Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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wärest . . . “ Angelo ballte seine Fäuste,

      „Mein liebes Mädchen, glaubst du, ich bin ein Dummkopf? Wenn ich das Militär hinter mir habe, bin ich einundzwanzig. Und dann fängt die Geschichte von vorne an.“

      „Nein!“, antwortete das Mädchen, „Er sagt, achtzehn oder einundzwanzig bei einem Mann ist ein großer Unterschied. Außerdem sagt er: Du bist noch nicht fertig mit deiner Ausbildung. Und er sagt, vorher kommt Heiraten nicht infrage. - Warum bist du überhaupt in Castellina? Habt ihr denn jetzt Ferien?“

      „Ich mußte dich sehen! Ich habe es nicht mehr ausgehalten!“

      „Und da fährst du mitten im Semester nachhause?“, das Mädchen schüttelte verwundert den Kopf.

      „Warum nicht?“, entgegnete der Junge trotzig, „Es ist so langweilig in Palermo.“

      „Wie lange mußt du denn noch auf diese Fachschule gehen?“

      „Ach, diese Schule! - Weißt du, ich bin nicht einmal sicher, ob ich das überhaupt weiter mache.“

      „Und was dann?“, fragte das Mädchen verwundert, „Was willst du anfangen? Wovon willst du später leben? - Wovon sollten wir beide denn einmal leben?“

      Statt einer Antwort zog Angelo ein Messer aus der Tasche und ließ es aufspringen, hielt die Klinge spielerisch hoch in die Sonne, sodaß die reflektierten Lichtstrahlen das Gesicht des Mädchens trafen.

      „Mal sehen! Vielleicht - Geschäfte!“, sagte er und zog dabei die Mundwinkel hinunter. Als er diese 'Geschäfte' erwähnte, bekam sein Gesicht etwas Überhebliches, etwas was Agustina an ihm nicht kannte. Sie blickte ihn unangenehm überrascht an.

      „Geschäfte?“, wiederholte sie mißtrauisch, „Was für Geschäfte?“ Angelo war ihr immer als ein unreifer, vielleicht ein wenig eitler, doch im Grunde gutherziger Junge vorgekommen, dazu aber paßten diese Worte und paßte dieses arrogante Gesicht nicht. Etwas in seinen Augen mißfiel ihr, doch sie wußte nicht, was es sein könnte. Sein glattes Gesicht, seine regelmäßig und anziehend geformten Züge, die schon begannen, männlich zu wirken, waren wie immer - und doch war etwas verändert!

      Als könnte Angelo ihre Gedanken erraten, - oder vieleicht las er auch in ihrer Miene, was ihr durch den Kopf ging, - fragte er:

      „Du bist so merkwürdig heute. So - abweisend, so - von oben herab!“

      „Ich bin wie immer!“, sagte sie achselzuckend.

      „Du treibst deinen Scherz mit mir, nicht wahr?“, rief er, „Was bist du auf einmal so hochnäsig?“ und er schimpfte weiter und begann sogar zu fluchen. Das Mädchen hauchte nicht einmal.

      Heute, wo sie voller Abwehr war, kam ihm Agustina noch begehrenswerter vor, und da sie jetzt wieder auf eine undurchschaubare Art lächelte, beschlich ihn ein Verdacht. Die Eifersucht packte ihn mit ihren scharfen Krallen, ihm schoß das Blut ins Gesicht, ihm wurde heiß und kalt, er hielt das Messer in ihre Richtung - und halb ängstlich, halb aufgebracht stieß er hervor:

      „Hast du einen anderen? Ich bring ihn um! Dir zerschlitze ich das Gesicht und ihn bringe ich um! Und deinen Vater auch!“ Agustina lächelte nur herablassend und schob mit einer Gebärde des Ekels das Messer von sich weg,

      „Was soll das heißen?“, rief sie, „Willst du mir drohen? Oder Vater? - Wie kindisch!!“ Der junge Mann trat dicht vor sie hin,

      „Kindisch?“ wiederholte er zähneknischend, „Sag das nicht noch mal!“ Unwillkürlich machte das Mädchen einen Schritt zurück und sah ihn entgeistert an,

      „Hast du den Verstand verloren? - Wo hast du überhaupt das Messer her?“

      „Das geht dich nichts an!“, sagte er mit einem eiskalten Blick. Unwillkürlich fuhr sie zusammen und ein Schauer lief ihr über den Rücken; sie fühlte sich auf einmal von ihm abgestoßen.

