Farfalla Gris

Schattenkristalle


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der enge Stoff sich sanft an ihren Körper schmiegte und ihr nicht bei jedem Windhauch über den Kopf zu fliegen drohte. Außerdem hasste sie es, wenn Wind und Wetter so an ihren Beinen zerrten und ihr eine Gänsehaut bescherten, dass jedes Flattervieh vor Neid erblassen würde.

      Aleríàs Mutter allerdings hätte dies, wenn sie davon gewusst hätte, nicht gutgeheißen. Frauen mussten, ihrer Meinung nach, adrett und elegant herumlaufen und sich nicht wie ein halber Mann kleiden. Manchmal fragte Aleríà sich, wieso ihre Mutter so streng an solchen Dingen festhielt, wo sie doch in einem einfachen Dorf lebten und nicht in einem noblen Herrenhaus, wie es die Reichen taten.

      Aber fürs Erste wollte sie sich nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen, sonst würde sie ihre Zeit noch länger hier oben verbringen und Ralath dazu anhalten, erneut nach ihr zu sehen und sie zu bedrängen.

      Geschwind zog sie die Laken über den Strohmatratzen glatt und legte die Decken mehr schlecht als recht zusammen – Ordnung war nicht gerade ihre größte Stärke, wie ihre Mutter stets bemängelte.

      Da sie nun augenscheinlich alles im Zimmer erledigt hatte, was so auf den ersten Blick grob ins Auge fiel, befand sie, dass es nun an der Zeit war, zu ihrem Bruder und ihrer Mutter hinunter in die Stube zu gehen und gemeinsam mit ihnen das Frühstück vorzubereiten.

      Kaum hatte sie allerdings die letzte Sprosse der Leiter erreicht, bemerkte sie verwundert, dass gar kein Herdfeuer den Raum erhellte. Lediglich die kaputten Fensterläden ließen durch ihre Löcher ein wenig Licht einfallen. Sie ließen ein diffuses Dämmerlicht entstehen, in dem jedes einzelne Staubkörnchen zu tanzen schien.

      Einzig die Umrisse der Möbel waren halbwegs sichtbar, sodass Aleríà ihnen recht gut ausweichen konnte. Außerdem half ihr ihre Erfahrung weiter, schließlich lebte sie schon seit Jahren hier in diesem kleinen Häuschen nahe dem Wald.

      „Ralath? Mutter?“, rief sie leise und versuchte, ein Geräusch aufzuschnappen, vernahm allerdings nichts außer ihrem eigenen Atem, der laut in der Stille widerhallte.

      Vorsichtig tastete sie sich über den unebenen Boden und erkannte die kleine Kuhle, die kurz vor dem Esstisch kam und die Stühle zum Wackeln brachte, sodass sie gefahrlos an ihr vorbeikam.

      Auf Zehenspitzen schlich sie zum Vorhang, hinter dem sich der Schlafplatz ihrer Mutter befand. Sie hoffte, dort auf jemanden zu treffen. Ein kaum wahrnehmbares Rascheln von Kleidung verriet ihr, dass ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt zu sein schien, obgleich ihr Herz ein paar Takte höher schlug vor Aufregung.

      Mit zittrigen Fingern ergriff sie den abgewetzten Stoff und zog ihn mit einem kräftigen Ruck zur Seite. Das, was sich vor ihr offenbarte, ließ ihr vor Erstaunen die Kinnlade herunterfallen und die Augen vor Überraschung beinahe aus den Höhlen quellen.

      „Überraschung“, riefen ihre Mutter und Ralath im Chor und begannen sogleich, mit langen Zündhölzern Kerzen auf einem mit Zuckerguss versehenen Kuchen anzuzünden.

      „Was zum –?“, fragte Aleríà, verblüfft aufkeuchend.

      „Du hast Geburtstag, kleiner Schmetterling“, lachte ihre Mutter und drückte sie fest an sich, um sie zu beglückwünschen. „Sag mir nicht, dass du das vergessen hast. Heute wirst du schließlich elf Jahre alt!“

      Aleríà konnte es nicht glauben, sie hatte doch tatsächlich ihren Geburtstag vergessen.

      „Komm schon, Aleríà. Puste die Kerzen aus und lass uns endlich Kuchen essen“, rief Ralath begeistert und wollte sich schon das große Küchenmesser schnappen, um den Kuchen anzuschneiden, doch seine Mutter kam ihm zuvor.

      „Aber nicht von dir. Du bist noch ein wenig zu jung dafür!“

      Schmollend ließ er sich auf seinem Stuhl nieder, strahlte aber sofort, als ihm ein großes Stück vor die Nase gesetzt wurde, in das er sogleich entzückt hineinbiss.

