Ute Christoph

Im Land der drei Zypressen


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die Schnelle meinen Wagen los?

      Trotz des leichten Kostüms, das ich trug, schwitzte ich. Kleine Schweißtropfen lösten sich unter dem Haar in meinem Nacken.

      Ich wendete, fuhr auf den gegenüberliegenden Parkplatz und fand zwischen zwei großen, Respekt einflößenden Limousinen eine Lücke für meinen kleinen Golf. Ich zog den Zündschlüssel ab, wunderte mich kurz, dass er in der Hektik nicht abbrach, raffte die Unterlagen auf dem Beifahrersitz zusammen und hastete zum Haupteingang des Gebäudes.

      Vor der Pförtnerloge im Foyer holte ich tief Luft. Mein Herz schlug bis zum Hals und ich hoffte, der Mann in dem Glaskasten würde es nicht bemerken. Er sah langsam auf, sehr langsam.

      „Ich habe einen Termin bei Herrn Dr. Wagner“, stammelte ich außer Atem. „Vorher müsste ich allerdings noch kurz mit Herrn Bergmann sprechen. Tim Bergmann.“

      „Dann rufe ich erst mal Herrn Bergmann an. Haben Sie bei dem auch einen Termin?“ grinste der Mann.

      Ich tippte ungeduldig mit der Schuhspitze auf den glänzenden Marmorboden und setzte mein schönstes Lächeln auf. „Bitte, rufen Sie Herrn Bergmann an“, sagte ich süß, doch in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

      „Und wen soll ich melden?“ fragte er jetzt ernst.

      „Sagen Sie ihm einfach, seine Frau ist hier.“

      Er griff nach dem schwarzen Telefonhörer, wählte Tims Durchwahl, sprach kurz mit seiner Sekretärin und legte dann auf. „Herr Bergmann ist auf dem Weg“, ließ er mich wissen.

      Ich bedanke mich freundlich, drehte mich um und entfernte mich einige Schritte. Die klimatisierte Eingangshalle war riesig. Ich begann zu frösteln, und auf meinen Unterarmen bildete sich eine leichte Gänsehaut.

      Bis Tim endlich mit angespanntem Gesicht im Foyer erschien, verging eine halbe Ewigkeit.

      „Was ist?“ fragte er. Er wirkte sehr geschäftlich, und ich hatte nicht den Eindruck, dass das nur an seinem schwarzen, perfekt sitzenden Anzug lag.

      „Hallo Tim“, antwortete ich und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, „könntest Du mir einen Gefallen tun?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, drückte ich ihm meine Autoschlüssel in die Hand. „Ich habe jetzt hier im Haus ein Vorstellungsgespräch, habe mich verspätet und deshalb den Wagen dort drüben auf einem der Mitarbeiterparkplätze abgestellt“, sagte ich und deutete mit spitzem Zeigefinger nach draußen.

      „Das sind die Vorstandsparkplätze!“ rief Tim vorwurfsvoll.

      „Oh“, machte ich entschuldigend.

      „Dort kann er auf keinen Fall stehen bleiben!“

      „Ja, aber.“ Ratlos hob ich die Schultern. „Könntest Du nicht vielleicht? Ich bin schon fast eine halbe Stunde über der Zeit.“

      Tim nickte unwillig und verdrehte angesichts meines unverzeihlichen Fehlers die Augen in Richtung Decke.

      Ich wandte mich wieder an den Pförtner.

      „Würden Sie mich jetzt bitte bei Herrn Dr. Wagner anmelden? Mein Name ist Bergmann, Elke Bergmann.“ Und an Tim gewandt: „Kannst Du mir bitte sagen, wo ich sein Büro finde?“

      Lustlos beschrieb er mir den Weg, während er sich mehrmals mit seinen schönen, schmalen Händen durch das dunkle Haar fuhr.

      „Danke, ich komme nach dem Gespräch zu Dir, um die Schlüssel abzuholen.“

      Wieder nickte Tim, um dann grußlos Richtung Vorstandsparkplatz zu verschwinden, auf dem verbotenerweise mein kleines Auto stand.

      Ich sah auf meine Armbanduhr. Wie oft hatte ich das heute schon getan? Etwas mehr als eine Stunde war vergangen, seit ich Tim wiedergesehen hatte.

      Tim war Chefredakteur der Sportzeitschrift des Verlags – der Nummer eins im deutschen Markt. Vor einigen Wochen hatte ich mich auf eine Anzeige der überregionalen Tageszeitung desselben Verlags beworben.

