Sabine Otto

Das Schicksal und andere Zufälle


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und ließ die Briefe auf den Couchtisch fallen. Die würde sie erst später, nach ihrem wohlverdienten Schlaf lesen. Erschöpft schlüpfte sie aus ihrem Kostüm, warf sich auf ihr Bett und ehe sie noch irgendeinen Gedanken fassen konnte, war sie schon eingeschlafen.

      Lachend blickte Kati auf. „Hör mal, was der schreibt!

       Ich bin bereit mich zu opfern. Ich habe eigentlich schon seit Jahren dem Sex entsagt, um mich ganz Gott, unserem Herren hinzugeben. Da ich aber über hervorragendes Genmaterial verfüge, würde ich Ihnen dieses zur Verfügung stellen.

      Na, was sagst Du zu unserem Heiligen?“

      „Oder der hier!“ Elli wedelte mit einem Blatt Papier in der Luft herum. „Ich kenne alle Stellungen des Kamasutra. Du darfst Dir gerne eine aussuchen. Oder noch besser – wir probieren sie alle gemeinsam aus.

      Na, wenn das nicht edelmütig ist. Wie viele gibt es denn da eigentlich?“

      „Keine Ahnung. Aber schon einige. Zeig mal her, wie sieht der denn aus?“

      Elli reichte ihr das Foto rüber. Es war eine gute Idee gewesen, ein Lichtbild angefordert zu haben. Er musste ja Kai etwas ähnlich sehen und natürlich schon ein bisschen ihr Typ sein.

      „Huch, nicht gerade ein Traumprinz. Vielleicht, wenn er seinen Ziegenbart abrasieren würde.“ Die beiden Freundinnen kicherten.

      Elli war am frühen Abend aufgewacht und hatte sich richtig erfrischt und erholt gefühlt. Da sie die Briefe zusammen mit Kati lesen wollte, hatte sie mit dem Öffnen auf ihre Freundin gewartet. Schließlich hatte die ja auch die Idee ausgeheckt. Auch wenn Elli immer wieder betonte, dass sie ihren Plan jetzt nicht mehr in die Tat umsetzen würde, da sie ja nun niemanden mehr hatte, dem sie das Kuckucksei ins Nest legen konnte, hatten die beiden doch sehr viel Spaß beim Lesen der vielen Briefe.

      Kati verstand Ellis Bedenken nicht. Wenn sie sofort schwanger würde, könnte sie damit Kai doch wieder zurückgewinnen. Mit der Begründung, er sei nun doch Vater geworden, würde er sich niemals seiner Verantwortung entziehen.

      Elli guckte ihre Freundin empört an. Erstens wäre Kai ja nicht doof und könnte nachrechnen, dass er als potentieller Erzeuger gar nicht in Frage käme, da sie ja auch schon vorher eine Weile nicht mehr miteinander geschlafen hatten und zweitens, war sie sich gar nicht so sicher, ob sie Kai überhaupt zurück haben wollte. Zuerst hatte es ihr natürlich einen Stich versetzt, dass er sie so einfach verlassen konnte. Andererseits war so eine räumliche Distanz vielleicht gar nicht so schlecht, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Ja, seufzte sie, das war schon so eine Sache mit der verletzten Eitelkeit.

      „Du hast ja zwei Monate Zeit, Dir zu überlegen, ob Du um ihn kämpfen willst oder ob es dir lieber ist, dass ihr euch wirklich trennt“, meinte Kati, die ihre Gedanken zu erraten schien. „In der Zwischenzeit kannst Du Dich ja erst einmal amüsieren.“

      In gespielter Empörung bewarf Elli ihre Freundin mit den geöffneten Briefen.

      „Du glaubst ja wohl nicht im Ernst, dass ich mich mit einem von diesen Hirnamputierten treffen werde! Zeige mir einen dieser Kandidaten, die Du auch nur in die engere Wahl nehmen würdest!“

      „Zugegeben, von denen kommt keiner in Frage. Aber wir können ja mal abwarten, da kommen sicher noch mehr Briefe. Nicht alle reagieren sofort. Dann triffst Du Dich erst einmal mit jemandem zum Beschnuppern und dann können wir die ganze Sache ja so abstimmen, dass Du schwanger wirst, kurz bevor Du Kai wieder triffst. Zur Versöhnung ziehst Du ihn dann in die Kiste und schon wird er zum Vater.“

      „Du stellst Dir das alles so einfach vor. Erstens heißt es ja nicht, dass ich sofort beim ersten Mal schwanger werde, zweitens bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich mit einem wildfremden Mann ins Bett kann, drittens werden wir vielleicht gar keinen potentiellen Kandidaten finden und viertens weiß ich gar nicht, ob ich Kai wieder zurück haben will und fünftens kann es ja auch sein, und das finde ich am Allerwahrscheinlichsten, dass Kai gar nicht mehr zu mir zurückkommen will.“

