T. von Held

Afrikanische Märchen auf 668 Seiten


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nannte er es

       Msigissa, d.h. Dunkelheit, das andere weiß, wie die

       Blüte der Baumwollstaude; Kimyera nannte es deshalb

       Sema Gimbi, d.h. Weißholz. Mit seinen beiden

       Hunden nun zog Kimyera oftmals weit fort von seiner

       Heimat und überließ die Sorge für die Herden seinen

       Untergebenen. Seine Begier, Land und Leute kennen

       zu lernen, wuchs je weitere Streifzüge er unternahm,

       und so kam es, daß er sich immer öfter und stets für

       längere Zeit von zu Hause entfernte. Wen er unterwegs

       antraf, befragte er nach Gegenden, die ihm noch

       unbekannt waren, und die kennen zu lernen es ihn

       verlangte. So kannte er denn bald wenigstens vom

       Hörensagen jeden Weg und Steg, Fluß und Bach,

       Dorf und Stamm der ganzen Umgegend. Vor seinen

       Pflegeeltern verbarg er sorgfältig all seine Wünsche

       und Gedanken, die sich in ihm regten und ihn in die

       weite Welt hinaustrieben. Indessen kam auch ihnen

       mancherlei zu Ohren über die weiten Wanderungen

       des Jünglings, was sie mit Besorgnis erfüllte. Ihre Befürchtungen

       teilten sie Wanyana mit und baten diese,

       ihren Einfluß auf ihren Sohn geltend zu machen. Sobald

       sich ihr dazu eine Gelegenheit bot, sprach sie zu

       ihm:

       »Sage mir offen, mein Sohn, welches sind deine

       Pläne für die Zukunft? Wanderst du, den Spuren des

       Wildes zu folgen? Gehst du dem Aufgang oder dem

       Niedergang der Sonne entgegen, wenn du wochenlang

       deiner Heimat fern bleibst?«

       Darauf antwortete Kimyera:

       »Zumeist ist es in der Richtung des Sonnenaufgangs,

       daß ich dem Wilde folge.«

       »Das ist das Land,« sagte Wanyana nachdenklich,

       »aus welchem vor Jahren dein Vater kam, um hier

       Vieh zu erhandeln.«

       »Mein Vater? Und welches ist sein Name?«

       »Kalimera.«

       »Wo lebte er?«

       »Das Dorf, von dem er kam, hieß Willemera und

       liegt nicht weit von Bakka; das ganze, große Land ist

       Ganda.«

       »Bakka! O ich kenne die Stadt wohl! Denn meine

       Wanderungen haben mich oftmals nach Uganda geführt,

       weil das Land reich ist an Antilopen, die an den

       Ufern des Flusses Mylmja grasen. Mehr als eine ist

       dort meiner Weidmannskunst zum Opfer gefallen?«

       »Kaum kann ich es glauben, mein Kind!« rief

       Wanyana in Tränen.

       »Dennoch ist es wahr, was ich dir sage, meine

       Mutter!«

       »Dann bist du nahe bei Willemera gewesen, und es

       ist ewig schade, daß du deinen Vater nicht gesehen

       und gesprochen hast!«

       Wenige Tage nach dieser Unterredung zog Kimyera

       mit seinen beiden Hunden fort aus der Hütte seiner

       Pflegeeltern und schritt rüstig dem Flusse Mylmja im

       Lande Uganda entgegen. Sobald er das Wasser durchschritten

       hatte, kam er in ein Dorf, dessen Bewohner

       er nach Willemera fragte. Man sagte ihm, daß acht

       Stunden Wanderung ihn dorthin bringen würden. Am

       folgenden Tage erreichte er sein Ziel und schloß

       schnell Freundschaft mit einem der Viehhüter seines

       Vaters, bei dem er zur Nacht blieb, und der ihm alle

       seine Fragen über Kalimera auf das eingehendste beantwortete.

       Nachdem er in Erfahrung gebracht hatte,

       was er wissen wollte, zog er wieder heim und erzählte

       Muyana und seiner Pflegemutter alles, was er gehört

       hatte. Auch Wanyana kam bald und beschwor ihren

       Sohn mit Tränen, ihr genauen Bericht zu erstatten.

       »In aller Kürze,« sprach der Jüngling, »habe ich

       folgendes gehört: Daß Kalimera noch am Leben ist,

       weiß ich jetzt bestimmt. In seinem Dorfe wohnen

       viele Leute; auch besitzt er große und schöne Viehherden

       und eine stattliche Anzahl von Sklaven. Ich

       habe all diese Nachrichten von einem der ältesten

       Viehhüter Kalimeras und weiß deshalb, daß sie unbedingt

       wahr sind.«

       »Es ist gut, mein Sohn,« sprach Wanyana; dann

       sich an Muyana wendend, fuhr sie fort:

       »Jetzt ist es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

       Uni wird mir mit jedem Tage widerwärtiger. Ich

       bin in meinem Herzen dem einen Manne, den ich geliebt

       habe, immer treu geblieben, und nun ich weiß,

       daß er am Leben ist, treibt es mich zu ihm. Rate du

       mir, Muyana, was soll ich tun?«

       »Wanyana, du weißt, daß ich nicht klug bin, und

       daß meine Zunge schwer ist. Auch kennst du meine

       Verhältnisse. Ich habe nur e i n Weib, obschon große

       Viehherden. Die beiden Kühe Namala und Nakoambeh,

       welche du mir als erstes Geschenk brachtest,

       habe ich noch, und ihre Milch ist noch immer so süß

       und reichlich wie sie je gewesen. Laß Kimyera seine

       Flöte, seine Hunde, seine Speere und seinen Schild zu

       sich nehmen; Sebarija, mein Hirte, soll ihm folgen,

       mein Weib soll die Kühe und Felle nehmen, welche

       zur Jagdbeute Kimyeras gehören, und wir wollen dir

       folgen, wohin du gehst!«

       »Muyana, du bist ein treuer Freund! So laß uns

       denn forteilen, noch ehe der Morgen dämmert. In Willemera

       will ich dir zehnfach vergelten, was du hier

       verläßt. Der Findling ist nun ein starker Mann geworden,

       und endlich hat er den Weg gefunden, der ihn zu

       seinem Vater und zu seinem Stamme führt.«

       Wie Wanyana es gesagt hatte, so geschah es. Noch

       ehe die ersten Strahlen der Sonne am folgenden Tage

       die Erde beschienen, war sie mit Kimyera, Muyana

       und seinem Weibe wie dem Sklaven Sebarija auf dem

       Wege nach Uganda.

       Eines Tages ging Kimyera mit Muyana auf die

       Büffeljagd und nahm auch Sebarija mit, so daß die

       beiden Frauen allein zurückblieben. Der Büffel, den