Norbert Johannes Prenner

Das ungeteilte Vertrauen


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Spione sein. Irgendwann werden sie euch zu Hause besuchen und euch heimlich vergiften“, flüsterte Leopold ängstlich. „Geh´, sei doch nicht so pessimistisch“, versuchte ihn Erich zu beschwichtigen. „So gesehen sind Bessemer, Edison, Graham Bell und Morse durchwegs Betrüger und Plagiatoren“, setzte Carl hinzu. „Gruber, was hältst du davon?“, fragte Dr. Brock, „das Morse-alphabet heißt von jetzt an Kominform - Hexeneinmaleins!“ „Und die Aufklärung, wie ihr wisst, ist natürlich auch den Russen zuzuschreiben, mit fällt nur nicht ein, wer hier federführend gewesen ist“, brüllte Carl dazwischen, und wand sich hin und her vor Lachen. „Genau! Fortan wird man in demütiger Linientreue das Absurde glauben müssen, dass auch Drehbänke, Schweißverfahren, Transformatoren, Isolatoren, synthetischer Gummi und weiß der Teufel, was noch alles für Lebensnotwendigkeiten der kapitalistischen Produktion leider nicht in den Ländern der Großindustrie, Irrtum! – sondern in den agrarischen, mittelalterlich feudalen Garküchen des Bolschewismus erfunden und produziert worden sind“, konterte Erich.

      Alle lachten und debattierten daraufhin heftig, ja, sie versuchten gar, sich in der Fantasie immer neue Errungenschaften auszudenken, die sich die Sowjets aneignen könnten, alles nur, um ihre heimlichen Ängste zu verdrängen, wenn schon einmal Gelegenheit war, aus dem Alltag auszubrechen, um so richtig ausgelassen zu sein. Noch waren die Zerstörungen des Krieges nicht ganz beseitigt. Noch war der Friede auf der Welt nicht eingekehrt, sollte er überhaupt jemals einkehren. Immer noch gab es irgendwo Kriegs-gefangene, fern der Heimat, Flüchtlinge, Verschickte und Verschleppte und auf allen Gesichtern lastete die Furcht vor neuer Gewalt und vor einem neuen Krieg, und diesmal gar vor einem atomaren. Auch wenn alles sehr weit weg schien, war es doch irgendwie sehr nah. Plötzlich wurde es ruhiger am Tisch, an dem die Redakteure saßen. Jeder Einzelne wurde nachdenklich, isoliert von allem, was bisher war. Dieses Land, durch seine Besatzer behindert, in seiner Entwicklung erschwert, gehemmt, dürstete nach Freiheit, mehr denn je. „Wir fordern die Freiheit“, murmelte Brock vor sich hin. Alle blickten beinahe ehrfürchtig auf ihn. „ Ich denke, es wäre hoch an der Zeit, den Abschluss des Staatsvertrages und den Abzug der ... dieser ..“, Brock musste husten, „gottverdammten Bande da draußen ...!“

      Carl stieß ihn in die Seite: “Ich bitte dich, nicht so laut!“ „Hast ja Recht, entschuldigt bitte, aber weil´s wahr ist.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wir bekennen uns doch zur Demokratie. Was müssen sie denn so lange herumverhandeln?“, warf Gruber ein. „Was Brock gesagt hat, ist schon richtig. Nicht nur die Sozis, es sind die Christdemokraten ebenso der Meinung, dass wir jede Form des Terrors, der Diktatur, ja, jegliche Tendenz zur Einparteienherrschaft wie auch zur Volksdemokratie verwerfen und ablehnen. Ist doch so, oder? Sie könnten sich daher mit dem Staatsvertrag wirklich beeilen,“ sagte Erich. Carl grinste. „Da bist du damit hier drinnen ziemlich richtig - zur Volksdemokratie. Ein bisserl lauter noch, wenn´s geht. Die sitzen ohnehin gleich ums Eck. Ach was!“, ärgerte er sich, und leerte sein Glas. Stille. Von den anderen Gängen her drangen Heurigengesang, zwischendurch aber auch russische Wortfetzen an ihre Ohren.

      Die Stimmung wollte nicht mehr so richtig aufkommen, als ob sie ohnehin bloß künstlich genährt worden war, wohl eher durch die Bedrücktheit aufgeputscht, die, bedingt durch die allgemeine Situation, nunmehr isoliert im Vordergrund auf ängstlichen Gesichtern zu liegen kam. Während sie hier gelacht hatten, kämpfte man in Berlin ums Überleben, um sich gleichzeitig von der sowjetischen Umklammerung zu lösen, die Diplomatie jedoch zu nichts anderem imstande war, als laufend zu versagen. Als hätten alle zur gleichen Zeit dasselbe gedacht, begann der Chefredakteur folgenden Satz: „Kollegen, wir alle mögen es sehen wie wir wollen, aber über den Ist-Zustand können wir uns ganz sicher nicht hinwegsetzen. Und der ist nun einmal durch den Begriff des Kalten Krieges geprägt und zementiert. Nicht nur wir alle warten auf eine Entspannung der Weltpolitik, als Sieg der Vernunft über eine Politik, deren Argumente aus dem Bereich der Diktatur und der Gewalt gewonnen waren.“

