Axel Birkmann

Tödlicher Aufguss


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Dann würde eben die Regenerationszeit zwei Monate später anfangen und zwei Monate später enden. Genussvoll zog er an der Zigarette. Es ging ihm gar nicht um den Geschmack, es ging ihm eher um dieses Ritual, in der frischen Luft zu stehen, den Rauch zu inhalieren, ihn eine Zeit lang in der Lunge behalten, bis sie brannte und ihn dann in einem langen Zug auszublasen.

      Gizmo rannte zwischen den Bäumen des Grundstücks hin und her und nahm von seinem Herrchen keine Notiz. Ihm tat die frische Luft genauso gut. Der Schnee der letzten Tage war weggetaut und es war das erste Mal weit über Null Grad. Die sibirische Kälte war abgezogen und der Frühling kündigte sich an. Kreithmeier nahm einen letzten Zug, warf die Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie mit aller Kraft aus.

      »So, dass war wirklich meine Letzte. Aber ich habe sie gebraucht. Jetzt höre ich wirklich auf. Komm Gizmo, wir gehen wieder rein.«

      Er marschierte ohne zu Grüßen an der Bereitschaft vorbei und würdigte seinen Kollegen Dallinger keines Blickes. Er wollte gerade die Treppe in den ersten Stock nehmen, da besann er sich eines Besseren und schritt die Kellertreppe hinab zu den Gemächern der Spurensicherung.

      »Komm Gizmo, wir schauen mal, was der liebe Rainer macht.«

      Irgendwie war der Hund auf die Spurensicherung nicht so gut zu sprechen, oder die Treppe, den dunklen Keller hinunter, machte ihm Angst, auf jeden Fall hörte er nicht und rannte mit raushängender Zunge ins Obergeschoss zu Melanie, die ihn mit einem charmanten Kraulen überraschte.

      Kreithmeier sah seinem ungezogenen Hund nach und machte sich allein auf den Weg in die Katakomben. Josef Schurig hämmerte auf einer Tastatur umeinander und Rainer Zeidler hielt sich ein Reagenzglas vor die Nase. Von einem Kofferradio klang Bob Marleys Positive Vibration durch die ungemütlichen Räume der Spusi. Reggae war nicht gerade ein Musikstil, für den sich Kreithmeier begeistern konnte, vor allem wenn die Bassgitarre eintönig durch die Kellergewölbe dröhnte.

      »Wie könnt ihr nur bei dieser Musik arbeiten?«, fragte er die beiden.

      »If you get down and you quarrel everyday, You're saying prayers to the devils, I say. Woo-oh-ooh! Why not help one another on the way? Make it much easier«, sang Rainer Zeidler plötzlich zum Rhythmus der Musik, die blechern aus dem Radio erklang.

      »Und was heißt das?«

      »Wenn du schlecht drauf bist, und den ganzen Tag nur streitest, sendest du Gebete an die Teufel. Ich sage Wo-oh-ooh! Warum man keinem anderen auf diese Weise hilft? Es geht vieles einfacher.«

      »Da bin ich ja froh, dass du so denkst. Und was hast du für mich, wie kannst du mir helfen, einen dieser berechnenden Teufel aufzuspüren?«

      »Nicht sehr viel.«

      »Rainer, dieses Wort NICHTS, das höre ich so oft von dir. Kannst du mir nicht mal sagen: Alois, der Fall ist geklärt, der Täter ist überführt und du darfst jetzt nach Hause gehen.«

      »Ich habe doch diese schwarzen Haare aus dem Ruheraum mitgenommen, von der Liege, auf der sich die beiden Frauen amüsiert haben.«

      »Ja und?«

      »Es sind Haare von einer Perücke. Diese Haare sind japanische Kanekalon Fasern.«

      »Was ist denn das?« Kreithmeier blickte den Kollegen entgeistert an.

      »Die Kanekalon Faser besteht aus zwei Kunstfasern: Acrylnitril und Venylchlorid. Es ist ein relativ langwieriger Prozess solch einen Strang herzustellen. Diese Fasern werden hauptsächlich für täuschend echte Kunsthaarperücken verwendet. Am Theater zum Beispiel. Oder für teure Faschingskostüme.«

      »Das heißt, die beiden Frauen haben keine echten schwarzen Haare.«

      »Richtig.«

      »Ach du Scheiße, das heißt ja außerdem, wir können unser Phantombild in die Tonne kloppen.«

      »Oder ein paar Neue mit verschiedenen Farbvariationen herstellen. Das Tattoo gibt uns im angezogenen Zustand keinen Anhaltspunkt. Und junge Frauen mit einer knackigen Figur gibt es Hunderte im Umkreis München. Und wir wissen ja nicht einmal, wo sie wohnen, arbeiten und sich sonst noch herum treiben. Und welche Haarfarbe sie in Natur haben.«

      »Es gibt keine einfachen Fälle. Was hast du mit diesem Herumgehopse herausgefunden, diesem Par..., Par..., Pardingsbum?«, fragte Alois.

