Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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Hund strich ihm um die Beine, bittend, doch Signor Botello war heute unwillig, das leise Fiepen und Hecheln und Winseln zu hören, sodaß er immer wieder besänftigend: „Schön ruhig!“, sagte.

      Inzwischen war es dunkel geworden. Das silberne Licht, das aussah wie vom Himmel herabgefallen, war längst einem undurchdringlichen Grau gewichen und jeder Wind hatte aufgehört. Signor Botello schloß das Haus neben der Erzgrube auf und holte sich eine Flasche Wein und ein Glas. Damit setzte er sich an die Wand des Hauses, den Blick auf den unter ihm liegenden Hang neben der Grube gerichtet. Der Mond ging gerade auf, sodaß der rauhe Hang, die Kuppen der Berge und das ferne, tief unten liegenden Meer, nach und nach in gespensterhafter keuscher Klarheit emportauchten.

      Nun machte Signor Botello sich ruhig an sein Abendbrot heran, das er auswickelte, auf dem Papier ausbreitete, und mit dem Hund teilte, der seinen Teil gierig verschlang und dann seinen Kopf auf die Schuhe Signor Botellos legte. Sorgfältig faltete Signor Botello das Papier wieder zusammen und steckte es in die Tasche.

      An einem anderen Abend wäre er selbst bald zur Ruhe gegangen, wäre selbst gern eingeschlafen, aber heute offenbarte sich ihm das Verrinnen der Zeit so schonungslos wie nie zuvor, und er war sogar - für einen kurzen Moment - bereit, an die Ewigkeit zu glauben.

      In den letzten Jahren war er oft hier, in der Nähe der Erz-Grube, allein mit seinem Hund, lieber als in seinem Zuhause, wo er sich immer mehr als Fremder fühlte. Doch heute fühlte er das unerbittliche Schweigen der Natur um ihn herum, fühlte, wie sehr er selbst allein mit diesem Hund war, der leise zu seinen Füßen schnaufte, - all das, was ihm sonst so wohltuend gewohnt war, erschien ihm heute so verloren und machte es ihm unmöglich, Ruhe zu finden. Es genügte ihm plötzlich nicht mehr, den schmeichelnden Hals und Kopf des großen Tieres an seinen Beinen zu spüren.

      Er atmete tief ein, wie um die Gedanken zu verscheuchen, die ihn so oft gequält hatten. Und wie schon vor der Kirche, in der Nähe des Klosters, wurde alles blitzartig in ihm lebendig, seine frühere Jagd nach dem Glück, die Demütigungen, die Enttäuschungen, und vor allem - seine Eifersucht, seine unsinnige, heftige Eifersucht!

      Schließlich wurde er doch ein wenig müde, beugte sich liebevoll über seinen Hund, der aufgeschreckt seinen Kopf hob und ihn fragend ansah. „Nun, kannst du so einschlafen oder muß ich dir eine Gutenacht-Geschichte erzählen?“

      2. Kapitel

      Antonio, der Hauswart der Pension in den Bergen, hatte Pauline angeboten, sie in seinem Wagen mit nach unten zu nehmen, in die Stadt, nach Cefalú, wo er sie an einem kleinen Platz absetzen sollte, oberhalb einer Kehre der Landstraße, einer Stelle, die sie sich am Tag zuvor ausgesucht hatte, um dort zu malen. Inzwischen waren sie dort angelangt.

      „Halten Sie jetzt bitte!“, rief sie, „Hier ist es!“

      „Unmöglich! - Impossibile! Signora!“, rief Antonio, „Ich kann hier nicht anhalten!“ Er fuhr um die Kehre herum, fuhr weiter und weiter, bremste endlich und setzte sie viel zu weit unten ab; - obwohl es weiter oben auch gegangen wäre, sie hatte es doch gesehen, dort in der Einfahrt! - sodaß sie die schwere Staffelei und ihre Tasche mit dem Wasser, dem Papier und den Farben ein ganzes Stück die Straße wieder zurück und die Treppe hoch zu der kleinen Plattform schleppen mußte.

      Keuchend und ganz außer Atem langte sie oben an, konnte ihre Sachen neben dem Geländer abstellen, und warf einen ersten prüfenden Blick auf das Meer, auf Cefalú, den mächtigen Normannenfelsen, der die Stadt dominierte. - Raphael hatte es ihr erklärt, daß es ein Basaltkegel vulkanischen Ursprungs sei, - er als Bergbau-Ingenieur kannte sich in Geologie natürlich aus. - mit Tempelresten oben, - wo gab es hier in Sizilien nicht oben auf den Bergen Reste von griechischen Tempeln? -

      Raphael!

