Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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Herr Pastor!“ rief er, „Soll ich etwa in Deinen Orden eintreten?“ Der Pfarrer blieb ganz ruhig,

      „Das ist nicht notwendig!“

      „Du redest von Dingen, die nur Dichter und Heilige verstehen können.“ Der alte Mann sprang auf, warf seine Angelrute wütend über die Schulter, „Ich kann nicht vergeben! Ich kann nicht verzeihen!!“ und stapfte ohne Gruß davon.

      Der Pfarrer begriff, daß er die Schraube überdreht hatte. Nun würde es eine ganze Zeit dauern, bis er wieder mit dem alten Botello würde reden können. Er war einen Moment lang unwillig, wunderte sich über die schroffe Art und Weise, in der sein Kamerad verschwunden war, sah ihm nach, ruhig, neugierig, was nun geschehen würde. Es geschah nichts. Er zuckte mit den Schultern und wendete sich zum Bach, sah voller Geduld auf den Kork, der im Wasser schwamm. Dann erhellte sich seine Miene, ein überirdisches Leuchten verschönte seine Züge, sein Kork hatte begonnen, irrsinnige Kreise zu ziehen und er wußte, - endlich hatte der Berghecht angebissen!

      4. Kapitel

      Pauline hatte zum ersten Mal, in all den Wochen, seit sie hier oben in diesem ehemaligen Bauernhof lebte, schlecht geschlafen. Immer wieder hatte sie wachgelegen. Der Boiler im Bad hatte geknistert, eine Mücke gesirrt im Zimmer. Trotz der Steinböden hatte es ständig irgendwo in dem weitläufigen Haus geknarrt, hatte es unerklärliche Geräusche gegeben, eine zitternde Unruhe die ganze Nacht hindurch. Erst gegen Morgen war sie etwas fester eingeschlafen.

      Die Pferde hatten sie dann geweckt mit ihrem Wiehern. Noch im Nachthemd und Morgenmantel ging sie hinaus in den Garten. Draußen war es frisch und auf dem Gras lag noch Tau. Rasch pflückte sie ein paar kleine Blümchen, und eilte zurück in ihr Zimmer, immer in Sorge, Raphael in diesem Aufzuge zu begegnen.

      „Guten Morgen, Philipp!“, begrüßte sie das Foto ihres Sohnes auf dem Nachttisch, „Herzlichen Glückwunsch!“, und legte die kleinen Blumen davor. - Nachher mußte sie ihn anrufen! Unbedingt! Nicht vergessen! -

      Ihr Sohn, der jetzt in den Ferien bei seinem Vater war, war heute zehn Jahre alt geworden; - der erste Geburtstag, den er ohne seine Mutter erlebte. Wie würde das sein für ihn? Wahrscheinlich würde sein Vater mit ihm im Motorsegler an die Ostsee fliegen, nach Rügen, das war des Jungen sehnlichster Wunsch gewesen. Jahrelang hatte sie sich dagegen gewehrt, daß er den Jungen in diesem zerbrechlichen Gerät zum Fliegen mitnahm, jetzt war es nicht mehr zu verhindern.

      Diese Ferien in Sizilien hatte sich Pauline so schwer erkämpft, auch gegen eigene innere Widerstände erstritten, - wenigstens für ein paar Wochen die Pflichten loszuwerden, sich einmal für lange Zeit, - sechs Wochen waren es! - ganz der Kunst, ihrer geliebten Bildhauerei und der Malerei widmen zu können, diesen alten Traum endlich einmal leben, nicht immer nur davon träumen!

      Schnell machte sie sich fertig und ging wieder hinaus. Alles war wie neu an diesem Morgen; alles in dem weiten Gelände war, als ob sie es zum ersten Mal sah. Die Pferde kamen neugierig angetrabt und schnupperten an ihr. Die Tiere, die Kette der Berge im Morgendunst, die frische Luft gaben ihr eine Erlaubnis, ja, eine Freude am Leben, wie sie sie selten empfunden hatte.

      Vorsichtig ging sie um das Haus herum, sah suchend die kleine steile Treppe hoch, die zu Raphaels Zimmer führte, seinem Schwalbennest, - die Tür und das Fenster daneben standen offen. Er war also schon aufgestanden!

      Vorsichtig lief sie ein wenig weiter in den Garten hinein, und da hatte sie Raphael auch schon entdeckt. Unter einer der Pinien, an ihrem Frühstücksplatz, saß er und las die Zeitung. Eine Kanne stand schon da, wohl mit heißem Kaffee, und ein Tablett mit Geschirr. Offenbar hatte er selbst das Geschirr geholt und hierher geschleppt. - Alles war bereit für ein Frühstück hier draußen, unter den Pinien, angesichts der Bergkette, der Ausläufer des Ätnamassivs. Und - er hatte noch nicht angefangen, hatte also auf sie gewartet!