      Zusammen erfreuten sie sich an dem leckeren Kuchen und genossen die vertraute Gesellschaft, die jedoch abrupt gestört wurde, als es lautstark an die Tür pochte.

      „Aley, komm raus. Aufstehen, wir wollen dir etwas zeigen“, riefen zwei gedämpfte Stimmen wild durcheinander.

      „Das sind Lika und Roméa …“, bemerkte Aleríà sofort und war bereits aufgesprungen. „Bitte, Mami, darf ich mit ihnen spielen gehen?“

      „Lauf zu, mein Schatz, aber sei vor Sonnenuntergang wieder zu Hause …“, erlaubte es ihre Mutter und blickte dem flatternden Saum nach, der sogleich aus der Tür stürmte – zu ihrem Missfallen trug ihre Tochter wieder diese Hose.

      „Darf ich auch mit ihnen gehen?“, fragte Ralath bettelnd und unterbrach unwissentlich den aufkeimenden Ärger seiner Mutter.

      „Nein, du bleibst heute mal hier und hilfst mir ein wenig. Lass ihr auch mal ein wenig Zeit, um Spaß zu haben mit Mädchen ihres Alters.“

      „Pah … Mädchen sind aber alle doof …“, sagte Ralath eingeschnappt und half seiner Mutter widerwillig, den Tisch abzuräumen.

      „Aleríà, wo bleibst du denn?“, hallten die Stimmen der Zwillinge aus den Tiefen des Waldes wider.

      „Wartet auf mich“, antwortete sie, doch das Rascheln der Sträucher um sie herum täuschte ihre Sinne und ließ sie nicht eindeutig erkennen, in welche Richtung sie laufen musste.

      Ein plötzlich aufkommender Wind erfasste das Laubwerk unter ihren Füßen und begann, spielerisch die Blätter herumzuwirbeln. Feengleich tanzte der kleine Wirbelsturm um Aleríà herum.

      Fasziniert von diesem Schauspiel begann sie, sich mit geschlossenen Augen im Kreis zu drehen und das angenehme Rauschen des Windes an ihrem Körper zu spüren. Für einen Augenblick vergaß sie alles um sich herum und gab sich ganz dem Gefühl des Friedens und der Freiheit hin. Zumindest bis eine leise, krächzende Stimme zu ihr drang.

       Ich werde dich finden …

      Erschrocken stolperte Aleríà über ihre eigenen Füße und fiel zu Boden, während ein regelrechter Blätterregen auf sie niederprasselte.

      „Aleríà“, erklangen nun die Stimmen ihrer Freundinnen, die zurückgelaufen kamen, um nach ihr zu sehen.

      „Wo bleibst du denn?“, riefen sie im Chor und zogen eine völlig verwirrte Aleríà auf die Füße zurück und hinein in den Wald, fort von der Stelle, an der noch immer ein kleiner Blätterhaufen von dem seltsamen Ereignis zeugte.

      Schnell war dieses eigenartige Phänomen vergessen, als Aleríà sah, an was für einen Ort die Zwillinge sie geführt hatten.

      Vor ihr erstreckte sich ein gigantischer See, der in einem nahezu mystischen Azurblau zu leuchten schien und alles mit einer Aura der Ruhe bereicherte.

      „Komm, Aley. Lass uns ein wenig schwimmen gehen“, riefen sie vergnügt aus und rannten bereits zum Wasser, während sie hastig ihre Kleider aufschnürten und zu Boden warfen.

      Ohne lange zu zögern, folgte Aleríà ihnen in das kühle Nass, welches überwältigend kalt über ihr zusammenschlug und ihr für wenige Sekunden den Atem raubte.

      Prustend schnappten ihre Lungen nach Luft, als sie aus den Fluten auftauchte. Sogleich schlug eine Welle über ihr zusammen – die Zwillinge begannen eine Wasserschlacht.

      Wer am Ende siegte, konnte keiner mit Bestimmtheit sagen. Es war aber auch egal. Glücklich und vollkommen erschöpft kletterten die Mädchen ans Ufer zurück und schliefen binnen Augenblicken ein, während die warme Sommersonne sie wärmte.

      Währenddessen hatte Aleríà einen befremdlichen Traum …

      Sie befand sich in einem dunklen Zimmer, welches trotz der Dunkelheit nicht gänzlich finster, sondern von einem flackernden Licht erhellt wurde.

      Neugierig tapste sie auf die Tür zu und bemerkte den orangeroten Schatten, der unter ihr in den Raum fiel.

      Vorsichtig streckte sie ihre winzige Hand empor, um den Türgriff zu fassen, doch schon im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür und ihre Mutter