      „Darf´s noch was sein die Herren?“, unterbrach die Serviererin. Leopold winkte ab. „Wir alle spüren die Auswirkungen dieser Politik noch immer in unseren Gliedern. Aber wir spüren auch, dass wir für uns alle, und für diese Welt, jede kleine Hoffnung auf eine dauernde, friedliche Regelung in Anspruch nehmen müssen, und sei sie noch so gering. Sonst geht es nämlich nicht vorwärts, sondern rückwärts. Es hat zuletzt den Anschein gehabt, als wäre der Beschluss der Sowjets, von ihrer strengen Haltung abzugehen, ein Zeichen. Man fragt sich allerdings, ob dieser Entschluss ein grundsätzlicher oder ein taktischer war.“ Alle nickten zustimmend. „Ich frag mich das auch“, sagte Gruber, „wenn ich an die Einigung in New York denke. Was hat sie bis jetzt bewirkt? Von einem Ende des Kalten Krieges sind wir weit entfernt.“ „Ja, ja. Ich glaube, die schwerste Aufgabe liegt noch vor uns,“ reagierte Erich. „Wenn die nicht miteinander reden können, dann seh´ ich schwarz“, fügte Dr. Brock hinzu. Carl lehnte gelangweilt an der hölzernen Trennwand zum nächsten Tisch und beobachtete die Diskussion.

      „Das kann schon sein, oder auch nicht“, meinte Leopold nachdenklich, „aber bedenkt bitte, dass unser Geschäft neben der Weltpolitik auch das unserer eigenen Welt ist. Das heißt im Klartext, dass ich für die morgige Schlussredaktion noch zwei Berichte vermisse.“ Alle hoben die Köpfe und blickten in Richtung des Chefredakteurs. „Wann, verehrter Herr Lokalredakteur, darf ich mit dem Artikel über die Frauenversammlung der Gemeindebediensteten rechnen?“, wandte sich Leopold an Otto Karner, der zurückgezogen in seiner Ecke kauerte. “Die Frau Abgeordnete, aber besonders der Herr Oberamtsrat Zehetmeier setzen mir bereits das Messer an!“ Brock hob vorwurfsvoll die Brauen. „Der Artikel ist längst fertig, Herr Doktor“, stammelte Otto, „es war nur leider bisher kein Platz dafür“, entschuldigte er sich. „Ah, das ist mir neu. Aber gut, dann werden wir dafür eben Platz schaffen, nicht wahr? Carl, sorg bitte dafür, dass der Sportteil morgen ein wenig abspeckt, denen tut´s nicht so weh, wenn sie nicht gleich alle wissen, unter welchen Umständen wir gegen die Ungarn verloren haben“, sagte der Chefredakteur.

      Kapitel 6

       Und dann Korea

      Die Nacht zum 24. Juni 1950 hatte das Bild der Welt jäh verändert. Erich, der Frühdienst hatte, griff hastig zum Telefon, um seine Frau anzurufen. „Maria“, rief er atemlos, „Maria, die Kommunisten haben Südkorea angegriffen, was sagst du dazu?“ Erich´s Frau war zunächst sprachlos. Dann sagte sie leise: „Erich, ich habe Angst. Lieschen schläft noch, hoffentlich hat sie das Läuten nicht aufgeweckt. Was ist denn da passiert? Wie ist das möglich? Es ist aber doch sehr weit weg, oder?“ „Ja, oder eigentlich nein. Ach, es gibt – mir fallen so viele Parallelen ein. Als die Japaner in die Mandschurei eingebrochen sind, oder der Zwischenfall in Peking 1937. Ich meine, das war auch weit weg, und dann ist der Krieg ausgebrochen“, erwiderte Erich. „Das war doch was ganz anderes“, versuchte sie Erich zu besänftigen. „Vielleicht hast du Recht. Auf alle Fälle wird bereits überall auf der Welt dagegen demonstriert, man hat Angst vor einem dritten Weltkrieg, Maria, verstehst du?“

      „Erich, die Kleine, ich muss hinauf. Wir hören uns später. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, versprich mir das, sonst hat alles keinen Sinn, hörst du mich? Ich liebe dich, Erich!“ Sie legte den Hörer auf. Erich zündete sich eine Zigarette an und machte sich Kaffee. Sorgenvoll blickte er über die Dächer der Josefstadt. Er sah den spitzen, gotischen Turm des Stephansdomes, aber er realisierte nicht, was er sah. Das Klingeln des Telefons sollte ihn in die Wirklichkeit zurückholen. „Guten Morgen, Leopold“, sagte Erich, „ich bezweifle, ob das ein guter Morgen ist – bitte was? Über den Fernschreiber ist nichts mehr gekommen - nein, bis jetzt nicht. Außer, dass das – wie? Ja, ganz deutlich. Genau, haben wir geschrieben – ja, Carl ist unten, in der Druckerei – wie? Ja meine Frau sagt auch, liegt für uns in weiter Ferne – genau, das müssen wir so sehen. So weit ist das nicht heutzutage, richtig – Leopold, warte – ich sag´ ja – genau – was? – von der APA, vor zwei Stunden. Augenblick, sie haben geschrieben, dass sie den Sicherheitsrat einberufen werden, um festzustellen, wer die tatsächlichen Angreifer waren – eben, seh´ ich auch so. Sie werden das so drehen, jajajaja – es muss aussehen, als ob es einen innerkoreanischer Konflikt war und die Kominform – genau - sagt, ein Bürgerkrieg – find´ ich auch, sehr originell. Die Art und Weise ist