T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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verkauften oder Dienste leisteten.

       »Er gibt uns doch nicht, was uns zukommt,« sagten

       die Menschen und wollten mit ihm nichts zu tun

       haben.

       Eines Tages hatte der Geizhals kostbares Glas gekauft.

       Da er ein schwacher, alter Mann war, konnte er

       die schwere Kiste mit dem Glas nicht selber tragen

       und mußte jemanden suchen, der es für ihn täte.

       »Entweder bezahle ich dir deine Mühe in Geld,«

       sagte er zu einem Manne, der sich zu dem Dienste bereit

       erklärt hatte, »oder ich werde dir drei Worte

       sagen, die dir im Leben von Nutzen sein werden.

       Wähle!«

       »Sage mir die drei Worte!« entgegnete der Mann.

       Dann nahm er die Kiste, setzte sie sich auf seinen

       Kopf1 und trug sie eine Strecke Weges. Als er sich

       ausruhen wollte, sprach er:

       »Herr, ein Drittel des Weges habe ich hinter mir;

       gib mir eins der drei Worte zu wissen.«

       Da sprach der Geizhals:

       »Glaube dem nicht, der dir sagt, Sklaverei sei besser

       als Freiheit.«

       Der Träger nahm seinen Weg wieder auf. In seinem

       Innern aber dachte er:

       »Dieser Mensch ist schlimmer als ein Geizhals;

       denn er ist ein arger Betrüger.«

       Nach abermals einer Weile setzte er die Kiste nieder

       und sprach:

       »Ich will ausruhen! Sage mir das zweite Wort.«

       Der Geizhals sprach:

       »Sollte sich jemand finden, der dir sagt, Armut

       bringe Glück, und Reichtum Unglück, so glaube es

       nicht.«

       Wieder hob der Mann seine Last auf den Kopf und

       trug sie bis vor das Haus des Geizhalses.

       »Welches ist das dritte Wort?« fragte er diesen.

       »Erst setze die Kiste nieder!«

       »Nein, erst sage das Wort!«

       »Glaube niemandem, der es versucht, dir einzureden,

       Hunger tue nicht weh,« lauteten die Worte des

       Geizhalses.

       »Gehe zur Seite, Herr,« rief der Träger der Kiste,

       »damit ich meine Last niedersetze!« Dabei ließ er sie

       mit großem Krach zur Erde fallen.

       »Was hast du getan?« jammerte der Geizhals.

       »Du hast mein Glas zerbrochen!«

       Da sprach der Mann:

       »Wenn jemand kommt, der dir sagt, es sei etwas

       anderes als Scherben in der Kiste, so glaube ihm

       nicht.«

       Fußnoten

       1 Die Sitte, Lasten auf dem Kopfe zu tragen, ist wohl

       eine so ziemlich bei allen Negerstämmen übliche. Es

       ist erstaunlich, welch ein Gewicht ein Schwarzer auf

       diese Weise ohne Ermüdung weite Strecken tragen

       kann. In Süd- und Ostafrika benutzen die Leute einen

       aus Gräfern geflochtenen Teller, den sie zwischen

       Schädel und Last schieben, und der vor zu großem

       Drucke schützt.

       Der Wind.

       Eine Buschmannsage.

       In früheren Zeiten war der Wind ein Mensch, und als

       solcher ging er umher und schoß die Tiere des Feldes.

       Da wurde er plötzlich in einen Vogel verwandelt. Da

       er nun nicht mehr auf die Jagd gehen konnte, breitete

       er seine Flügel aus und flog in die Berge und verbarg

       sich in einer Kluft. Diese Kluft wurde seine Heimat.

       Nur wenn er die Kraft seiner Schwingen üben will,

       dann verläßt er die Berge und fliegt weit über die

       Erde; aber die Menschen sehen es nicht, daß er ein

       Vogel ist. Wenn er fliegt, dann läßt er seine Blicke

       weithin schweifen und sucht sich Nahrung. Sobald er

       seinen Hunger gestillt hat, kehrt er zurück in seine

       Kluft, und dort schläft er, bis er gestärkt wieder erwacht

       und von neuem seinen Flug über die Erde beginnt.

       Die verlorenen Kinder Gottes.

       Eine Madagaskarsage.

       Der Erschaffer der Welt, der Geist, von dem alles

       Leben ausgeht, Gott, hatte zwei Söhne. Diese stiegen

       hernieder auf die Erde und nahmen zwei Pflegerinnen

       mit sich; denen vertraute Gott sie an. Diese beiden

       Weiber hießen Rakoriaho und Ravao. Die Söhne Gottes

       aber waren eines Tages verschwunden, und Rakoriaho

       und Ravao gingen aus, um sie zu suchen; aber

       auch diese beiden kamen nicht wieder. Da machten

       sich alle Wesen und Dinge auf der Erde auf die Wanderschaft,

       um die verlorenen wiederzufinden. Die

       Steine, die Bäume, die Menschen, das Wasser – alles,

       was lebte und nicht lebte, suchte. Aber es half nichts;

       die Vermißten kamen nicht zurück. Endlich fragten

       die Menschen bei Gott an, ob er nicht sagen könne,

       wo man zu suchen habe. Als Gott die Bitte der Menschen

       hörte, sprach er:

       »Jeder Mensch, jeder Stein, jedes Tier, jeder Baum

       und das Wasser soll aufhören zu suchen und bleiben,

       wo es gerade ist.«

       Es waren aber manche Steine auf ihrer Wanderung

       tief in das Erdinnere eingedrungen. Als nun das Wort

       Gottes, welches ihnen befahl, nicht weiter zu suchen,

       sie traf, blieben sie an Ort und Stelle liegen und liegen

       noch dort. Auch Tiere befanden sich tief in der

       Erde und mußten von nun an dort wohnen bleiben, so

       der Maulwurf, die Schlange und alles Gewürm.

       Auch die Bäume hatten sich teilweise in den Erdboden

       verborgen; deshalb sind bis auf den heutigen

       Tag ihre wurzeln darin versteckt. Andere, welche bereits

       tiefer gewandert waren, blieben dort liegen. Man

       findet ihrer an manchen Stellen große Mengen tief

       unter der Erdoberfläche. Die Menschen waren suchend

       weit über die Erde gezogen und hatten sich

       nach allen Richtungen hin zerstreut. Daher kommt es,

       daß es überall, in allen Ländern Menschen gibt.

       Das Wasser wurde angeklagt, daß es schuld daran

       trage, daß