      Auf jeden Fall wollte sie jetzt weg von ihm, sie wollte allein sein, damit sie darüber nachdenken konnte; und so setzte sie ein möglichst unbefangenes Lächeln auf, sah sich nervös um, blickte zum Himmel, dann in Richtung des Dorfes, als würde sie fürchten, daß von dort jemand käme.

      „Es ist Zeit! Ich muß nachhause! Sie vermissen mich bestimmt schon.“

      „Morgen sehen wir uns wieder!“, entgegnete er bestimmt.

      „Morgen kann ich nicht! - Mein Vater . . . “

      „Dann übermorgen.“ unterbrach Angelo sie, „Zur gleichen Zeit! Aber laß mich nicht wieder so lange warten!“ Agustina nickte, dann fragte sie:

      „Wie lange bleibst du in Castellina?“

      „Auf jeden Fall bis zu Gioacchinos Hochzeit!“

      Angelo wollte sie umarmen, doch sie wich zurück, schaute ihn aber freundlich an, sodaß er ermutigt wurde, weiter zu drängen:

      „Hab dich nicht so! Einen Kuß, zum Abschied!“ Endlich gab sie ihm einen flüchtigen Kuß, drehte sich schnell um, und ging.

      „Sag einmal!“, rief er ihr nach. Sie blieb stehen und drehte sich um, „Wer ist eigentlich dieser Kerl, der da ständig an der Bleigrube herumstreicht?“

      „Ja, ich habe davon gehört.“, rief sie, „Er soll sich dafür interessieren. Mehr weiß ich nicht.“

      Agustina entfernte sich schleunigst in Richtung von Castellina und murmelte traurig: „Giovanni, ach, Giovanni!“ Sie kam dabei dicht an der Frau vorbei, die sich immer noch im Eichenwäldchen versteckt hielt und ihr erstaunt nachblickte. Und während des gesamten Weges murmelte Agustina immer wieder vor sich hin: „Giovanni, ach, Giovanni!“, und stieß dabei von Zeit zu Zeit einen tiefen Seufzer aus.

      Als Agustina den Blicken Angelos entschwunden war, zog dieser eine Pistole aus der Jackentasche, und tat so, als ob er in der Luft ein Ziel suchen und danach schießen würde. Dies trieb er eine kleine Weile, um seinen Unmut über das Mädchen loszuwerden und sich abzulenken. Und immer wieder war er in Versuchung, den Sicherungshebel zurückzuschieben, und wirklich zu schießen, doch er wollte nicht, daß jemand einen Schuß hörte.

      Eine Frau, es war dieselbe, die sich vor ihm versteckt hatte, kam jetzt aus dem Schatten des Eichenwäldchens, näherte sich ihm langsam und leise, blieb dabei aber immer in seinem Rücken und rief plötzlich:

      „Was machst du denn da, Angelo?“ Angelo drehte sich erschrocken um,

      „Anna-Maria! - Wo kommen Sie denn her?“

      „Ich gehe hier immer spazieren. Und als ich Stimmen hörte, habe ich mich zurückgezogen. Man weiß ja nie! - Laß bloß niemanden die Pistole sehen! Was willst du eigentlich damit?“, und dabei zeigte sie auf die Waffe in seiner Hand.

      „Ach, nur so!“, sagte er ausweichend und zuckte mit den Schultern.

      „Wie kommst du an diese Pistole?“

      „Die habe ich - von einem Freund!“

      „Schöner Freund! - Hast du überhaupt einen Waffenschein?“

      „Brauche ich dafür nicht!“

      „Wieso?“

      „Sie ist nicht scharf!“

      „Zeig einmal her!“, Anna-Maria streckte die Hand aus, „Du weißt, durch Giovanni kenne ich mich ein bißchen aus mit Waffen!“

      „Nicht nötig!“ rief Angelo und versteckte die Pistole in seiner Jacke. „Ciao! Ich hab's eilig!“, er drehte sich um und ging den schmalen Weg durch das Eichenwäldchen zur Landstraße, wo sein Auto stand, sprang hinein, startete es und raste damit ins Nachbardorf.

      Anna-Maria aber sah sich vorsichtig noch einmal um, ob auch wirklich sonst niemand hier war, und ging dann in großem Abstand hinter dem jungen Mann her. Und auch sie flüsterte ab und zu „Giovanni, ach Giovanni!“, und dabei schluchzte sie, und aus ihren Augen quollen dicke Tränen.