T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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Am nächsten Tage gingen sie wieder zu ihrem

       Spielplatz. Da fragte das Mädchen, welches den

       Regen gemacht hatte:

       »Hat einer von euch mein Geheimnis verraten?«

       »Niemand,« antworteten sie.

       Ein Mädchen unter ihnen aber hatte sich eine List

       ausgesonnen und zwei Wassertöpfe mitgebracht. Den

       einen versteckte es im Gebüsch.

       Wieder blickte das andere Kind auf zum Himmel

       und hieß ihre Gespielen schnell ihre Wasserkrüge um

       sie herumzusetzen.

       Da kam eine große Wolke, die gab vielen Regen,

       aber der Regen fiel nur in die aufgestellten Krüge.

       Als es aufgehört hatte zu regnen, goß das Kind,

       welches zwei Krüge hatte, einen Teil des Wassers

       heimlich in den Krug, den es im Busche versteckt

       hatte. Bald darauf, als sie fertig gekocht und gegessen

       hatten, gingen sie heim. Da es Nacht war und alles

       schlief, ging das Kind zu seiner Mutter, weckte sie

       und sprach:

       »Ich habe dir etwas zu erzählen; erst aber versprich,

       daß du es niemandem weiter sagst.«

       Sie antwortete:

       »Erzähle, mein Kind!«

       Darauf faßte das Kind seine Mutter bei der Hand

       und führte sie dahin, wo sie den Topf mit dem Wasser

       versteckt hatte.

       Die Frau erzählte die Geschichte von dem wunderbaren

       Regen einer anderen und diese wieder einer anderen,

       bis schließlich der Sultan davon hörte.

       Der Sultan schickte sofort zu seinem Vezier und

       befragte ihn in der Angelegenheit.

       »Laß uns Brunnen graben,« sprach der Vezier, und

       alsbald wurden viele und tiefe Brunnen gegraben.

       Als die Brunnen fertig waren, ließ der Sultan das

       Kind, welches den Regen gemacht hatte, holen, gab

       ihm vielen Schmuck und sprach: »Laß Regen für

       mein Land herniederfallen.«

       Das Kind sprach zu dem Sultan und den Leuten,

       welche sich um ihn versammelt hatten:

       »Geht weiter fort von mir!«

       Sie alle aber weigerten sich, diesen Worten zu gehorchen.

       Endlich blickte das Kind auf zu den Wolken, deren

       eine Menge am Himmel standen. Sofort ergoß sich

       unendlicher Regen auf das Land, und es blitzte und

       donnerte, so daß alle Menschen erschraken. Dabei

       sahen sie, wie inmitten von Blitz und Donner das

       Kind vor ihren Blicken von der Erde fortgenommen

       wurde und in den Wolken verschwand.

       Der Löwe und der Schakal.1

       Ein Hottentottenmärchen.

       Der Löwe und der Schakal kamen einstmals überein,

       daß sie auf Jagd gehen und die Beute miteinander teilen

       wollten, damit sie für sich und ihre Familien für

       die Regenzeit einen guten Vorrat hätten.

       Da der Löwe von den beiden bei weitem der beste

       Jäger war, so schlug der Schakal vor, daß sie sich in

       die Arbeit teilen wollten. Der Löwe sollte jagen, während

       der Schakal mit seiner Frau das Erlegte in die

       Höhlen schleppte, das Fleisch zubereitete und trocknete.

       Es verstünde sich von selbst, fügte der Schakal

       hinzu, daß er die Frau des Löwen und seine Kinder

       reichlich mit Nahrung versehen würde.

       Auf diesen Vorschlag ging der Löwe ein, und die

       Jagd begann.

       Nachdem er eine überaus reiche Beute an Wild

       aller Art gemacht hatte und längere Zeit von den Seinen

       abwesend gewesen war, kehrte er heim. Schon auf

       dem Wege freute er sich auf die Mahlzeit, welche ihn

       dort erwartete. Zu seinem Staunen fand er sein Weib

       und seine Kinder dem Hungertode nahe. Der Schakal

       hatte ihnen stets nur armselige Brocken von seinem

       Überfluß gegeben und sich immer damit entschuldigt,

       daß das Jagdergebnis wider Erwarten schlecht sei. Inzwischen

       aber schwelgte seine eigene Familie.

       Der Löwe war wütend. Sofort trabte er los, schwur

       dem nichtswürdigen Schakal und seinen Angehörigen

       einen sicheren Tod, wann und wo er sie treffen würde.

       Der Schakal hatte sich inzwischen schon auf alles

       vorbereitet. Er war mit allem, was er sein eigen nannte,

       auf einen hohen Felsen gegangen, zu dessen Spitze

       nur ein äußerst schwieriger, geheimer Pfad führte.

       Als der Schakal den Löwen sah, rief er ihm sofort

       von seiner sicheren Höhe einen freundlichen »Guten

       Morgen, Onkel!« zu. Der Löwe aber brüllte ihm mit

       weithin donnernder Stimme zu:

       »Wie kannst du es wagen, mich Onkel zu nennen,

       du frecher Schurke, nachdem du dich so schamlos

       gegen meine Familie benommen hast!«

       »O Onkel, Onkel, wie kann ich dir das alles erklären!

       « jammerte der Schakal. »Das scheußliche Weib,

       dies gräßliche Geschöpf!«

       Bumm! bumm! bumm! hörte der Löwe, als der

       Schakal mit einem Stock auf eine getrocknete Tierhaut

       schlug und seine Frau ein klägliches Geheul an-

       stimmte, als wäre es ihr Rücken, der die Schläge

       bekam; auch die kleinen Schakals stimmten ein.

       »Das Scheusal!« schrie der Schakal immer wieder.

       »Es ist einzig und allein ihre Schuld! Ich schlage sie

       tot! tot! tot!«

       Schließlich war der Löwe so gerührt durch das entsetzliche

       Geheul, welches er oben auf dem Felsen

       hörte, daß er den Schakal bat, mit seiner Züchtigung

       innezuhalten. Da lud der Schakal den Löwen ein,

       doch zu ihm heraufzukommen, um bei ihm zu essen.

       Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen, die steile

       Höhe zu erklimmen, erklärte der Löwe, er müsse es

       aufgeben.

       Der Schakal aber, der stets Rat wußte, war auch

       jetzt in keiner Verlegenheit. Er schlug vor, seinen

       Onkel an einem langen Riemen hinaufzuziehen. Der