Axel Birkmann

Tödlicher Aufguss


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Nur ein kurzer Blick, dann las der Mann weiter: »Mach ich, wenn ich ihn sehe.«

      »Sie sind der Chef hier?«

      »Wer soll ich sonst sein?«

      Der Mann hatte einen kurzärmeligen Pullover an. Seine beiden Arme waren fast an jeder Stelle mit bunten Tattoos überzogen. Auf dem rechten Arm: Farbige Bilder von jungen Elfen, Drachen und anderen mythologischen Wesen. Auf dem Linken, so weit Kreithmeier erkennen konnte: Männer und Frauen in alten Gewändern mit blutunterlaufenen Augen und spitzen Zähnen – Vampire.

      Kreithmeier wollte fast schon wieder gehen, denn er merkte sehr schnell, dass er hier nichts herausbekommen würde, das war halt nicht seine Welt. Sollte der Zeidler lieber hierher gehen und nach der schwarzen Lilie fragen. Das wäre sicher besser. Als er die Türklinke in der Hand hielt, kam der Mann hinter dem Tresen hervor und schritt auf ihn zu.

      »Sven, mein Name ist Sven. Der Laden gehört mir. Was willst du? Hast du dich verlaufen, nach einem neuen Tattoo siehst du mir gerade nicht aus.«

      »Das stimmt, ich wollte mich nicht stechen lassen. Aber ich bräuchte eine Auskunft.«

      »Bist du ein Bulle?«

      Kreithmeier zögerte: »Ja. Ich bin von der Kriminalpolizei.«

      »Da schau her. Ich habe es mir fast gedacht, als du in den Laden hereingekommen bist. Ein Bulle. Und was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?«

      Kreithmeier drehte sich um und kehrte zurück an den Tresen.

      »Ich suche ein ganz spezielles Tattoo.«

      »Für deine Freundin?«

      »Nein.«

      »Für deinen Freund?«

      »Nein! Es ist eine Lilie. Es handelt sich um eine schwarze Lilie.«

      »Eine schwarze Lilie. So etwas habe ich noch nie tätowiert, auch noch nicht gesehen. Die schwarze Lilie ist etwas aus der Mode gekommen. Sie war einmal sehr verbreitet. Nicht hier bei uns, aber in Frankreich. Und das vor langer Zeit.«

      »Wieso denn das?«

      »Komm, ich zeige es dir. Ein Bier, Herr Kommissar?«

      »Nein Danke.«

      »Ich verstehe schon, im Dienst. Setz dich, ich komme gleich wieder.«

      Kreithmeier setzte sich auf einen der beiden Ledersessel und blätterte durch die Fotoalben mit den realisierten Tattoo-Mustern des Studios. Der Mann war plötzlich erstaunlich freundlich. Und das zu einem Polizisten.

      »Da habe ich was. Die Lilie ist ein altes Göttinnensymbol und bedeutet Reinheit und Keuschheit, Unbeflecktheit und Jungfräulichkeit – auch im spirituellen Sinn. Hierbei ist aber auch die Farbe der Lilie zu beachten. Besonders die weiße Lilie steht für die vorgenannten Attribute. Eine schwarze Lilie bedeutet hingegen: Ehebruch und Unkeuschheit und wurde Ehebrecherinnen auf den Oberarm oder die Schultern als Brandmal eingebrannt. Die Jungfrau Johanna benutzte ebenfalls eine Lilie als ihr Symbol, so wie es auch das französische Königshaus seit Jahren tut. Grundsätzlich steht die Lilie für die Reinheit des Lebens und für dessen Lebenskraft.«

      »Ich habe darüber gelesen. Die Nutten in Frankreich sind mit einer Lilie gebrandmarkt worden. Das war kein Tattoo sondern ein Brandeisen.«

      »Wieso interessiert dich das, mein Kommissar?«

      »Das kann ich leider nicht sagen. Ich ermittle noch. Aber es ist nett von Ihnen, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«

      »Das bin ich dir doch schuldig. Einige meiner besten Kunden sind Polizisten.«

      »Auch einer mit langen Haaren, die er seit ich denken kann in einem Pferdeschwanz trägt?«

      »Mit einer etwas größeren Nase?«

      »Ja!«

      »Der Rainer. Natürlich, der ist schon oft bei mir gewesen. Immer sehr ausgefallene Sachen.«

      »Und was?«

      »Bei aller Liebe, Herr Kommissar. Diskretion. Du verstehst. Auch wir haben eine gewisse Schweigepflicht und Verantwortung unseren Kunden gegenüber. Du weißt gar nicht, wer sich hier schon alles stechen hat lassen, gerade auch von den gehoberen Herrschaften, und an was für Stellen. No Fucking Way. Do geht nix. Das musst du halt so hinnehmen. Zurück zu deinem Anliegen. Ich habe hier einen Schmöker über Symbolik. Das kann vielleicht interessant sein.«

      Der Tätowierer ließ sich neben Kreithmeier fallen und schlug den Bildband auf.

