Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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auf dem Rücken aufs geratewohl in die Landschaft gelaufen, war über einen Weidezaun geklettert, um eine geeignete Aussicht zu finden, ein schönes Motiv zum Malen, hatte ihre Staffelei aufgestellt, die Palette ausgepackt, die Pinsel bereit gelegt, und wollte nun diese Bergkette vor ihren Augen malen, die nördlichen Ausläufer der Monti Nebrodici, sie in ihrer eigentümlichen Gestalt und Färbung erfassen, - bläuliche Hügelketten unter einem blaugrauen Himmel, - doch die Berge schienen sich dagegen zu sträuben, von ihr erfaßt zu werden, und weil sie abgelenkt war mit ihren Gedanken, wollte ihr nichts gelingen.

      Schließlich war sie so durcheinander und verärgert, daß es überhaupt nicht mehr ging, also packte sie alles wieder zusammen, lief zurück zum Hof, in ihr Zimmer, stellte ihre Staffelei und Palette in eine Ecke, warf die beiden Skizzen, die sie gemacht hatte, auf den Boden, hockte sich auf die Bettkante, wie auf dem Sprung, - und kaute an ihren Nägeln.

      Plötzlich fragte sie sich, ob Raphael sie überhaupt attraktiv finden könne, - sein Blick mit diesem häufigen, spöttischen Lächeln fiel ihr ein. Dann überlegte sie, ob er das bewußt so angestellt hatte, mit dieser Ölspur, stellte sich einen Moment lang vor, daß er mit Absicht über einen großen Stein am Rande der Straße gefahren sei, um die Ölwanne zu beschädigen und so aufzufallen, einen Vorwand zu haben, sich einfach zu ihr, einer fremden Frau, an den Tisch zu setzen. -

      Bei diesem Gedanken lachte sie hell auf, stieß ihre Zeichnungen mit dem Fuß beiseite, diese rutschten halb unter das Bett, - sprang auf, zog sich aus, zog den blauen Hosenanzug an, - und eine frische geblümte Bluse! - nahm ihr Bildhauerwerkzeug, den großen Klöpfel aus Holz und die verschiedenen Meißel, ging nach draußen, dorthin, wo ihre Skulpturen im Gras lagen, und begann, an einem ihrer Steine weiterzuarbeiten. Es war ein großer Kopf, ein Männerkopf, mit einem Haarschopf, der wie eine Mütze aussah, - alles noch unfertig und roh, die Massen nur angelegt, die Formen bisher nur angedeutet.

      Hier, im Freien, bemerkte sie erst, wie warm es immer noch war, verspürte heftigen Durst und holte sich eine Karaffe mit Wasser und ein Glas. Endlich waren ihre Vorbereitungen abgeschlossen und sie konnte anfangen zu arbeiten. Verbissen hämmerte sie an dem Stein herum, war bald mit Staub bedeckt und geschwitzt. Ab und zu mußte sie sich mit schmerzendem Rücken aufrichten, - und kam sich dabei vor wie auf der Fron, wie eine Sklavin, die - für wen eigentlich? - in ihren Ferien, hier in der Hitze schuften mußte, während andere Menschen jetzt in einem Liegestuhl lagen, - an einem schönen Strand, auf das Meer schauen durften, und, wenn es ihnen zu heiß wurde, schwimmen gingen, - als Raphael plötzlich neben ihr stand; und sie hatte nicht bemerkt, wie er gekommen war, hatte über ihrem Hämmern nicht einmal seinen Wagen gehört.

      Raphael musterte sie amüsiert, „Der einzige Mensch, der auf dieser Insel jetzt wirklich fleißig ist,“, sagte er, „sind wahrscheinlich Sie! - Was soll das für ein Tier werden?“ Warum duzte er sie nicht einfach?, wunderte sich Pauline.

      „Kein Tier,“, sagte sie wütend, „sondern ein Männerkopf, - ich dachte dabei ein wenig an Ihren!“ Wieder lächelte er.

      Vor diesem Mann hier, der sie so offen mit seinen hellen blauen Augen ansah, mit diesen freundlichen warmen Augen, zerfiel ihre Wut und Empörung zu nichts. Sie fühlte sich nur noch hilflos. Sie schämte sich, in Arbeitskleidung vor ihm zu stehen, verschwitzt und mit Staub überpudert; - und sie wollte ihm doch gefallen! -

      Raphael tat jetzt etwas Unerwartetes. Er nahm ihre Hand in seine und hielt sie fest. Sie spürte, daß er sogar mit seinen Fingern ganz behutsam ihren Handrücken streichelte. Sie hielt still, schaute ihn mit offenem Mund an, seine Berührungen hatten etwas Beruhigendes, Tröstliches. - Er will mich trösten!, dachte sie verblüfft. - Warum nur?

      Sie machte ihre Hand vorsichtig los, nahm ihr Glas, trank es leer und wartete. „Kommen Sie mit,“, sagte er, „ein kleiner Ausflug in die Berge. Ich möchte Ihnen zeigen, was ich dort gefunden habe, und weshalb ich immer dorthin fahre.“ - Einmal etwas anderes! Es wäre ja noch früh am Nachmittag. Sie hätten Zeit genug.