      Da blickte er auf, sah sie kommen, faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Nach der Begrüßung sagte sie streng:

      „Wie kann man angesichts dieser Natur, dieser Schönheit eine Zeitung lesen?“ Raphael lachte nur,

      „Ich muß schließlich wissen, wie das Wetter ist! - Nein,“, gestand er dann, „Das ist leider Arbeit, die Rohstoffnotierungen.“

      „Sind Sie schon lange auf?“

      „Oh, ja, ich habe die Pferde begrüßt und begutachtet. - Wir sollten einmal zusammen ausreiten!“ Pauline geriet in Verlegenheit, denn sie konnte nicht reiten. Schließlich erwiderte sie zögernd,

      „Man kann hier Reitstunden nehmen …" Anscheinend hatte er sie verstanden, denn er sagte,

      „Es ist nicht so schwer!“

      „Wie schön, daß Sie wir draußen frühstücken können!“, sagte sie.

      „Ja,“, erwiderte er, „ich wollte es einmal anders haben als sonst! - Auch Sie sollen es anders haben, als es alle Tage war!“

      „Dann hätte ich, wie jede Frau, wenigstens erwartet, daß Sie den Frühstückstisch mit Rosen dekoriert hätten. Dazu einen großen Zettel, mit einem Pfeil an einem Baumstamm befestigt: 'Für Pauline!' “ Raphael grinste nur frech und beobachtete, wie sie das Geschirr und das Besteck auf dem Tisch verteilte.

      „Mir gefallen Ihre raschen Bewegungen,“, sagte er unvermittelt, „wie Sie eben auf mich zukamen, - und wie Sie jetzt den Tisch decken.“

      „Soll ich jetzt verlegen sein?“ Sie war auf einmal sehr verwirrt, ging mechanisch weiter um den Tisch herum, stellte die Tassen ab, es war ein tapferes Sich-Stemmen gegen diesen Überfall! Gab es denn dagegen, gegen diese männlichen Überfälle, keinen Schutz? Mißtrauisch sah sie ihn an.

      Er war schon wach, schrecklich wach, während es ihr auf einmal vorkam, als würde sie sich noch zusammensuchen müssen, - aus den Stücken, die die schlaflose Nacht von ihr übrig gelassen hatten. Dabei war er doch gerade angekommen, und sie hatte sich schon vier Wochen lang erholen können!

      „Erst einmal den Kaffee bitte,“, sagte sie, „vorher findet noch gar kein richtiger Tag statt bei mir!“ Mit halboffenen Lidern beobachtete sie, wie er mit vollkommen sicherer Hand - ohne zu zittern! - ihr Kaffee einschenkte. Er redete auch schon, er hatte Pläne, - dabei war doch alles viel zu früh! Obwohl die frische Luft so aussah, sich so anfühlte, so atmete, als sei es schon hell, und als sei es wirklich der Morgen, nicht nur ein verlängerter heller Traum.

      Pauline kam morgens erst langsam zu sich. Bis dahin mußte sie sich verstecken, so tun als ob. So tun, als ob sie Appetit hätte, Interesse an seinen Worten, am Tag, an sich selbst, an all dem, was mit ihr vorging, - es war ein großes Versteckspiel, jeden Morgen, und niemand merkte es, normalerweise!

      Da machte Raphael den Mund auf und wollte etwas sagen.

      „Noch nicht fragen, bitte!“, sagte sie. Er lachte belustigt. Und sie hielt ihm die Tasse hin, die er wieder mit Kaffee auffüllte.

      Aus lauter Verlegenheit tat Pauline so, als sei sie schon konzentriert im Anschauen der Landschaft, sei schon dabei, sich auf neue Bilder vorzubereiten, - doch, wenn sie ehrlich war zu sich, mußte sie immer vorbeisehen an ihm, um ihn nicht immerzu anzusehen, - denn das wäre doch nicht gut, oder?

      Und es kam ihr unwirklich und geradezu überwältigend vor, daß sie hier draußen saßen, unter den wirklichen Pinien, angesichts dieser wunderbaren wirklichen Berge, wirklichen Kaffee tranken, - alles ganz einfach, als ob nichts geschehen sei. Und es war ja auch nichts geschehen. - Und soviel!

      „Milch?“ Sie schüttelte heftig den Kopf,

      „This is not good for me!“

      Es schien ihm zu gefallen, merkwürdigerweise, wie sie etwas ablehnte: „This is not good for me!“, wie sie Wünsche äußern konnte, etwas verwarf oder annahm, - dabei ahnte er nicht, daß sie oft, wie ein Falter zwischen ihren eigenen Strebungen hin- und hertaumelnd, - ohne jedes Konzept, aber stur, völlig zufällig Entscheidungen traf, - und sich so ihrer eigentlichen