Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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an Bord die Salzbrühe hergerichtet und das Eis im Laderaum zerhackt wurde, waren so viele Fische da, daß sie einem zum Ekel wurden, und jetzt war es so schwer, ein gutes Mittagessen für zwei Personen zusammenzubringen, von denen der eine noch dazu mehr aß als eine ganze Bruderschaft. Gegen die Menschen allerdings war der Alte, dank der Einladung des Pastors, an diesem Morgen sanft gestimmt wie der Karpfen, der friedlich und ahnungslos am Bachufer grundelte.

      So saßen sie, jeder auf einer Seite des Baches, und es entspann sich ein merkwürdiges Gespräch. Das heißt, ein wirkliches Gespräch war es nicht. Signor Botello hatte wenig zu sagen, noch weniger ließ ihn der Pastor zu Wort kommen. Der, welcher redete, war der Pastor, häufig unterbrochen von Geräuschen, einem dumpfen Zürnen, das vom anderen Ufer kam. Der alte Mann hörte zu und betrachtete dabei den tanzenden Kork, um sich an irgendetwas festzuhalten, und sei es auch nur an diesen verschwimmenden Kreisen um den Korken herum, im durchsichtigen Wasser. Dann wieder sah er den Pastor wegen seines eigenen mageren Fischzugs scheel und neidisch an. Es sah wirklich nicht so aus, als ob der eine Fischer im Beichtstuhl kniete und der andere der Beichtiger war. Und doch war es so, oder wenigstens sehr ähnlich.

      „Hmm! Das sollte ich alles vergessen haben?“, sagte Signor Botello. Der Pfarrer nickte.

      „Die Leute haben recht, wenn sie sagen, daß mir die Vögel das Gedächtnis ausgepickt haben!“

      „Wirklich?“

      „Teufel auch! - Verzeihung, Pastor . . . !“ Er kratzte sich nachdenklich den Kopf, „Gestern hast du mir gesagt . . . “

      „Ich sprach von der Liebe, ich weiß . . . “, sagte der Pfarrer. Der alte Botello brauste auf,

      „Was weißt du denn von der Liebe - und von der Eifersucht? Du . . . “ Er verschluckte den Rest des Satzes, der jedenfalls die Worte 'Kaftan' und 'Weiberrock' enthalten sollte.

      „Mehr, als du dir vorstellen kannst . . . “, entgegnete der Pfarrer ruhig.

      „Ach!“ lachte der Alte. Beim Lachen mußte er husten. Während er lachte und hustete, konnte er den Pfarrer nicht ansehen, und als er ihn wieder klar mit den Augen erfaßt hatte, war es ihm mit einem Male, als verstünde er endlich die Worte des Pastors, die ihn zum Nachdenken aufforderten und zur Verzeihung mahnten und dieses Leben auf beständiger Lauer, wie er es führte, aufzugeben.

      Es war so, als würde die alte Vertraulichkeit zwischen ihnen beiden auf einmal wieder lebendig. Signor Botello wollte versuchen, sich ruhig dieser Vertraulichkeit überlassen, ohne es nötig zu haben, jedes einzelne Wort, das er hörte oder sprach, wie auf der Goldwaage abzuwägen. Und wieder - und genauso unerwartet wie tags zuvor auf dem Klostervorplatz - überkam ihn der Wunsch, von den Herbstblättern zu erzählen, die er in seinem Hut gesammelt hatte, wie einen Schatz. Von dieser ungewohnten Stimmung brummte ihm leicht der Kopf. Er machte Anstalten, sich bequemer hinzusetzen, um wenigstens seine Angelrute besser halten zu können.

      „Hör einmal", begann der Alte endlich etwas mühsam, „Weißt du, ob ich bezahlen muß, damit die Glocken läuten - beim meinem Tode?“ Es war nicht das, was er sagen wollte, aber er fand keine anderen Worte.

      „Natürlich mußt du bezahlen!“

      „Ich möchte gern, daß eine Glocke - wenn auch nur eine winzig kleine - wenn auch nur für wenige Schläge . . . “ Signor Botello lächelte verlegen.

      „Ich kann jeden Abend,“, sagte der Pfarrer trocken, „wenn du zur Messe in die Kirche kommst, ein paar Lire von der Kollekte beiseite packen, und behaupten, du hättest sie mir zu diesem Zweck in den Opferstock geworfen . . . “

      „Ich fürchte, da wird nicht viel zusammen kommen!“, brummte der Alte.

