T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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»wir haben das Kind vor Jahresfrist in meiner

       Werkstatt gefunden.« Wanyanas Herz schlug höher,

       als Muyana nun fortfuhr, die ganze sonderbare Begebenheit

       zu erzählen, und im stillen überlegte sie, wie

       sie es wohl anfangen könnte, sich der Verschwiegenheit

       des Mannes zu vergewissern, wenn sie ihm gestände,

       daß sie des Kindes Mutter sei.

       »Anfänglich hatte ich gegen mein Weib den Verdacht,

       « schloß Muyana, »daß das Kind ihr Eigentum

       sei, und daß ich der Betrogene wäre. Aber ich habe

       keinen Grund für den schändlichen Argwohn, wennschon

       er hin und wieder noch sich in mir regt, denn

       mein Weib ist in ganz Unyoro die beste und klügste

       Frau.«

       Wanyana überlegte einen Augenblick, dann sprach

       sie:

       »Guter Mann, ich bin nicht so unwissend über des

       Kindes Herkunft, wie es dir scheinen mochte; denn

       ich weiß, wem es gehört, und wer es hierher brachte!«

       »Du?«

       »Ja! und wenn du versprechen möchtest bei dem

       großen Geist, der uns alle gemacht hat, daß du das

       Geheimnis bewahren willst, so werde ich dir die Mutter

       des Kindes nennen!«

       »Solange das Kind nicht das Kind meines Weibes

       ist, verspreche ich Stillschweigen über die Sache. Wer

       sonst des Kindes Mutter ist, kann mir gleichgültig

       sein. Ich habe es gefunden, und mein ist es als Finderlohn.

       Nun nenne mir den Namen der Mutter!«

       »Wanyana!«

       »Du die Mutter?«

       »Du sagst es! Es ist das Pfand meiner Liebe zu Kalimera

       aus Uganda. Kalimera gehört zum Stamme der

       Häuptlinge Ugandas, welcher der ›Stamm des Elefanten‹

       genannt wird. Er ist der jüngste Sohn des verstorbenen

       Königs von Uganda. Nach seines Vaters Tode

       erhielt er nicht weit von Unyoro ein weites, fruchtbares

       Landgebiet mit vielem und schönem Vieh. Als er

       in unser Land kam, um hier Ochsen und Kühe einzutauschen,

       sah ich ihn, und wir liebten einander. Aus

       Furcht vor Unis Zorn floh Kalimera und ließ mich zu-

       rück. Als das Kind nun geboren war, brachte ich es

       hierher, vertraute mich dem weisen Zauberdoktor an

       und hoffte von seiner Klugheit das Beste. Das übrige

       weißt du!«

       »O Weib unseres Häuptlings! Nie habe ich meine

       Frau inniger geliebt als gerade jetzt, da jeder Schatten

       des Argwohns gegen sie aus meiner Seele gebannt ist.

       Du aber sei ohne Sorge. Mein Weib liebt dieses Kind,

       als wäre es ihr eigen Fleisch und Blut, und ich werde

       darüber wachen! Wenn königliches Blut den Menschen

       zum König machen kann, so ist Kimyeras

       Zukunft gesichert, und er wird uns dereinst reichlich

       vergelten, was wir an ihm tun. Jetzt komm' zu meinem

       Weibe und erzähle noch einmal deine Geschichte;

       sie wird sie treu bewahren.«

       Wanyana erzählte nun, während sie ihr Kind kosend

       im Arme hielt, noch einmal die kurze Geschichte

       ihrer Liebe und ließ sich versprechen, daß die braven

       Töpfersleute mit Liebe und Sorgfalt sich auch fernerhin

       Kimyeras annehmen wollten.

       Von nun an verband innige Freundschaft das Weib

       Unis mit Muyana und seiner Frau, und fortwährend

       fand Wanyana einen Vorwand, um das Pflegekind

       dieser Leute zu besuchen.

       Muyanas Reichtum wuchs fortan beständig; denn

       Wanyana beschenkte ihn unablässig mit schönem

       Vieh. Als Kimyera herangewachsen war, besaß sein

       Vater große Herden und schöne Weideplätze, und

       ihm wurde die Sorge für das Vieh anvertraut; zur

       Hilfe wurden ihm starke und kühne Jünglinge zur

       Seite gestellt. Mit diesen nun vergnügte sich Kimyera

       in mancherlei männlichen Spielen, lernte ringen, den

       Speer werfen und Pfeil und Bogen geschickt handhaben.

       Seine Geschwindigkeit war größer als die der

       Antilope; kein Tier des Feldes konnte ihm entkommen,

       wenn er es jagte. Sein Mut und seine Kühnheit,

       die er oftmals in Ausübung seines Amtes bewies,

       wurden sprichwörtlich im ganzen Lande. Warnte ihn

       der Ruf eines der Hirten, daß ein wildes Tier in der

       Nähe sei, so begab er sich sofort in die Gefahr, indem

       er mit Pfeil und Bogen oder mit seinem Wurfgeschoß

       dem Feinde entgegeneilte, und mehr als einmal rettete

       er seines Vaters Vieh vor dem Feinde.

       Sein Übermut verleitete ihn gar oft, ganze Herden

       durch blühende Kornfelder hindurchzutreiben, und

       allen Vorstellungen wegen solchen Unfuges begegnete

       er lachend mit den Worten:

       »Das Vieh gehört Wanyana, dem Lieblingsweibe

       Unis. Das Volk gehört ihr ebenfalls und auch die Felder.

       Warum also soll Wanyanas Vieh nicht ihr Korn

       fressen?«

       Aus Furcht vor dem Mut und der Stärke des Jünglings

       ließen die Leute ihn gewähren. Mit der Zeit aber

       kühlten Unis Gefühle für sein schönes Weib, welches

       anfing zu altern, ab, und da nun Wanyanas Freiheit

       auch mehr beschränkt wurde, so konnte sie nicht mehr

       so oft wie ehedem zu ihrem Sohne gehen. Muyana

       fühlte Mitleid mit der armen Mutter; deshalb sandte

       er Kimyera oftmals zu den Weibern des Häuptlings,

       um Töpfe zu verkaufen, und befahl ihm, stets zu

       Wanyana zu gehen. Jedesmal, wenn der Knabe von

       diesen Botengängen heimkehrte, war er reich beschenkt

       worden mit Leopardenfellen, Krokodilszähnen,

       Tierklauen, Muscheln und farbigen Hölzern, die

       er mit Stolz seinen Pflegeeltern zeigte. Oft auch

       brachte er Geschenke von Wanyana für Muyana und

       sein Weib mit. Seiner Mutter Gaben häuften sich bei

       ihm so an, daß er bald in der Lage war, sich durch sie

       zwei große, schöne