezeigt. Samantha war gerne dort. Sie genoss die Stille, wie sie mir erzählte, und fühlte sich bei ihrem neuen Freund wohl auch sicher“, erzählte Katharina und die leise, unterschwellige Skepsis in ihren Worten war nicht zu überhören.

      „Sie sind da anderer Ansicht?“, fragte Heckert.

      „Ich war von jeher eher der nüchterne, rationale Typ von uns beiden“, erwiderte