      »... diesem Parkour? Nichts. Ich habe in München angerufen, aber sie führen keine Listen über ehemalige Kunden. Und diese Sportart erfreut sich immer mehr Kundschaft. Es ist der letzte Schrei. Und für junge Leute der Extremsport schlechthin. Es gibt auch Kurse, wie du lernst ein Hochhaus hinunterzurennen.«

      »Was?«

      »Da bist du natürlich angeschnallt. Aber es muss schon geil sein, den Munich Uptown oder einen der Türme der Munich Twins steil hinabzulaufen.«

      Kreithmeier tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Du spinnst. Also, du hast auf jeden Fall nichts für mich.«

      »Wenn du so willst, ja.«

      »Wer hat die Schlüssel für das Haus vom Backhaus?«

      »Der Schurig.«

      »Ich brauche sie, ich werde mich dort noch einmal umschauen.«

      »Da waren wir doch schon«, bemerkte Zeidler, »wir haben alles untersucht. Da wirst du nichts finden. Das ist alles klinisch rein.«

      »Rein ist nicht rein«, faselte Kreithmeier.

      »Ein selten dämlicher Spruch. Rein kann man nicht steigern.«

      »Doch Rein, Rainer, am Reinsten.«

      »Blödmann.« Diesmal zeigte ihm Zeidler einen Vogel.

      »Mir Wurscht, ich brauche jetzt den Schlüssel.«

      »Josef, wirf doch mal bitte den Hausschlüssel von der Bude vom Backhaus rüber«, rief Zeidler seinem Kollegen zu. Und zum Kreithmeier gewendet: »Und du willst dort alleine hin? Soll ich vielleicht mitkommen?«

      »Ich nehme nur Melanie mit und Gizmo, meinen Spürhund. Und einen Plan vom Gebäude. Habt ihr so etwas?«

      Rainer Zeidler schüttelte mit dem Kopf.

      Kreithmeier ließ nicht locker: »Wer hat das Gebäude gebaut, das ist noch nicht so alt?«

      »Ein Architekturbüro aus Freising. Das Baukonzept, so heißen sie, glaube ich.«

      Kreithmeier fing den Schlüssel auf, den ihm Josef Schurig zuwarf und verließ den Keller. Zeidler sah ihm nach, schüttelte den Kopf und sagte zu sich: »Rein ist nicht rein. So ein Quatschkopf.«

      Kurze Zeit später öffnete Kreithmeier das Haus des verstorbenen Schriftstellers ein zweites Mal. Diesmal hatte er einen Bauplan dabei und breitete ihn auf dem Esstisch in der Küche aus. Gizmo hatte keine große Lust, das Haus zu untersuchen. Er setzte sich im Esszimmer unter den Tisch und schaute den beiden Kommissaren gelangweilt zu.

      »Das ist der Plan«, sagte Kreithmeier und deutete auf die ausgebreitete Fotokopie.

      »Wie es aussieht, gibt es keinen Keller. Es ist auf jeden Fall kein Kellergeschoss eingezeichnet und eine Treppe nach unten haben wir auch nicht gefunden. Da hat er gespart. Jetzt werden wir Schritt für Schritt jeden Raum noch einmal gewissenhaft untersuchen. Ich bin der Meinung, der Mann muss irgendeinen geheimen Raum, eine Art Archiv, Bilderkammer oder etwas in der Richtung hier eingebaut haben. Der Mann hat jahrelang geschrieben, da muss es doch so etwas wie eine Aktensammlung geben. Seine Notizen, seine Recherchen, seine Manuskripte, wo ist das alles?«

      »In einem Schließfach in einer Bank?«, fragte Melanie und beugte sich über den Gebäudeplan.

      »Oder er hat hier im Haus einen Safe versteckt, aber den müssten dann Zeidler und Schurig gefunden haben. Die waren doch einen ganzen Tag hier drinnen.«

      »Nichts haben sie gefunden.« Kreithmeier war etwas ungehalten. »Rein gar nichts. Und das kommt mir spanisch vor. Hier war jemand vor uns da und hat sauber gemacht. Ob er was gefunden hat, das wissen