Axel Birkmann

Tödlicher Aufguss


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küsste.

      »Aha«, dachte er, »hier oben sind die Kontrollen nicht so scharf.

      Der Austausch von Zärtlichkeiten sei auf ein Minimum zu reduzieren«, zitierte er die Hausordnung.

      »Wo kein Kläger ist auch kein Richter«, schmunzelte er und schaute verstohlen auf das junge Paar.

      Er musste an seine Jugend denken, wie er das erste Mal einen Kuss von einem Mädchen bekommen hatte. Solche Plätze wie diesen hier gab es damals nicht. Und zu Hause ging es schon gar nicht, da waren die Eltern und so blieb es meistens bei den ersten Erfahrungen im Kino oder auf der Rückbank seines alten Peugeot.

      Die beiden konnten nicht voneinander lassen. Ob sie bemerkten, dass sie beobachtet wurden? Und wenn, dann schien es ihnen egal zu sein. Die Frau lag seitlich und eines ihrer makellosen Beine schaute aus dem Handtuch heraus. Sie hatten keinen Sex zusammen, aber das Gefummel und Geküsse waren die reinste Vorstufe dazu. Kreithmeier blickte wie gebannt auf das Paar. Es turnte ihn richtig an, obwohl es nicht viel zu sehen gab, aber allein die Vermutung, was ihre Hände unter dem Saunatuch alles tun könnten, erregte ihn. Seine Gedanken an das Treffen mit Rainer Zeidler waren längst verflogen. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und er drehte sich noch ein wenig, um den beiden besser zuschauen zu können. Jetzt konnte er die Haare des Mädchens oder der jungen Frau erkennen. Wie alt sie war, konnte er nicht abschätzen. Ihre Beine waren rasiert und sie hatte, so weit er sehen konnte, eine junge glatte Haut.

      Das Handtuch war von ihrem Kopf auf den Rücken gerutscht. Ihre Haare kamen jetzt im Dämmerlicht zum Vorschein: schwarze, lange gewellte Haare. Und jetzt konnte er erst erkennen, dass es sich um die Person seitlich von der Schwarzhaarigen nicht um einen Mann handelte. Es war auch eine Frau. Und die beiden Frauen küssten sich. Und zwar sehr intensiv. Auch die andere Frau hatte lange schwarze Haare. Eine Hand umfasste ihren festen kleinen Busen, und ein Mund küsste den ihren. Die beiden Frauen pressten fest ihre Lippen aufeinander und streichelten sich am ganzen Körper. Die Frau, von der er nur ihre Brust und ihren Bauch sehen konnte, stöhnte ganz leise. Eine Hand streichelte sie zwischen ihren Oberschenkeln. Immer schneller und schneller. Kreithmeier hatte so etwas noch nie gesehen. Es war wie in einem billigen Erotikfilm im Internet, in dem sich zwei Frauen gegenseitig zum Höhepunkt streichelten, zur Befriedigung der geilen Männerwelt, die sich gerne solche Filmchen ansah. Aber hier war es live und in Natura. Das hatte er bisher noch nicht erlebt. Und dass es ihn so anmachen würde, ihn so erregen, daran hätte er niemals gedacht. Er konnte nicht ablassen dort hinzuschauen.

      Sein Anstand gebot ihm den Raum leise zu verlassen und die beiden sich ihrem Spiel allein zu überlassen, doch sein Fleisch war schwach, und so schaute er zu, wie die unbekannte Schönheit von der anderen Frau zu einem Höhepunkt gestreichelt wurde, sich in einem leisen endgültigen Stöhnen kurz aufbäumte und dann erschöpft in sich zusammen sackte. Sie mussten ihn eigentlich bemerkt haben, doch es störte die beiden Frauen nicht im Geringsten. Selbst ein Bade- oder Saunameister hätte sie jetzt nicht auseinander bringen können.

      In diesem ihrem letzten Akt rutschte das Handtuch vollends von der Liege und Kreithmeier starrte auf den Rücken der Schwarzhaarigen, den sie ihm provozierend entgegen streckte. Ein kleines schwarzes Mal prangte oberhalb ihres runden Pos, eine Tätowierung. Kreithmeier biss sich fast auf die Zunge, um einen Schrei der Überraschung herunter zu schlucken. Das kleine Mal war eine schwarze Lilie.

      Die beiden Frauen lagen noch eine Weile nebeneinander, dann standen sie auf, wickelten sich jede ein Handtuch um die Hüfte und verließen den Raum, den Kommissar mit angehaltenem Atem auf dem Wasserbett schwitzend zurück lassend. Kurz bevor die zweite Frau sich das Handtuch um die Hüfte geschwungen hatte, konnte er auch bei ihr einen hellen Fleck auf ihren ansonsten leicht gebräunten Körper erkennen: eine weiße Lilie, mit zartem dunklem Stich schwarz umrandet.