      Gestern noch war ihr die Aussicht hier so wunderbar vorgekommen! - Doch jetzt fiel ihr der entsetzliche Lärm auf, das Rauschen des ständig vorbeifließenden Verkehrs, die Lastwagen, die Motorräder, das Bremsen, das Hupen, die aufheulenden Motoren; dazu stieg quälend der Gestank von Dieselqualm zu ihr hoch und beleidigte ihre Nase.

      Nun hatte sie alles ausgepackt, ihre Staffelei aufgestellt, und stand, das Gesicht unter dem Strohhut geschützt, und begann zu zeichnen, - doch die Striche wollten sich nicht fügen, sie war unaufmerksam, nervös, und wieder überfielen sie die Gedanken an den Mann, den sie gestern kennengelernt hatte. - Raphael.

      Diese Idee, nach Sizilien zu fahren und hier allein in der Landschaft zu stehen und zu malen, - und was denn überhaupt? - erschien ihr auf einmal absurd. Der Ort, an dem sie stand, der Ausblick auf die Stadt und das Meer erschien ihr häßlich, ohne jeden Reiz, und sie begann ihn zu verabscheuen.

      Plötzlich hatte sie den Wunsch, all ihre Malsachen einzupacken oder sie über die Brüstung des kleinen Platzes zu werfen, - und sie hätte es getan, wenn sie dadurch diesen Mann, den sie gestern getroffen hatte, sich hätte hierher zaubern können.

      Würde sie ihn denn jemals wiedersehen?

      Wie groß war Sizilien!

      Sie hatte nichts zu ihm gesagt, weil sie gewartet hatte, daß er etwas sagen würde, und er hatte nichts zu ihr gesagt, - ja warum? Vielleicht hatte sie sich ihm gegenüber zu abweisend gezeigt?

      So waren sie auseinandergegangen, ohne eine Verabredung zu treffen.

      Warum?

      Immer wieder lief die gleiche Gedankenfolge in ihr ab und wiederholte sich bis zur Sinnlosigkeit.

      Pauline versuchte sich zusammenzureißen, als sie sich bei diesen sinnlosen Gedankenwiederholungen ertappte, und schalt sich innerlich selbst für ihr Trägheit und Mutlosigkeit. Sie wußte es doch: hatte sie diese erst überwunden, würde sie arbeiten können, - und was dann folgte, war die Freude, - die Freude am Schauen, am Schöpferischen. 'Und wer von der Freude erfüllt ist', dachte sie, 'ist auf dem richtigen Weg.' Deshalb war die Überwindung der Trägheit der Weg zur Kunst!

      'Malen - das ist mönchisches Tun!' - sie liebte diesen Satz, obwohl sie ihn noch mehr geschätzt hätte, wenn ihr das entsprechende Adjektiv zu 'Nonne' eingefallen wäre.

      Während ihre Gedanken sie so narrten, zeichnete sie beharrlich weiter, doch lange blieb alles formlos, was sie auf das Papier brachte, plump, ungestalt, - wieder riß sie einen Bogen ab.

      Doch sie wußte, sie mußte sich zwingen, - war es doch schon schwierig genug, sich gegen den Verkehrslärm zur Wehr zu setzen, - und durch Geduld und Ausdauer überwand sie auch wirklich ihre innere Ablenkung, und konnte sich konzentrieren, - endlich auch hatte sie sich in die Ansicht vor ihren Augen eingesehen und eingelebt, und so belebte sich auch ihre Zeichnung.

      Ganz in ihre Arbeit versunken hörte sie mit einem Male eine Kinderstimme auf italienisch sagen:

      „Was machst du?“ Es lag etwas Gelangweiltes, Nörgelndes, Bösartiges in dieser Stimme, was sie sofort ärgerte.

      „Zeichnen! Das siehst du doch!“, entgegnete sie heftig, ohne aufzublicken.

      „Und was zeichnest du?“

      „Die Stadt, - schau, da unten liegt sie!“, in dem Augenwinkeln nahm sie einen kleinen Jungen wahr, der seinen Roller auf den Boden abgelegt hatte und mit gespieltem Interesse und übertriebenen Bewegungen seines Kopfes ihre Handbewegungen über das Papier auf der Staffelei verfolgte, etwas, was sie verabscheute.

      „Du, ich arbeite, verstehst du, ich wäre gern ungestört, sola, allein!“

      „Ich sehe keine Stadt,“, nörgelte der Junge, „Das ist doch nur Krikelkrakel!“

      An diesem Morgen schien alles daraus aus zu sein, sie zu ärgern! Empört drehte sie sich um, sah sich zum ersten Mal den Jungen richtig an, er war so alt wie ihrer, doch es ärgerte sie, daß er so wenig Kindliches an sich hatte, und schon das spätere Männergesicht in seinen groben altklugen Zügen vorgezeichnet war.

      „Schenkst du mir ein Bild?“, bat der Kleine.

      „Nein! Warum denn?“, erwiderte sie schroff, „Hast du