T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


Скачать книгу

Kind gelegen hatte, lag ein Kürbis, und das Kind war

       nirgends zu finden.

       Der Mann hob inzwischen den Deckel des Kochtopfes

       hoch, und siehe da, aus dem kochenden Wasser

       hüpfte frisch und munter ihm sein Kind entgegen!

       »Ich bin am Leben!« sprach es. »Ein andermal aber

       darf meine Mutter nicht die Worte verachten, die zu

       ihr gesprochen sind, selbst wenn es nur ein Kürbis ist,

       der sie sagt.«

       Der Mann und die Frau waren von Herzen froh,

       daß sie ihr Kind wieder hatten, und alle drei gingen

       zusammen auf das Kürbisfeld und trugen den großen

       Kürbis wieder an den Ort, auf dem er gewachsen war.

       Eine Tierfabel der Somalineger.1

       Einstmals gingen der Löwe, die Hyäne und der Fuchs

       auf die Jagd, und sie fingen ein Schaf. Als sie die

       Beute teilen wollten, rief die Hyäne: »Mir gehört das

       Hinterteil; der Löwe mag das Vorderteil des Schafes

       behalten, und der Fuchs soll die Eingeweide und die

       Füße bekommen.« Da wurde der Löwe wütend, hob

       seine Tatze auf und schlug der Hyäne ein Auge aus.

       »Teile du!« wandte er sich dann zum Fuchs.

       »Kopf, Füße und Eingeweide gehören der Hyäne

       und mir,« sagte der erschrockene, schlaue Fuchs.

       »Wer hat dich gelehrt, so zu sprechen?« fragte der

       Löwe erstaunt.

       »Das Auge der Hyäne!« entgegnete der Fuchs.

       Fußnoten

       1 Die Somalineger gehören seit vielen Jahrhunderten

       bereits zum großen Teil der Religion Mohameds an,

       da die Lage ihres Landes am Golf von Aden sie mit

       den Arabern in vielfache Verbindung brachte. Sie

       sind kriegerisch und grausam und haben verhältnismäßig

       einen sehr geringen Schatz an Sagen; auch

       sind die wenigen, welche man kennt, meist von gewalttätiger

       Tendenz.

       Ein Zulumärchen von der Hyäne.1

       Eine Hyäne hatte einstmals einen Knochen gefunden,

       nahm ihn in ihr Maul und lief damit ans nahe Wasser,

       um dort ihre Mahlzeit zu verzehren. In dem klaren

       Spiegel des Wassers sah sie den Mond wie ein

       großes Stück Fleisch vor sich. Gierig schnappte sie

       danach und ließ dabei die Knochen auf den Boden

       fallen. Das vermeintliche Stück Fleisch auf dem

       Grunde des Wassers konnte sie nicht erhaschen; aber

       jedesmal, wenn sie danach tauchte und schnappte,

       wurde das Wasser trübe, und die enttäuschte Hyäne

       legte sich dann geduldig an das Ufer, um zu erwarten,

       bis es wieder klar und ruhig geworden war; dann begann

       sie ihr gieriges Spiel von neuem. Inzwischen

       kam eine andere Hyäne und nahm den verschmähten

       Knochen fort. Nach und nach fanden sich auch andere

       Tiere ein, die lachten die Hyäne aus, als sie sahen,

       wie sie immer wieder in das Wasser tauchte, nach

       dem Spiegelbilde des Mondes haschte und wieder

       herauskam, indessen ihr das Wasser aus dem Munde

       lief.

       Noch jetzt sagt man spottend zu einem, der das

       Gute fortwirft, um nach Besserem zu haschen, ohne

       es schließlich zu gewinnen: »Du gleichst der Hyäne,

       die den Knochen verachtete und nach dem Monde

       haschte.«

       Fußnoten

       1 Dieses Zulumärchen erinnert in seiner Moral wunderbar

       an Äsop, auch an Lessing und La Fontaine, –

       wiederum ein Beweis der übereinstimmenden Phantasie

       des Menschen zu allen Zeiten und in allen Ländern.

       Wie es kommt, daß die Nase des Hasen

       gespalten ist.1

       Ein Hottentottenmärchen.

       Der Mond sandte einst ein Insekt zu dem Menschen

       und sprach zu ihm: »Sage dem Menschen, der Mond

       sende ihnen folgende Worte: ›Wie ich sterbe und im

       Sterben noch lebe, werdet auch ihr sterben und

       leben.‹«

       Da machte das Insekt sich auf mit der Botschaft.

       Unterwegs traf es den Hasen; der hielt es an und fragte:

       »Wohin gehst du?«

       Das Insekt antwortete:

       »Der Mond hat mir befohlen, zu den Menschen zu

       gehen und ihnen zu sagen: Der Mond sendet ihnen

       folgende Worts: ›Wie ich sterbe und im Sterben noch

       lebe, werdet auch ihr sterben und leben.‹«

       Da sprach der Hase: »Laß mich hingehen; ich laufe

       besser.«

       Dann lief er davon. Als er zu den Menschen kam,

       sagte er: »Der Mond läßt euch sagen: ›Wie ich sterbe

       und vergehe, so werdet auch ihr sterben und vergehen

       und nicht mehr sein.‹«

       Darauf lief der Hase zum Mond und erzählte ihm,

       was er den Menschen gesagt hatte.

       Der Mond wurde böse, als er dies hörte, und

       sprach zu dem Hasen:

       »Wie kannst du dem Menschen sagen, was ich dir

       nicht aufgetragen habe?« Und er schlug ihn mit einem

       Scheit Holz auf die Nase, daß sie sich spaltete.

       Fußnoten

       1 W i e e s k o m m t , d a ß d i e N a s e d e s

       H a s e n g e s p a l t e n i s t (Hottentotten);

       W a r u m e s g u t i s t , d a ß d i e M e n -

       s c h e n s t e r b e n (Sage vom Viktoriasee); S a g e

       v o m C h a m ä l e o n (Haussastamm); W a r u m

       d e r M e n s c h s t i r b t (Goldküste); W i e d e r

       T o d i n d i e W e l t k a m (Zulu) sind alles

       Sagen des gleichen Inhaltes in mehr oder minder veränderter

       Form. Eine wunderbare Gleichheit der Mythologie

       der Bantuvölker in dem weiten afrikanischen

       Gebiet ist in diesen Sagen enthalten, in allen liegt der

       tiefe Gedanke an die Vergänglichkeit alles Bestehenden.

       Warum es gut ist, daß die Menschen sterben.1

       Eine Sage der Eingeborenen vom Viktoriasee.

       Im Anfange gab es auf der Erde zwei Menschen,

       einen Mann und eine Frau. Die Frau