      Als die beiden Frauen den Ruheraum verlassen hatten, stand er sofort auf und folgte ihnen. Er war außer Atem und sein Geist spielte ihm böse Streiche. Seine Gedanken waren wirr und er tat sich schwer, sich zu ordnen und zu Recht zu finden. Die beiden Damen liefen wie junge Elfen leichtfüßig vor ihm her Richtung Champagnerpool. Am Treppenabsatz ließen sie ihre Handtücher fallen und schritten als ob sie übers Wasser laufen könnten ins Wasserbecken. Von hinten sahen die beiden Frauen wie Schwestern aus, fast sogar wie Zwillingsschwestern. Beide trugen schulterlange schwarze Haare, hatten eine ähnlich gute Figur und waren beide auf der Hüfte tätowiert. Die eine mit einer schwarzen Lilie auf der linke Seite, die andere mit einer weißen auf der rechten Seite. Als sie so Arm in Arm vor ihm ins Wasser glitten, erinnerten ihn die beiden Lilien an das Symbol, das Rainer Zeidler auf dem Rücken trug: Yin und Yang.

      Yin stand für das Dunkle, das Kalte, das Weibliche, das Introvertierte, das Passive, dargestellt durch den schwarzen Teil. Yang stand für das Helle, das Warme, das Männliche, das Extrovertierte, das Aktive, dargestellt durch den weißen Teil.

      Ähnlich wie bei den beiden Halbschalen, waren die beiden Lilien stellvertretend für eine helle und reine Welt, und eine kalte und dunkle. Wenn es stimmte, dass eine der Frauen am Tod von Markus Backhaus maßgeblich verantwortlich war, dann war es die dunkle Seite der beiden gewesen, die Frau mit der schwarzen Blume, die Yin.

      Kreithmeier schaute nachdenklich den beiden Frauen nach, wie sie an der Bar im Pool Platz nahmen und sich etwas zu trinken bestellten. Sie mussten ihn bemerkt haben. Er war der einzige Gast im Raum der Erde gewesen. Auch wenn die beiden noch so in Ekstase gewesen waren, die Frau mit der schwarzen Lilie musste ihn bemerkt haben. Die andere war zu sehr von den Zärtlichkeiten abgelenkt, die sie genossen hatte, so weit er sehen konnte. Die beiden Frauen waren sich sehr ähnlich. Jetzt wo sie auf einem Barhocker an der Poolbar saßen, konnte er zum ersten Mal ihre Gesichter erkennen. Der Polizeizeichner hatte ganze Arbeit geleistet und Martin Wildgruber die Frau sehr gut beschrieben. Sie waren beide sehr hübsch, besaßen dunkle geheimnisvolle Augen, schwarze volle und sinnliche Lippen und ein schmales Gesicht mit einer kleinen Nase. Sie saßen sehr dicht beieinander und hielten sich unter Wasser an ihren Händen.

      Kreithmeier legte sich auf eine der sprudelnden Massage-Liegen. Von dort konnte er unauffällig die beiden Frauen an der Bar betrachten. Er musste ihnen irgendwelche Namen geben, dachte er, solange er ihren richtigen noch nicht wusste. Black Lily und White Lily, entschied er sich schließlich. Er schaute auf die große Uhr an der Wand über dem Schwimmbereich. Es war schon kurz nach 21 Uhr.

      Ach du meine Güte, dachte er, den Rainer habe ich ganz vergessen, ich muss ganz schön lang geschlafen haben. Aber ich kann die beiden jetzt nicht allein lassen, wo ich sie gerade entdeckt habe. Waren die beiden lesbisch, fragte er sich. Und in welchem Zusammenhang standen sie zu Markus Backhaus? Wenn sie ein amouröses Abenteuer mit ihm hatten, dann waren sie bisexuell. Und der gewaltsame Tod des Schriftstellers, ein Akt der Eifersucht, oder die Befreiung sexueller Erniedrigung oder Abhängigkeit? Das passte alles nicht zusammen: ihre Anmut, ihre Schönheit und ihre sinnliche Ausstrahlung, vereint mit einem kaltblütig geplanten Mord. Und dass der Mord geplant worden war, das stand für ihn definitiv fest. Der Mörder musste wissen, dass der Backhaus in der Therme war und er muss darauf vorbereitet gewesen sein, denn Salz mit einer Prise Curare-Gift trug man nicht so ohne Weiteres mit sich herum. Das musste vorher präpariert werden. Und das war nicht ganz so einfach. Und der Mörder musste auch wissen, dass der Backhaus immer wieder mal in die Therme geht. Vielleicht hatte er ihn observiert und war ihm gefolgt, dann müsste er das Gift bei sich gehabt haben, um es sofort einsetzen zu können. Wo war denn nur der Zeidler?

      Sein Blick schweifte durch die Halle. An ihrem gemeinsamen Platz unter Palmen war er nicht, das konnte er von seinem jetzigen Standpunkt aus erkennen. Er suchte den Paradise-Point nach ihm ab. Dort oben in der Gondel entdeckte er ihn. Er stand neben Martin Wildgruber. Und die beiden hielten von oben nach ihm Ausschau.

      Kreithmeier hob vorsichtig die Hand und winkte ihnen. Zeidler erkannte ihn und winkte zurück. Auch Martin Wildgruber hatte ihn jetzt gesehen und gab sich zu erkennen. Kreithmeier deutete mit dem Arm Richtung Bar auf die beiden Frauen. Wildgruber und Zeidler folgten mit ihrem Blick seinem Arm.

      Als Wildgruber die beiden Frauen aneinander gekuschelt an der Bar sitzen sah, fing er an wie wild mit seinen Armen zu wedeln und redete auf Zeidler ein. Der Geräuschpegel in der Halle war viel zu laut, als dass es jemand