Wilma Burk

Wo du hingehst, will ich nicht hin!


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die wenigen grauen Strähnen darin fielen nicht auf. Das Schönste an mir schienen die falschen weißen Zähne zu sein. Wenn ich endlich angezogen mit Blusen oder Pullis, die alles verdeckten, mich noch einmal im Spiegel betrachtete, dann leuchteten mir diese Zähne perlweiß entgegen, falls ich es schaffte, mich anzulächeln.

      Helmut, mit Siebenundsechzig fünf Jahre älter als ich, ein langjähriger Freund aus der Zeit mit Konrad, lachte jedes Mal darüber, wenn ich an mir herumkritisierte. „Was bedeuten alle Spuren des Alterns? Schau dich um, Kati, wie jugendlich du noch gegen all die andern wirkst. Du hast wirklich keinen Grund zu klagen.“ Und Margot, seine fünfzehn Jahre jüngere Frau, stimmte ihm zu.

      Misstrauisch sah ich dann die beiden an. Welch ein Lob, jugendlich und nicht alt zu wirken. Wieso ist eigentlich alles, was jung ist, gut und alles, was alt ist, schlecht? Gehörte zu alt früher nicht auch weise und erfahren und zu jung unerfahren zu sein? Was zählt heute eigentlich noch?

      Traudel, meine jüngere Schwester, die noch in den fünfziger Jahren war, kannte diese Gedanken darüber nicht. Zwar war auch sie nicht mehr so gertenschlank wie ein junges Mädchen und hatte hier und da ein ungeliebtes Polster, aber allein in ihrer selbstbewussten Haltung machte sie eine stattliche Figur. Ihre grünblauen Augen nahmen stets flink mit leichter Ungeduld alles in ihrer Umgebung wahr. Mit ihrem dezenten Make-up und den eingeschlagenen roten Haaren, die Strenge nur mit einer in die Stirn gekämmten lockigen Strähne vermindernd, war sie ganz die sich ihrer Wichtigkeit bewusste Geschäftsfrau.

      Wie geduldig wirkte daneben ihr Mann, mein Schwager Karl-Heinz, wenn er mit seinem Meisterkittel, der schon ein wenig über dem Bauch spannte, aus seiner Autowerkstatt trat. Wenn Traudel dann auf ihn energisch einredete, fuhr er sich vielleicht über seine dünnen leichtlockigen Haare, durch die schon auf dem Hinterkopf die Kopfhaut schimmerte, antwortete ihr geduldig und umfasste sie stolz mit seinem Blick.

      Ich fragte mich früher oft, ob sie sich jemals so zanken konnten wie Konrad und ich am Anfang unserer Ehe. Solange Mama bei ihnen war und ihnen ihre drei Kinder großzog, hat sie nie etwas davon erzählt.

      „Mit Karl-Heinz kann man sich ja nicht streiten“, hatte Traudel nach dem Tod von Mama gesagt und darüber geklagt, dazu nun niemanden mehr zu haben. Und das stimmte wohl, war doch Karl-Heinz stets bemüht zu vermitteln. Auch zwischen Traudel und Mama hatte er das oft genug tun müssen.

      Hier bei einer geschäftstüchtigen Mutter, einem ruhigen, fleißigen Vater und einer Großmutter, die immer für die Kinder sorgte und für sie Zeit hatte, war meine Nichte Susanne zusammen mit ihren Geschwistern Klaus und Regina aufgewachsen. Manchmal war mir der Verdacht gekommen, dass Traudel auf Mama um der Kinder willen eifersüchtig war. Doch so konnte sie sich völlig dem Geschäft widmen und es war ihr gelungen, aus einer kleinen Kfz-Werkstatt das stadtbekannte „Autohaus Roth“ zu machen.

      Vielleicht lag es nicht nur an der ruhigen Art von Karl-Heinz, dass sie sich nicht richtig streiten konnten, sondern auch daran, dass die Arbeit von Traudel und Karl-Heinz mit dem Betreiben dieses Autohauses und der Kfz-Werkstatt auf eine gemeinsame Aufgabe konzentriert war. Wenn sie Erfolg hatten, dann hatten sie das gemeinsam, und wenn es eine Krise gab, so mussten sie die zusammen bewältigen. Das war so, trotzdem Karl-Heinz am liebsten nur in seiner Werkstatt rumwerkelte und Traudel alles sonst Geschäftliche überließ.

      Manchmal versuchte Traudel aufzubegehren, Karl-Heinz aber wusste es zu übergehen. Bis, ja bis Traudel nach Mamas Tod durchdrehte. Wohl eine Folge ihrer ausklingenden Wechseljahre. Doch selbst wenn sie unzufrieden mit sich und der Welt Karl-Heinz anschrie, er reagierte nur ratlos darauf. So kam es nie zu einem wirklichen Streit.