      „Sie war doch noch fast ein Kind damals!“, sagte der Pfarrer jetzt.

      „Meinst du Luisa?“, erwiderte Signor Botello, der Pfarrer nickte.

      „Ich war freilich ein ganz anderer Kerl als jetzt,", fuhr der Alte fort, „auch noch recht jung . . . “

      „Luisa war noch viel jünger! Überleg einmal!“

      „Ich hätte besser aufpassen sollen!“

      „Man kann eine junge Frau nicht gut einsperren. Außerdem: vergiß nicht! Sie wurde dir schließlich anvertraut!“

      „Und wie hat sie das Vertrauen belohnt?“ Der Alte brauste auf.

      Die Erinnerung an die erlittene Ungerechtigkeit verlieh ihm Kraft. Und nun bekannte sich dieser Pfarrer, sein alter Kamerad, der doch ein abgeklärtes und friedliches Leben führte, sogar noch zu einem Leben in der Ungerechtigkeit, das aber er, Botello, ertragen sollte? Er fühlte sich nackt und wehrlos und betrogen und sah in dem Pfarrer schon wieder seinen Feind.

      „Hast du ihr denn eigentlich jemals vertraut?“, sagte der Pfarrer jetzt.

      „Ja, wenn ich die Wahrheit wüßte . . . “, antwortete der Alte ausweichend, denn er fand die Bermerkung seines Freundes hinterhältig.

      „Würdest du ihr dann vergeben können?“, bohrte der Pfarrer weiter.

      „Wenn ich sie wüßte! - “

      „Vergeben ist immer schwer. - Vergessen ist leichter.“, sagte der Pfarrer.

      „Kannst du selbst denn - wirklich vergeben?“, fragte Signor Botello und sah den Pfarrer prüfend an.

      „Ob ich es wirklich kann,“, antwortete dieser, „Das weiß ich nicht, aber es gab einen, der es konnte.“

      „Das ist lange her!“

      „Lange zwar, aber nicht so lange, daß es vergessen wurde.“

      Signor Botello schwieg, und dabei kam ihm ein anderes, neueres Unrecht in den Sinn, etwas, das sich immer wieder ereignete hatte und weiter ereignete. Beim Denken daran fing er an, sich erneut zu erregen, bis es endlich aus ihm herausbrach:

      „Weißt du,“, sagte er mit ärgerlicher Stimme „daß Toccabellis Schweine schon wieder in meinem Kohlgarten waren?“

      „So?“ murmelte der Pfarrer wenig interssiert und starrte auf das Wasser hinab.

      „Wenn das noch einmal passiert, werde ich etwas tun müssen!“

      „Was denn?“, fragte der Pfarrer.

      „Ich habe schon eine Idee!“

      „Ach, - und welche?“

      „Das werde ich dir gerade verraten.“, sagte Signor Botello listig, und malte sich in Gedanken aus, was er zu tun gedachte.

      „Wie du willst! Was habe ich mit Toccabellis Schweinen zu tun?“

      „Du - nichts! Aber ich! Drei Kohlköpfe haben die Schweine gestern gefressen!“

      „Von wievielen?“, fragte der Pfarrer.

      „Das spielt keine Rolle!“, erwidert Signor Botello aufbrausend und rüttelte an seiner Angel, als sei diese eine Waffe, „Außerdem fressen sie die Eicheln in meinem Eichenwäldchen!“

      „Laß sie fressen!“, sagte der Pfarrer gleichmütig, „Du ißt sie doch nicht! Aber du lenkst ab. Was ist nun mit Luisa? Wirst du dich mit ihr versöhnen?“ Eine Zeitlang herrschte Schweigen, nur das sanfte Murmeln des Wassers war zu hören, und ab und zu der Gesang einer Lerche hoch oben im Himmel.

      „Ich traue den Menschen nicht mehr!“, sagte der Alte endlich, „Oder anders gesagt: ich traue ihnen alles zu!“

      „Auf diese Weise kommt man dazu, Freundschaft mit den Steinen zu schließen.“, sagte der Pfarrer.

      „Wenn ich die Wahrheit wüßte!“ wiederholte der Alte und fühlte sich ertappt.

      „Das würde auch nichts ändern! Die arme Luisa hat nun lange genug gelitten.“

      „Ich habe mehr gelitten . . . “

      „Vielleicht noch nicht genug!“

      Bei