      Die Türen des voluminösen Fahrstuhls öffneten sich, und ich betrat den langen, breiten Flur der obersten Etage des Verlagsgebäudes, bog nach rechts und stand dann vor seinem Büro. Die Tür war nur angelehnt – die Tür zu den heiligen Hallen, mit denen ich Tim in den letzten Jahren unserer Ehe geteilt und an die ich meinen Mann inzwischen abgetreten hatte.

      Mit der flachen Hand schob ich sie auf. Die Deckenfluter spendeten dem riesigen Raum ein sanftes Licht. Die Luft roch angenehm nach Vanille und Tims After Shave. Er sah von seinem Schreibtisch auf.

      „Danke, dass Du Dich um den Wagen gekümmert hast.“

      Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und? Wie ist es gelaufen?“

      Ich hob die Schultern. „Sicherheitshalber schlafe ich eine Nacht drüber, und wenn ich mich morgen noch genauso fühle wie jetzt, sage ich ab.“

      „Die sind Dir zu politisch, oder?“ fragte er, ein bisschen von oben herab.

      „Damit käme ich zurecht. Ich würde eher sagen, die sind mir politisch zu extrem.“

      Tim nickte. „Und wie geht es Dir ansonsten?“

      Mit dieser Frage konnte er mich aus der Reserve locken. Ruhig zählte ich auf: „Wir haben uns getrennt, ich habe außerdem einen wichtigen Menschen verloren und nun – als wäre das nicht schon genug – wird der Standort unserer Redaktion nach Berlin verlegt. Da ich nicht mit nach Berlin umziehen will, brauche ich jetzt auch noch einen neuen Job – zu viel auf einmal, wenn Du mich fragst.“ Ich schluckte.

      Tim hatte mich aus der Reserve gelockt, doch er selbst schien es nicht zu bemerken. Gedankenverloren trommelte er mit den Fingern auf der edlen Mahagoniplatte seines großen Schreibtisches herum. Seine Frage nach meinem Befinden war wohl rein rhetorischer Natur gewesen. Wirkliches Interesse hatte er nicht.

      „Wie geht es Dir?“

      Er hörte auf zu trommeln und schmunzelte. Endlich ging es wieder um ihn.

      „Ich war am Freitag auf Ingos Party zur Einweihung seines Hauses. Du weißt schon, Ingo – unser Art Director.“

      „Ach ja? Erzähl’.“

      Ein déja vue! Tim hatte von mir immer ein ausgeprägtes Interesse für alles, was ihn betraf, erwartet. Und ich hatte es aufgebracht.

      Während ich mich noch über meine spontane Aufforderung zu erzählen ärgerte, legte Tim auch schon los: „Dort habe ich Michaela kennengelernt“, sagte er schwärmerisch. „Sie ist Belgierin und zurzeit mit ihrem spanischen Freund in dessen Heimat, um ihre Hochzeit vorzubereiten.“ Aber an diesem Freitagabend bei Ingo hatte es zwischen den beiden gefunkt.

      Schlampe, dachte ich. Unsympathische Frau! Als Tim und ich uns damals entschieden hatten zu heiraten, waren mir andere Männer vollkommen gleichgültig gewesen.

      Tims himmelblaue Augen wurden schmal. „Und nun laufe ich ihr über den Weg, und sie will ihren Freund eigentlich gar nicht mehr heiraten. Ich habe sie in eine sehr schlimme Situation gebracht.“

      Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.

      Plötzlich hielt er mir ein Bild unter die Nase. Ich nahm es reflexartig, betrachtete es kurz, murmelte „aha“ und gab es ihm zurück. Ich wollte mich nicht erneut aus der Reserve locken lassen, zumal Tim es beim ersten Mal nicht bemerkt hatte.

      „Was ‚aha’?“ fragte er und legte das Foto vor sich auf den Schreibtisch.

      Meine gegenüber Tim mühsam errichtete Fassade, die mir seit unserer Trennung einen respektvollen Umgang mit ihm ermöglichte, war nicht besonders stabil.

      „Was ‚aha’?“ wiederholte er.

      „Nichts“, log ich.

      Doch die Fassade hatte beim Anblick des Fotos Risse bekommen, fing an zu bröckeln und nur Bruchteile von Sekunden später brach es aus mir heraus: „Durch diese Frau werde ich ersetzt?“ fuhr ich ihn an. „Das kann nicht Dein Ernst sein!“