      Trotzdem hatte uns dann völlig unerwartet Traudels Ausbruch aus einem erfolgreichen und sicheren Leben getroffen, als sie, gerade über Fünfzig, dem Werben eines reichen Fabrikanten nachgab und mit ihm nach Florida flog. Was hatte sie in ihrem Leben vermisst, dass sie wie in Torschlusspanik alles hinter sich lassen konnte. Sie besaß alles, worum andere Frauen sie beneideten: Erfolg, Ansehen, drei gesunde Kinder, die sie bestens von ihrer Mutter versorgt wusste, und einen Mann, der sie bedingungslos liebte. Was war es, was ihr gefehlt hatte und sie alles vergessen ließ? Doch schon nach wenigen Monaten erkannte sie, dass sie mehr aufgegeben als gewonnen hatte. Dem reichen Fabrikanten hatte nur daran gelegen, sie, die stolze, selbstbewusste Frau zu erobern. Bald zeigte er ihr unverblümt, dass er ihr eine Jüngere vorzog. Da kam sie wieder zu sich. Bitter musste sie erwachen. Und sie kehrte heim in ihr Leben und zu ihrem Mann, der nur gelitten und sie nicht eine Sekunde verdammt hatte. Alle bemühten sich danach, so zu tun, als wäre es nie geschehen. Für Uneingeweihte hatte sie eine Geschäftreise nach Amerika gemacht.

      *

      Aufgewühlt durch das Telefongespräch mit Traudel, waren meine Gedanken in die Vergangenheit gewandert und ich hatte mich in der Erinnerung verloren. Doch nun kehrte ich in die Gegenwart zurück und dachte an Susanne. Sie saß in Berlin und musste so eine schwere Entscheidung treffen. Was Mama dazu sagen würde, war mir klar: „Natürlich geht sie mit Robert mit. Das ist nun einmal so, in einer Familie kann nur einer tonangebend sein, und das sollte der Mann sein. So ist es immer gewesen und darum gab es solche Konflikte nicht.“

      So einfach war das früher? Doch wie viele Tränen mögen gerade darum vergossen worden sein, wenn eine Frau sich darein fügte und ihren eigenen Willen unterdrückte. Ich seufzte! Wie gut, dass ich nie vor so einer Entscheidung gestanden habe. Ich machte einen Schritt an das Regal neben meinem Bett, wo Bild neben Bild, die ganze Vergangenheit meines Lebens stand.

      Ich nahm das Hochzeitsbild von meiner Nichte Susanne in die Hand. Da stand sie neben ihrem noch vollbärtigen Robert und lächelte zukunftsfroh in die Kamera, den Bauch, der bereits vorgeschrittenen Schwangerschaft, unter einem weiten Hängerkleid verbergend. Doch es war nicht mehr das erwartungsvolle Lächeln eines Mädchens, das bis über beide Ohren verliebt war, sondern das besitzsichere Lächeln einer Frau, die ihr zweites Kind erwartete. Das war kein Brautpaar, die Braut in Kranz und Schleier, sondern hier war ein Paar mit modernen Ansichten zu sehen, die eben einmal kurz beim Standesamt vorbeigegangen waren, weil es ihnen so in den Kram passte. „Unbedingt nötig - nein, das war es wirklich nicht“, meinte man, sie sagen zu hören.

      Daneben stand das Hochzeitsbild ihrer Eltern, von meiner Schwester Traudel und Karl-Heinz. Sie war da gerade neunzehn Jahre alt geworden, eine strahlende Braut mit lockigen roten Haaren, in weißer Seide mit einem zum Krönchen gewundenen Myrtenkranz und Schleier. Neben ihr stand stolz Karl-Heinz, der acht Jahre ältere Bräutigam im dunklen Smoking. Wie herrlich war damals dieses Hochzeitsfest gewesen.

      Ich blickte von einem Bild zum andern. Was war es, was die beiden so unterschiedlich machte, und dann doch wieder so gleich erscheinen ließ? Waren es die Illusionen, die sich in dem strahlenden Blick meiner Schwester Traudel ausdrückten, mit denen sie in die Ehe ging, genauso wie ich an meinem Hochzeitstag? Und was konnte man aus dem Blick meiner Nichte Susanne lesen, die doch bewusst sagte, solche Illusionen, wie Traudel und ich, wie unsere Generation sie noch hatte, die wollte sie sich erst gar nicht machen? Sie glaubte ja, so natürlich, so realistisch über alles zu denken. Nein, sie machte sich bestimmt nichts vor, Ehe - na gut, aber ohne Ehe wäre es auch nicht anders, meinte sie. Nur wegen der Kinder, wegen der immer noch veralteten gesellschaftlichen Meinung und der Gesetze, hatte sie ja gesagt. Sie hätte lieber allen bewiesen, dass man auch ohne Ehe genauso gut, wenn nicht noch besser miteinander leben könnte. Doch war das nicht auch eine Illusion, nur eben auf andere Art als bei Traudel und mir?

      Ich stellte die Bilder zurück zu den andern, zu dem, auf dem Konrad liebevoll lächelte, zu dem, wo sich Mama an Papas Arm festhielt und voller Zuneigung zu ihm aufsah, zu dem, das meinen Bruder Bruno mit Frau und Tochter in Australien zeigte, und zu dem, auf dem die drei noch jungen, übermütig grinsenden Kinder von Traudel und Karl-Heinz zu sehen waren. Da stand meine Nichte Susanne als Älteste, die nun schon eigene Kinder hatte, neben ihrem Bruder Klaus und ihrer kleinen Schwester Regina. Der kleine Nachkömmling Regina fiel auf durch ihre eigenwillig jungenhaft kurz geschnittenen roten Haare. Sie mochte nun einmal keine langen Haare. Als Mama das durchsetzen wollte, hatte sie einfach die Schere genommen und sich selbst einen entsetzlichen Fransenkopf geschnitten. Karl-Heinz hatte sich darüber kaputtgelacht und sie gleich fotografiert, er konnte die Empörung von Mama und Traudel nicht teilen. Sein Liebling, das Nesthäkchen,