      Sie nickte nicht, sie reagierte überhaupt nicht. Irgendetwas war geschehen, - oder geschah gerade jetzt, - was etwas Neues in ihr Leben brachte, ganz überraschend. Einen Moment überlegte sie , was sie ihm mitteilen könnte, und sagte dann nur etwas sehr triviales: „Ja! - Ich muß mich nur noch frisch umziehen.“

      Als sie ins Bad ging, war sie erschrocken, wie häßlich sie aussah, häßlich und müde! Sie war tatsächlich über und über mit Staub bedeckt, mußte erst einmal duschen, die Haare waschen, - fühlte sich gehetzt, - mußte plötzlich noch soviel erledigen, daß die Zeit nie reichen konnte für alles.

      Endlich langte Pauline an seinem Wagen an, mit nassen Haaren, verschmiertem Lippenstift, unordentlich angezogen, - er saß auf dem Fahrersitz, las eine Zeitung. „Ich hasse es, jemanden warten zu lassen!“ murmelte sie, ließ sich auf den Sitz fallen.

      „Nicht so schlimm!“, sagte er, ohne hochzublicken und faltete die Zeitung zusammen. War er verstimmt? Dann legte er vertraulich den Arm um ihre Schulter, ihr wurde es heiß, sie atmete tief durch, hoffentlich würde er jetzt nicht versuchen, sie zu küssen! Nein! Er sah sie nur an, strahlte, „Schön, daß wir diesen Ausflug machen!“

      Raphael setzte sich seine Schirm-Mütze auf, hatte auch eine für sie, startete, fuhr los, sie winkten Maria und Antonio zu, dem Hauswarts-Ehepaar, das am Restauranthaus stand, wie früher die Dienstboten.

      Unten auf der Küstenstraße wirkte Raphael auf einmal unsicher, hatte er nicht behauptet, die Strecke zu kennen? Nahm er eine andere Straße als gewohnt? Pauline wollte ihm helfen, bestand darauf, die Karte zu lesen, die gerade in diesem Küstenabschnitt nicht stimmte, was er wiederum nicht glauben wollte. Um auch in die Karte schauen zu können, lenkte er den Wagen mit der linken Hand und neigte sich dabei gefährlich zu ihr herüber.

      Plötzlich fing der Wagen an zu stottern, Raphael bückte sich nach unten, fingerte unter dem Armaturenbrett herum, dann sogar im Pedalraum.

      „Was machst du da?“, fragte sie ängstlich.

      „Ich suche den 'Secret switch'; den Schalter für die Benzinpumpe, - eine Sicherung gegen Diebstahl.“

      „Achtung!“, schrie sie, denn beinahe wäre er bei diesem Manöver in den Straßengraben getrudelt. Er richtete sich auf, lenkte den Wagen gerade, lachte,

      „Keine Angst, you secret witch!, denn das sind Sie doch, eine geheime Hexe, oder?“

      „Warum Männer ausgerechnet beim Autofahren plötzlich vertraulich werden,“, sagte sie, „Das werde ich nie begreifen. Wahrscheinlich liegt es daran, daß die Frauen sich dann nicht wehren oder nicht einfach aussteigen können, - denn das wäre bei dieser Geschwindigkeit lebensgefährlich.“ Er lächelte in sich hinein und sagte nur,

      „Verzeihung! - Aber das mit der Hexe werde ich Ihnen später einmal erklären. - Es ist ein großes Kompliment.“

      „Danke für solch verschlüsselte Komplimente.“

      Eigentlich hatte sie nur darauf zu achten, daß sie eine kleine, nicht beschilderte Abzweigung fanden, auf sonst nichts, dennoch mußte sie sich zusammennehmen, denn selbst wenn sie diese Abzweigung finden würden, war er immer noch da und sie neben ihm und das ganze war jetzt und heute und nicht im Nirgendwo!

      Es gelang ihr sogar ab und zu, die Landschaft, durch die sie fuhren, zu betrachten; es gab die Flanken steiler Hügelzüge, von hohen Mauern umschlossene Villen, und wenn die Straße sich hochwand, sahen sie tief unten Klippen oder zugangslose Strände, plötzlich auf der anderen Straßenseite ein Stückchen überraschend dichter Wald, - doch diese Abzweigung in die Berge wollte einfach nicht kommen, so angestrengt sie auch nach links und nach rechts starrte. „Wir müssen eben zurück, wenn wir es nicht mehr finden!“, sagte er. Anscheinend war er schon bereit, aufzugeben.

      Kurz danach rief sie, „Da könnte es sein!“, denn sie hatte eine Tafel gesehen. - Doch es war nur die Zufahrt zu einem Hotel, einem trostlosen Betonkasten an einem dunklen, verdreckten Strand, und dann war rechts plötzlich nur noch das Meer zu sehen und links nur noch Fels und Geröll, und dazwischen die Straße, und nach ein paar hundert Metern sah sie mittendrin im Geröll ein unleserliches