      »Hier steht einiges über die Lilie. Ich lese mal vor: Die Form dieser stilisierten Blume selbst geht zurück bis ins frühe Mesopotamien. Als Herrschersymbol wurde es in Österreich und in anderen Nachbarländern, auch in Deutschland, übernommen und findet sich in der Heraldik auf Schilden, Wappen und Flaggen wieder. Es wurde sogar zum Wahrzeichen von Florenz, der Stadt der Lilie.

      Erst später wurde es zum Brandmal von Ehebrecherinnen, Verrätern und Sträflingen, die damit als „Unberührbare“ gekennzeichnet und teilweise deportiert wurden. Somit findet sich dieses Zeichen in den damaligen französischen Kolonien wieder und eroberte den amerikanischen Kontinent, wie zum Beispiel in New Orleans.

      Auch in der Neuzeit fordert das Zeichen der Schwertlilie Hochachtung ein und steht für Edles und Adeliges. Es symbolisiert Perfektion, Reinheit und Leben. Die römisch-katholische Kirche adaptierte dieses Symbol daher für die Jungfrau Maria und aufgrund ihrer dreiblättrigen Basis für die Dreieinigkeit. In zahlreichen Kirchen findet sich daher dieses Symbol wieder.

      Das Militär der Vereinigten Staaten verwendete es schließlich, um Macht und Stärke zu demonstrieren, denn es erinnert in seiner Form an eine Speerspitze.

      Die Lilie soll sogar das Symbol einer Geheimorganisation gewesen sein, der berühmte Persönlichkeiten wie Da Vinci, Isaac Newton und Victor Hugo angehörten. So muss sie ihren Weg in die heutige Esoterik gefunden haben.

      Mittlerweile ist die so genannte Ritter– oder Bourbonenlilie auch in der Gothic-Szene nicht mehr weg zu denken. Gerade bei den Vampiranhängern symbolisiert sie immer noch Herrschaft und Macht, Eigenschaften, die ohne Zweifel diesen Kreaturen zugeschrieben werden. Sie sind genauso unsterblich wie diese Lilie, tragen wie sie gute und schlechte Eigenschaften in sich und überdauern die Jahrhunderte wie sie – unbeschadet.«

      »Vampire, so ein Schmarrn. Steht auch etwas über eine weiße Lilie darin?«

      »Ja, hier. Die weiße Lilie steht nicht nur für Schönheit und Reinheit, sondern auch für den Tod. Sie gilt als Blume der Lilith. Das war die erste Frau Adams. Viele Mythen und Legenden ranken sich nicht nur im christlichen Glauben um diese faszinierende Blume. So heißt es, sie blüht besonders auf den Gräbern unglücklich Liebender oder unschuldig Hingerichteter, hier symbolisiert sie die Entsagung. Und sie soll als „Blume der Maria“ auch gegen Hexerei und schwarze Magie wirken, wenn man sie vor dem Haus pflanzt.«

      »Danke für diese vielen Informationen. Warum lässt sich nun eine junge Frau eine schwarze Lilie auf den Hintern stechen und eine andere eine weiße?«

      »Aha, Herr Kommissar, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Sie suchen nach zwei Frauen mit diesen Blumen als Tattoo?«

      »Ja. Und ich frage mich erstens, wer hat diese Arbeit getan und zweitens warum gerade diese Symbolik. Was bedeutet sie?«

      »Muss sie denn etwas bedeuten?«

      »Ich habe bei der Polizei auch erst lernen müssen, dass nichts dem Zufall überlassen ist und das alles einen Sinn hat und ergibt. Also warum zwei solche eigenartige Blumen auf dem Gesäß zweier hübscher junger Frauen?«

      »Hübsch sind sie auch noch. Wir kommen der Sache näher.«

      »Wie sind denn Ihre Kontakte zu anderen Tattoo Studios?«

      »Sehr gut. Wir sehen uns immer wieder mal auf einer Erotikmesse oder auf der Tattoo Convention in München.«

      »Könnten Sie für mich ein wenig rumhorchen,