Axel Birkmann

Tödlicher Aufguss


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Wasser planschen auf Kosten des Steuerzahlers, das war doch mal was, dachte er, als er sich in den Strudel gleiten ließ, eine Art Wasser-Karussell, das ihn durch einen Strömungskanal in einem weiten Oval um ein Dutzend Massageliegen gleiten ließ. Auch hier amüsierten sich junge Pärchen. Und ihre Hände waren nicht immer züchtig über der Wasseroberfläche zusehen. Die jungen tätowierten weiblichen Körper, die an ihm vorbei glitten oder in einer der Liegestätten lagen, hatten etwas Erotisches, etwas Prickelndes, etwas Sinnliches an sich. Es war das erste Mal für ihn, dass er sich mit Tattoos, ihrer Symbolik und den vielen unterschiedlichen Motiven geistig auseinander setzte. Bisher waren Tätowierungen für ihn nur Zeichen gelangweilter Knackis gewesen, die sich im Gefängnis von ihren Mitinsassen stechen ließen. Auf der Polizeischule hatte er das erste Mal von der Bedeutung der einzelnen Zeichen gehört.

      Drei Punkte meistens in einem Dreieck zwischen Daumen und Zeigefinger tätowiert, bedeuteten einerseits, dass der Träger in Haft war, andererseits ein Symbol für die drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Das bedeutete, der Tätowierte ist ein Häftling, der keine Aussagen macht und seine Mitgefangenen nicht verrät. Dann gab es noch sogenannte Knasttränen: eine tränenförmige Tätowierung unter einem Auge. Die Träne stand für eine bestimmte Zeit in Haft. Alle zehn Jahre würde eine weitere Träne dazu kommen. Und schließlich noch das Spinnennetz, ein an offen sichtbarer Stelle tätowiertes, meist sehr einfach gestaltetes Spinnennetz. Es bedeutete, dass der Träger in Haft war.

      Zusätzlich zu den Knast-Tattoos hatte er noch von den Tätowierungen innerhalb des organisierten Verbrechens gehört, aber leider noch keine zu Gesicht bekommen. Mitglieder der russischen Mafia ließen sich Sterne auf die Knie tätowieren, das heißt so viel, wie gehen vor niemandem auf die Knie. Die japanischen Yakuza ließen ihren kompletten Körper mit Drachen, Geishas und Phönixen bemalen.

      Aus einer anfänglichen Verzierung für Asoziale und Kriminelle war mittlerweile eine neue Modeerscheinung geworden. Und die Technik war weit fortgeschritten. Kreithmeier konnte einige mehrfarbige Tattoos bewundern, wenn die Haut eines Saunagastes für kurze Zeit außerhalb des Wassers zu sehen war. Trotz aller Bewunderung für die individuellen Muster und Symbole – keines war doppelt – konnte er keine Lilie entdecken, sei es in Schwarz oder Weiß. Die geheimnisvolle Frau war anscheinend nicht da. Es wäre auch zu schön gewesen, dachte er.

      Gut, mit der Zeichnung nach den Angaben Martin Wildgrubers könnte man eine Ringfahndung einleiten. Nur aus welchem Grund? Nur unter dem spekulativen Verdacht, dass sie möglicherweise etwas mit dem Tod des Schriftstellers zu tun hätte. Alles sehr wage. Und wo war der Zusammenhang?

      Kreithmeier ließ sich aus dem Strudel heraus treiben und kämpfte sich zurück ins Halleninnere. Ein kurzer Blick hoch auf den Paradise-Point: Wildgruber stand an der Rezeption und überblickte konzentriert den Saunenbereich. Als er Kreithmeier im Wasser erblickte, winkte er ihm zu und schüttelte dabei nur kurz den Kopf.

      Es wäre ja auch zu schön gewesen, diese Frau heute hier anzutreffen. Verdeckte Ermittlung in einem Sauna-Paradies. Wer war nur auf diese Idee gekommen? Rainer Zeidler genoss sicher diesen außergewöhnlichen Ausflug. Wellness und Entspannung während der Dienstzeit. Vielleicht sollte er es auch genießen und nicht so verbissen durchs Wasser pflügen?

      Er stieg aus dem Wasser, wickelte sich wieder sein Handtuch um die Hüfte und schritt durch eine Glastür zu den Calla-Kaskaden, überdimensionale Blütenkelche der Calla-Blumen, aus denen pro Sekunde 300 Liter frisches Wasser zu Boden fallen sollten. Einige junge Frauen ließen das kühle Nass über ihre Körper gleiten, nur war leider keine von ihnen schwarzhaarig und hatte eine dunkle Lilie auf dem Rücken.

