T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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Als der Löwe halb in die Höhe gezogen

       war, wurde der Riemen zerschnitten, so daß der

       Löwe mit großem Geräusch in die Tiefe fiel und sich

       arg verletzte. Wiederum schlug der Schakal auf die

       Tierhaut, daß es weithin tönte, schalt seine Frau, daß

       sie ihm solch alten, schlechten Riemen gegeben habe,

       und diese, wie ihre Kinder heulten so kläglich, daß

       der Löwe nicht anders konnte, als sie bedauern.

       Darauf rief der Schakal seiner Frau zu, sie solle

       ihm diesmal einen schönen, starken Riemen aus Büf-

       felhaut reichen, der jedwedes Gewicht würde halten

       können.

       Dieser wurde hinuntergelassen und der Löwe in die

       Höhe gezogen. Schon war er so weit, daß er gerade

       über den Rand des Abgrundes in die gefüllten

       Fleischtöpfe sehen und das Fett riechen konnte, als

       wiederum der Riemen zerschnitten wurde. Diesmal

       sauste der Löwe mit solcher Macht auf die Erde, daß

       er mehrere Minuten bewußtlos liegen blieb.

       Als er wieder zu sich gekommen war, rief der Schakal

       ihm mit wehleidiger Stimme zu, er fürchte, alle

       Versuche, den lieben Onkel bei sich oben zu haben,

       seien vergebens; doch könnte man nicht, fragte er

       freundlich, ein schönes, zartes Bruststück vom Elentier

       braten und ihm hinunterwerfen? Der Löwe, dem

       alle Glieder schmerzten, und der überaus hungrig war,

       ging auch hierauf ein und wartete gierig auf den Lekkerbissen.

       Inzwischen machte der Schakal einen Stein

       glühend rot, legte Fett darum und gab ihm den Anschein

       eines schön gebratenen Stückes Fleisch.

       Als der Löwe dies sah, öffnete er seinen großen

       Rachen, so weit er konnte, und der Schakal warf ihm

       die glühende Masse mit wohlgezieltem Wurf hinein.

       Wenige Augenblicke darauf war der Löwe tot. Natürlich

       herrschte große Freude bei der Schakalfamilie auf

       dem Felsen.

       Fußnoten

       1 In Hottentotten- und Kafferngeschichten vertritt der

       Schakal vielfach unseren Reineke, ebenso wie in Suahelisagen

       der Hase oder das Kaninchen diese Rolle

       übernehmen.

       Die Löwin und der Strauß.

       Ein Betschuanamärchen.

       Eines Tages brüllte eine Löwin; darauf ließ ein

       Strauß seine Stimme hören und brüllte auch. Als die

       Löwin dem Platze nahe gekommen war, wo der

       Strauß stand, sprach sie zu diesem:

       »Bitte, brülle noch einmal!«

       Dies tat der Strauß, und die Löwin fand, daß ihre

       beiden Stimmen einander glichen; deshalb sagte sie

       zu dem Strauß:

       »Du bist meinesgleichen; laß uns zusammen auf

       Jagd gehen.«

       Als sie jagten und viel Wild sahen, erlegte aber die

       Löwin nur ein einziges Stück, während der Strauß,

       indem er nach seiner Beute schlug, eine große Menge

       mit seiner großen Klaue tötete.

       Da sie nun müde und hungrig waren, rief die

       Löwin ihre Jungen und legte sich mit ihnen in den

       Schatten eines Baumes.

       »Mache das Fleisch zurecht,« sprach sie zum

       Strauß, »und laß uns essen.«

       »Tue du es,« entgegnete der Strauß; »ich will nur

       das Blut haben.«

       Da aß die Löwin mit ihren Jungen das Fleisch, und

       der Strauß trank das Blut.

       Dann legten sie sich schlafen; aber die jungen

       Löwen spielten umher. Als der Strauß schlief, öffnete

       er den Schnabel, und die kleinen Löwen traten an ihn

       heran und sahen, daß er keine Zähne hatte; sofort gingen

       sie zu ihrer Mutter, weckten sie und sprachen:

       »Dieser Bursche dort will deinesgleichen sein und

       hat keine Zähne. Das ist eine Beleidigung!«

       Als die Löwin dies gehört hatte, stand sie auf,

       weckte den Strauß und sprach: »Laß uns kämpfen!«

       Und sie kämpften.

       Da sagte der Strauß zur Löwin:

       »Stelle du dich auf diese Seite des Ameisenhaufens;

       ich werde mich auf jene Seite stellen.«

       Nun schlug er gegen den Ameisenhügel und warf

       der Löwin die Erde ins Gesicht. Danach tötete er sie

       mit seiner Klaue durch einen Schlag in ihre Leber.

       Eine Zulukindergeschichte.

       Einstmals erhob sich ein gewaltiger Sturm, der trug

       eine Schar Kinder in die Wüste. Unter ihnen war auch

       ein kleiner Knabe, der hieß Tsegana-nkokopana.

       Als es einmal in der Wüste anfing zu regnen, sagte

       er zu den Mädchen:

       »Wenn ich zu dem Stroh sage, es soll zu einer

       Hütte werden, so wird es meinen Worten folgen.«

       »Tue es!« sprachen die Mädchen.

       Er tat es, und aus dem Stroh wurde eine Hütte.

       Als es Nacht wurde, kam ein Menschenfresser, der

       wollte alle Kinder verschlingen. Sie fürchteten sich

       und kletterten eiligst auf einen hohen Baum, welcher

       nahe der Hütte stand, und sagten zu diesem:

       »Falle nicht!«

       Der Menschenfresser kam an den Baum und fing

       an, ihn zu zersägen, aber er fiel nicht um; deshalb

       ging der Mann am folgenden Tage fort.

       Darauf kam ein großes Wesen, wie die Kinder noch

       nie ein ähnliches gesehen hatten, das nannten sie Pukhupukhu

       und freuten sich darüber.

       »Pukhu-pukhu,« riefen sie, »komm her, komm her

       und gehe mit uns!«

       Pukhu-pukhu kam, nahm die Kinder und brachte

       sie ihren Eltern wieder. Als er mit den Kindern zum

       Eingange des Kraals gekommen war, zu dem sie gehörten,

       stand er still. Da kam die Mutter von Tsegana-

       nkokopana und warf Asche über ihn. Darauf nahten

       noch andere Frauen, und Pukhu-pukhu sprach zu

       ihnen: »Sagt euren Leuten, sie sollen mir rote Erde