T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


Скачать книгу

ich nicht klagen; denn im allgemeinen finde ich Gras

       und Kraut im Überfluß, auch zumeist ein schattiges

       Plätzchen, um zu ruhen, und kenne eigentlich keinen

       wahren Kummer, also habe ich alle Ursache zufrieden

       zu sein.«

       »Du kannst doch unmöglich behaupten wollen,«

       fuhr der Löwe auf, »daß du mich nicht beneidest um

       meine Kraft und Stärke wie um meine Würde?«

       »Ich beneide dich in der Tat nicht«, entgegnete die

       Ziege gleichmütig, »denn bisher war mir weder deine

       Kraft noch deine Würde bekannt!«

       »Wie? du weißt nicht, daß ich der stärkste von

       allen Bewohnern des Waldes bin? Du weißt auch

       nicht, daß, wenn ich die Stimme erhebe, alle, welche

       es hören, in Furcht erzittern?«

       »Nein, von alledem weiß ich nichts! Fast möchte

       ich glauben, daß du deine Macht überschätzst; denn

       ich kenne Wesen, deren Waffen weit gefährlicher sind

       als die, mit denen du kämpfst. Deine Zähne sind zwar

       groß, deine Krallen scharf, dein Aussehen gewaltig

       und dein Gebrüll erschreckend, und dennoch glaube

       mir, gibt es ein kleines Geschöpf in diesem Walde,

       das gefürchteter ist als du, und solltest du dich im

       Streite mit ihm messen, so würdest du wahrscheinlich

       unterliegen.«

       »Unsinn!« rief der Löwe ärgerlich, »du reizt mich

       zur Wut mit deiner albernen Rede. Noch heute bei

       meinem Gastmahl gaben alle Tiere zu, daß sie mit mir

       sich nicht vergleichen könnten, und ich sollte meinen,

       daß auch du mir recht geben wirst, wenn ich sage, daß

       ein einziger Griff von mir dich töten kann!«

       »Darin hast du unbedingt recht, und ich darf keinen

       Anspruch darauf machen, für besonders stark zu gelten.

       Das Wesen aber, von dem ich sprach, ist jedenfalls

       nicht dein Gast gewesen.«

       »Von wem redest du eigentlich?« fragte der Löwe

       verächtlich.

       »Von der Schlange!« entgegnete die Ziege ruhig.

       »Von der? Von dem kleinen, kriechenden Dinge,

       welches Mäuse und kleine Vögel frißt und sich zwischen

       Gras und niedrigem Gebüsch hindurchwindet?«

       »Ja, ja, von derselben!«

       »Ich bitte dich, denke doch daran, wie ein kleiner

       Teil meines Körpergewichtes das unscheinbare Ding

       zermalmen könnte!«

       »Ich möchte dir nicht zu dem Versuche raten. Seine

       Zähne sind gefährlicher als die deinen.«

       »Willst du in meinem Kampfe mit der Schlange

       gegen mich wetten?«

       »Ja!«

       »Und wenn du verlierst –?«

       »So bin ich für immer dein Sklave, und du kannst

       über mich verfügen, wie es dir beliebt. Aber wenn du

       unterliegst, – was dann?«

       »Wähle, was du dann verlangst.«

       »Schön! Dann will ich hundert Bananentrauben

       haben. Am besten wär's freilich, du brächtest sie

       gleich mit auf den Kampfplatz.«

       Auf diese letzten Worte zu antworten, hielt der

       Löwe für überflüssig.

       »Wo aber ist die Schlange, die den Kampf mit mir

       aufnimmt?« fragte er daher.

       »Ganz nahe!« antwortete die Ziege. »Hole du nur

       die Bananen, und wenn du zurückkehrst, wirst du die

       Schlange hier vorfinden.«

       Stolz schritt der Löwe von dannen, um die Bananen

       zu holen, indessen die Ziege in das Gebüsch ging,

       wo die Schlange in tiefem Schlaf zusammengerollt

       unter einem Baume lag.

       »Schlange,« rief die Ziege, »wach' auf! Der Löwe

       will mit dir kämpfen. Er hat mit mir um hundert Bananentrauben

       gewettet, die er mir geben muß, wenn er

       verliert; ich habe aber mein ganzes Leben in seinen

       Dienst gestellt für den Fall, daß er Sieger bleibt.

       Wenn du meinem Rate folgst, so ist kein Zweifel

       daran, daß du über den Löwen triumphieren wirst.«

       »Gut,« entgegnete die Schlange schläfrig, »was soll

       ich denn tun?«

       »Krieche auf einen Baum, der hier in der Nähe

       steht, und wenn der Löwe kommt, so rufe ihn, damit

       er ganz dicht zu dir trete. In seinem unbegrenzten

       Hochmut und voll von dem Glauben an seine Unnahbarkeit

       wird er sich ganz sorglos dir nähern und sich

       auch noch nicht erschrecken, wenn du deinen Kopf

       dem seinen ganz nahe bringst. Dann bohre deine Giftzähne

       tief in seine Augenbrauen, und du wirst alsbald

       des Kampfes Sieger sein.«

       »Schon gut!« sagte die Schlange, die inzwischen

       ganz munter geworden war, »aber was soll denn mein

       Lohn sein?«

       »Ich werde dein Freund und Diener fürs Leben

       sein.«

       »Einverstanden! Führe mich!«

       Darauf führte die Ziege die Schlange auf den

       Kampfplatz und zu dem Baume, den sie vorher schon

       bezeichnet hatte.

       Bald darauf kam der Löwe und hinter ihm her in

       langer Reihe die Tiere, welche ihm dienten und für

       ihn die Bananen trugen. Nachdem der Löwe diese

       Tiere entlassen hatte, wandte er sich zur Ziege.

       »Nun, Zieglein,« sagte er freundlich herablassend,

       »wo ist deine starke Freundin? Ich brenne darauf, sie

       zu sehen.«

       »Bist du der Löwe?« fragte da eine feine Stimme

       von dem Baume.

       »Jawohl! Wer aber, wenn ich fragen darf, bist du,

       daß du mich nicht kennst?«

       »Ich bin die Schlange; meine Augen sind schwach,

       und ich kann mich nicht schnell bewegen. Tritt näher,

       damit ich dich sehen kann.«

       Der Löwe brach in ein laut schallendes und hochnäsiges

       Gelächter aus; dann trat er näher. Die Schlange

       streckte ihren Kopf weit vor