      Auf dem Weg zur Alhambra kam er an der Wolpertinger Stube vorbei. Eine Sauna eingerichtet wie eine bayerische Zirbelstube: Holz, Kaminofen und voll – aber nur mit Männern. Es fand gerade ein Weißbieraufguss statt. In der Stube saßen etwa dreißig nackte Männer dicht nebeneinander auf Holzbänken und prosteten sich mit Erdinger Weißbier zu. Und unter den Weißbierfans entdeckte Kreithmeier einen bekannten Gast mit langen graubraunen Haaren: Rainer Zeidler. Er starrte durch das kleine Fenster in der Tür.

      »Der Mistkerl«, fluchte er leise vor sich hin. Eine reine Männersauna war sicher kein potentielles Versteck für eine junge Frau. Und der Zeidler amüsierte sich köstlich. Der nahm den Job nicht für Ernst, ärgerte sich Kreithmeier, als Zeidler gutgelaunt den anderen Gästen mit einem Weißbierglas in der Hand zuprostete.

      Nach ein paar Minuten, nachdem die Gäste in der Wolpertinger Stube ihr Bier leer getrunken hatten, öffnete sich die Tür und sie strömten schweißgebadet nach draußen. Kreithmeier passte Rainer Zeidler ab.

      »So nimmt sich der Herr Zeidler also der verdeckten Ermittlung an. Eine reine Männersauna. Da wird unsere Gesuchte nicht dabei sein, oder?«

      »Alois, ja wo kommst du denn her?«

      »Ich war im Pool und habe nach unserer Frau Ausschau gehalten. Was ich von dir nicht sagen kann. Alkohol und lauter nackte Männer um dich herum. Macht es Spaß?«

      »Das war übrigens alkoholfreies Weißbier. Und ich dachte, ich probiere es mal aus. Ich habe nicht sofort bemerkt, dass es sich um eine ausschließliche Männersauna handelt.«

      »Ist jetzt auch egal. Und sonst irgendetwas entdeckt?«, hakte er ärgerlich nach.

      »Viele Leute mit ausgefallenen Tattoos.«

      »Und eine Lilie?«

      »Nicht eine einzige. Das muss ein ganz besonderes Tattoo sein.«

      »Also nichts?«

      »Ja!«

      »Ich glaube, sie kommt heute nicht.«

      »Wollen wir es dann nächste Woche noch einmal probieren?«, fragte Rainer.

      »Vergiss es. Die treffen sich immer nur am ersten Donnerstag des Monats. Und so lange können wir nicht warten.«

      »Und was machen wir dann? Sie zur Fahndung ausschreiben?«, fragte Zeidler.

      »Was bleibt uns anderes übrig. Es gibt nicht viel Möglichkeiten.« Kreithmeier blickte sich um.

      »Wahrscheinlich hast du Recht.«

      »Trennen wir uns wieder und macht jeder seinen Job. Ich gehe in den alten Teil des Sauna-Traktes, und du bleibst hier im Neuen. Es ist jetzt 19 Uhr. Treffen wir uns alle Stunde im Paradise-Point bei Martin Wildgruber. Wenn wir sie bis 22 Uhr nicht gefunden haben, dann dampfen wir hier ab.«

      »Okay, so machen wir es«, unterstrich Zeidler den Vorschlag. »Ich ziehe mal los zur Meditations-Sauna. Da ist jetzt ein Klangschalenaufguss, der wird gern besucht, auch von den Tattoo Jüngern.«

      Kreithmeier blickte seinen Kollegen finster an, sagte aber nichts weiter und ließ ihn ziehen.

      »Ich glaube fast, der nimmt das alles nicht Ernst«, brummelte er vor sich hin, als er durch den Palazzo Veneziano schritt, eine pompöse Indoor Konstruktion mit Pool und italienischem Restaurant, freizügig einem Palast am Canale Grande in Venedig nachgebildet.

      »Wäre besser, wenn jetzt die Melanie bei mir wäre, auf die ist wenigstens Verlass. Die würde unseren Einsatz nicht als lächerlich und überflüssig abkanzeln.«

      Kreithmeier schlurfte in den älteren Teil der Anlage und inspizierte gewissenhaft jede einzelne Sauna. Er gönnte sich ein paar Minuten im Dampfbad, im Caldarium, im Tepidarium und in der Citrus-Sauna. Doch eine schwarze Lilie kam ihm nicht vor die Augen. Nach den Saunabesuchen kurz hintereinander wurde er müde und kämpfte sich die Stufen in den ersten Stock hinauf, zu den Ruheräumen der Vier Elemente. Gleich im ersten Raum, dem Raum der Erde, ließ er sich auf eines der Wasserbetten fallen und streckte alle Viere von sich. Er schlief sofort ein.

      Als er von seinem eigenen Schnarchen geweckt wurde, brauchte er ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte und wie spät es war. Um Zwanzig Uhr wollten sie sich wieder treffen. Die Zeit war sicher schon vorbei. Es war dunkel im Raum und außer seiner und einer anderen Liege waren alle unbesetzt. Er rollte sich auf die Seite, um langsam wieder wach zu werden und entdeckte im Halbdunkel