T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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aus. Als der Mann, welcher so gut verstand, Fallen zu

       stellen, sah, daß er und die Seinen bald arg würden

       hungern müssen, sprach er zu seiner Mutter:

       »Backe mir sieben Kuchen. Dann will ich fortgehen

       und sehen, wo ich etwas Speise finden kann.

       Vielleicht kann ich etwas Wild erlegen oder in der

       Falle fangen; vielleicht finde ich Früchte.«

       Sie tat, wie er gebeten hatte, und er ging fort. Im

       Walde aber verirrte er sich, und es verging Tag um

       Tag und Nacht um Nacht, ohne daß er seinen Weg

       wiederfand. Von seinem Vorrat hatte der Mann schon

       sechs Kuchen verzehrt, und nur einer war ihm noch

       geblieben. Um ihn herum wurde der Wald immer dikker,

       die Wildnis immer undurchdringlicher. Was sollte

       daraus werden? Da begegnete ihm ein Affe.

       »Wo gehst du hin, du Sohn der Menschen?« redete

       der den Verirrten an.

       »Ich kann meinen Weg nicht finden; ich weiß nicht

       ein, noch aus!« antwortete der Mann.

       »Ruhe dich hier aus,« sagte der Affe. »Jetzt will ich

       dir das Gute lohnen, was du mir tatest; denn ich bin

       es, den du aus der Falle ließest.«

       Da ging der Affe in die Gärten und Plantagen der

       Menschen und stahl reife Bananen und brachte sie

       dem Manne.

       »Nimm und iß,« sagte er zu ihm; »ich werde dir

       auch noch Wasser bringen.«

       Als nun der Mann sich geruht hatte und sein Durst

       und Hunger gestillt war, nahm er Abschied von dem

       Affen.

       Einige Stunden später traf er einen Löwen. Sein

       Schreck war anfänglich groß, doch er konnte bald

       sagen, daß der Löwe ihm kein Leid tun wollte; denn

       er redete den Mann an und sprach:

       »Woher kommst du, Sohn eines Menschen, und

       wohin willst du?«

       Er antwortete:

       »Ich habe mich im Walde verirrt und kann meinen

       Weg nicht finden.«

       »Setze dich nieder,« sagte der Löwe, »und ruhe

       dich aus, daß ich dir vergelten kann, was du an mir

       getan hast; denn ich bin es, den du aus der Falle befreit

       hast. Jetzt will ich dir helfen.«

       Da ruhte der Mann sich aus, indessen der Löwe

       fortging und Wild zur Speise seines Schützlings fing.

       »Iß dies,« sagte er, als er zurückkam und zeigte

       dem Mann eine Stelle im Walde, wo er Feuer machen

       und das Fleisch rösten konnte. »Ich bin kein Mensch,

       deshalb bin ich dankbar für empfangene Guttaten.«

       Der Mann aß, und dann nahm er Abschied von dem

       Löwen.

       Wieder war er eine weite Strecke Weges gewandert,

       da kam er auf eine große Plantage. Dort traf er

       ein altes Weib, die sprach ihn an:

       »Wir haben bei uns einen Mann, der krank ist und

       den Tod fürchtet. Kannst du Medizin bereiten, so

       komm mit zu ihm.«

       Er antwortete:

       »Ich kann es nicht!«

       Auf der Plantage fand er einen tiefen Brunnen, und

       da er sah, daß Wasser darin war, wollte er trinken, in

       dem Augenblick aber, als er sich niederbückte, sah er

       eine große Schlange in dem Brunnen, die rief:

       »Du Sohn eines Menschen, warte auf mich.«

       Die Schlange kam aus der Tiefe heraufgekrochen

       und sagte zu dem Manne:

       »Entsinnst du dich meiner? Ich bin es, die du aus

       der Falle errettet hast. Damals sagte ich zu dir: Schütze

       mich vor dem Regen, so will ich dich vor der

       Sonne schützen! Meine Zeit ist gekommen; denn ich

       kann dir meine Dankbarkeit beweisen. Du sollst einsehen,

       daß du deine Wohltat nicht an einen Menschen

       verschwendet hast. Bringe mir deine Tasche, daß ich

       sie dir fülle mit Dingen, die dir von Nutzen sein werden.

       «

       Da gab der Mann ihr seine Tasche, und sie füllte

       sie mit goldenen und silbernen Ketten. Als sie gefüllt

       war, sprach die Schlange: »Nimm dies und sei freigiebig

       damit.«

       Dann wies sie ihm den Weg, den er einzuschlagen

       hatte, um nach seinem Hause zu kommen. Als er nahe

       dabei war, traf er den Mann, den er aus der Falle befreit

       hatte. Der nahm ihm die Tasche ab und lud ihn

       zu sich in sein Haus, und seine Frau bereitete Speise

       für ihn. Während er davon aß, ging der Mann, dem er

       das Leben gerettet hatte, zum Sultan und sprach:

       »Ein Fremder ist bei mir eingekehrt, aber er ist keines

       Menschen Sohn, sondern eine Schlange, und lebt

       in einem Brunnen. Er hat Macht, sich Gestalt zu

       geben, welche er will. Laß ihn festnehmen und nimm

       seine Tasche von ihm; die ist gefüllt mit Ketten aus

       Gold und aus Silber.«

       Der Sultan tat, wie ihm geraten war. Er ließ den

       Mann, der sich gegen Menschen und Tiere so freundlich

       gezeigt hatte, festnehmen und seine Hände binden;

       dann ließ er ihn in das Gefängnis werfen. Als er

       so gebunden und seiner Freiheit beraubt in dem Kerker

       saß, kam die große Schlange aus dem Brunnen

       und bedrohte die Stadt. Da fürchteten sich die Menschen

       und sagten zu dem Gefangenen:

       »Sage der Schlange, sie soll uns verlassen!« Und

       sie ließen ihn frei und nahmen die Fesseln von ihm.

       Er ging zur Schlange und befahl ihr, fortzugehen. Die

       sprach:

       »Nun du frei bist, werde ich gehen. Versprich aber,

       daß du mich rufst, sobald dir jemand ein Leid zufügen

       will.«

       Das versprach der Mann.

       Fortan wurde er hochgehalten und geehrt im ganzen

       Lande. Und man fragte ihn:

       »Warum hat der, dessen Gast du warst, dir Übles

       getan?«

       Er erwiderte:

       »Die Schlange, der Löwe und der Affe haben mich