      „Und sechstens fällt Dir bestimmt auch noch ein. Übrigens, zu zweitens: Du musst doch nicht unbedingt mit ihm ins Bett. Da gibt es ja auch andere Methoden an den männlichen Samen zu kommen.“ Kati lächelte amüsiert. „Selbst wenn alle bisherigen Bewerber diese Möglichkeit eindeutig nicht in Betracht ziehen. Aber jetzt sei doch mal ein bisschen optimistischer! So kenne ich Dich ja gar nicht!“

      „Ach, ich weiß. Ich bin wohl bloß überarbeitet. Ich habe eine anstrengende Präsentation hinter mir. Ich habe Dir doch von dieser Parfum-Kampagne erzählt, Du erinnerst Dich?“

      „Ja genau, wie war es denn? Und der potentielle Auftraggeber? Hattet ihr einen Draht zueinander? Das ist ja immer wichtig bei solchen Verkaufsgesprächen.“

      „Es ging“, meinte Elli und konnte es zu ihrem Ärger nicht verhindern, dass sie leicht errötete.

      „Aha, daher weht der Wind! Er gefällt dir wohl!“

      „Ach Quatsch! Wie kommst Du denn drauf? Ich habe Herrn Beckmann doch erst heute kennen gelernt. Außerdem bin ich ja noch nicht endgültig von Kai getrennt“, verteidigte sich Elli.

      „Mir kannst Du nichts vormachen, ich kenne Dich. Aber das ist doch in Ordnung. So ein kleiner Flirt ist ja wohl erlaubt und schadet doch niemandem; besonders wenn man eine Beziehungspause eingelegt hat.“ Kati gähnte. „Ich muss jetzt los. Morgen früh um sieben klingelt der Wecker.“ Sie ließ ihre weitaus weniger müde Freundin alleine zurück.

      Und wieder fühlte Elli sich total einsam in ihrer Wohnung. Doch da war noch etwas anderes, was sie bedrückte. Kai und sie hatten sich die Miete bisher geteilt. Sie würde es sich gar nicht leisten können, hier weiter wohnen zu bleiben, sollten sie sich wirklich trennen. Sie würde sich etwas Kleineres und Günstigeres suchen müssen. Aber vielleicht war das sowieso besser, als weiterhin in dem Appartement zu wohnen, in dem sie alles an Kai erinnerte. Sie musste sich ehrlicherweise eingestehen, dass es nicht der Gedanke an Kai war, der sie traurig stimmte, sondern die Erinnerung an eine geborgene, vertraute Zweisamkeit. Kurzum, sie musste zugeben, dass sie Angst vor dem Alleinsein hatte. Nachts war es besonders schlimm! Da hatte sie keine Ablenkung und die Gedanken kreisten ungehindert in ihrem Kopf herum. Komischerweise fielen ihr, wie sie so in ihrem Bett lag, dann nur noch die schönen Momente ein, die aus allen Ecken ihres Unterbewusstseins hervorkrochen. Nachdem sie sich bis weit nach Mitternacht hin und her gewälzt hatte, quälte sie sich wieder aus dem Bett, um im Badschränkchen nach Beruhigungsmittel oder Schlaftabletten zu suchen. Nichts! Wieso auch! Sie und Kai hatten nie unter Schlafstörungen gelitten! Dann musste sie sich halt mit Rotwein betäuben. Gesagt getan. Und wirklich nach einem Glas war Elli auf einmal sehr müde. Sie konnte nur noch denken, bevor sie ins Bett sank, dass das nicht zur Gewohnheit werden dürfe, sonst würde sie noch als einsame, alte, traurige Alkoholikerin enden, der ihr Leben entglitt und die keiner mehr haben wollte.

      Ihm ging einfach der gestrige Vormittag nicht mehr aus dem Kopf. Diese Frau hatte ihn doch mehr beeindruckt, als er sich eingestehen wollte. Während Jan Beckmann in seiner Betriebskantine zu Mittag aß, schweiften seine Gedanken immer wieder ab, obwohl seine Assistentin unablässig auf ihn einredete. 'Man müsse sich das gut überlegen mit der Projektvergabe, es hinge ja schließlich sehr viel von dieser Werbekampagne ab. Es täte ihr sehr leid, dass sie gestern krank gewesen sei, aber heute Nachmittag, wenn der zweite Bewerber sein Angebot präsentieren wird, wäre sie natürlich an seiner Seite. Da könne er ganz unbesorgt sein.' Nathalie Weber lächelte ihren Boss an und schüttelte kokett ihr schulterlanges dunkles Haar. Jan lächelte geistesabwesend zurück und nickte: „Klar können Sie heute mit dabei sein.“ Insgeheim hatte er sich sowieso schon entschieden. Er neigte zwar nie dazu, seine beruflichen Entscheidungen von emotionalen Gründen beeinflussen zu lassen, aber diese Frau Funk ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Davon abgesehen, rechtfertigte er sich vor sich selbst, hatte sie ihr Konzept überzeugend, stichhaltig und kompetent vorgetragen. Der Form halber musste er sich jedoch noch ein zweites Angebot einholen.

      „Wie bitte?“ Jan zuckte zusammen. „Ich habe die Frage nicht ganz mitbekommen.“

      „Wie das Treffen gestern war, wollte ich