Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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möchte arbeiten, kannst du nicht woanders weiterspielen?“

      „Nein! - Und ich störe dich solange, bis du mir ein Bild schenkst!“ Der Kleine war wirklich hartnäckig. Wenn er weniger unverschämt gewesen wäre, hätte sie ihm eines gegeben, doch so? Nein!

      "Fahre bitte weiter mit deinem Roller!“

      „No!“ Der Junge blieb neben ihr stehen, begann, an ihrem Block, der auf der Erde lag, herumzufingern.

      „Laß das!“

      „No!“

      „Ich sage dir: Laß das! - Te dico: lascialo!“, sagte sie gereizt. - Wenn sie beim Malen gestört wurde, packte sie etwas, was nicht weit von Mordlust entfernt war. Der Junge schielte sie boshaft von unten an.

      „No!“

      „Du kleiner häßlicher Teufel,“, rief sie jetzt auf deutsch, „ich bringe dich um, wenn du mich nicht sofort in Ruhe läßt!“

      Der Junge glotzte blöde, griff aber weiter nach ihrem Block. Schließlich schlug sie ihm voller Wut auf die Finger. Der Junge sah sie an, fassungslos, ohne zunächst zu begreifen, was geschehen war, krümmte sich zusammen, sodaß er noch jämmerlicher anzusehen war, und fing an zu weinen. - Sie hatte ihm also wehgetan! - Und sein klägliches Greinen erfüllte sie mit Befriedigung.

      Endlich raffte der kleine Kerl sich auf und rannte ohne seinen Roller laut plärrend über den Platz, - und da kam auch schon ein Mädchen, offenbar seine ältere Schwester, aus dem Haus geeilt und fing ihn auf.

      Schluchzend preßte er seinen Kopf an ihre Schulter und redete heftig auf sie ein. Das Mädchen zog aus der Tasche ihres Rocks ein kleines Taschentuch, putzte dem Jungen die Nase und wischte ihm die Tränen ab. Schließlich nahm sie ihn an der Hand und kam mit ihm zu Pauline.

      Sie hatte die gleichen großen, häßlichen Züge wie der Bruder, doch ihre dunklen Augen leuchteten sanft und still. Sonst hätte Pauline Mitleid mit einem so unglücklichen Geschöpf gehabt, heute brachte es sie auf. An diesem Morgen hatte sie tief innen eine solche Wut, eine solche erbitterte Gereiztheit im Leibe, daß ihr jeder Vorwand recht gewesen wäre, mit irgend jemand Händel anzufangen.

      Das Mädchen blickte bewundernd auf die angefangene Zeichnung auf der Staffelei, „Oh, welch schöne Zeichnung! - Que bello disegno!“, flüsterte sie andächtig, was Pauline etwas versöhnte.

      Sie schämte sich jetzt. Um die beiden loszuwerden, schenkte sie dem Jungen eine Zeichnung, die er ohne Dank an sich preßte und auf diese Weise sogleich zerknitterte. Er wollte nun noch bleiben, zuschauen, 'guardare un po', doch die Schwester hob seinen Roller auf und zog den kleinen verheulten und verrotzten Quälgeist mit sich fort.

      Pauline versuchte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, doch nichts wollte gelingen. Statt auf die schöne Ansicht von Cefalú schielte sie immer wieder auf die Straße, die sich unter ihrer Plattform nach oben in die Berge und nach unten zur Stadt hinab wand.

      Und plötzlich, - tatsächlich! - sah sie jetzt einen offenen gelben Wagen die Straße von den Bergen herabkommen.

      Ja, es war derselbe Wagen, dieser offene alte Sportwagen, und auch das Nummernschild war englisch!

      Er mußte es sein!

      Raphael!

      Ihr stockte der Atem.

      Ihr Herz begann heftig gegen ihre Brustwand zu pochen, und sie winkte, ohne zu überlegen mit ihrem Hut.

      Der Wagen fuhr weiter, - er hatte sie nicht gesehen!

      Eine abgrundtiefe Enttäuschung machte sich in ihr Raum. Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen.

      Der Wagen war jetzt hinter der Kehre unterhalb ihrer Plattform verschwunden, tauchte dann kurz wieder auf.

      Da!

      Er wurde anscheinend abgebremst, - blieb wirklich stehen.

      Er hatte sie also doch gesehen!

      Gottlob!

      Schnell wischte sie ihre Tränen ab.

      Der Fahrer, - ihr Raphael! - fuhr waghalsig und zu schnell mit heulendem Getriebe rückwärts, stellte den Wagen in eine Einfahrt, und kam zu ihr die Treppe hoch gelaufen. „Ich habe Sie gerade noch im Rückspiegel gesehen!“, sagte er, noch ganz außer Atem.

      Ihr Herz schlug jetzt, als ob es aus dem Mund heraus wollte. Sie mußte sich sehr zusammennehmen, um diesem Mann nicht um den Hals zu fallen. Stattdessen setzte sie eine möglichst unbeteiligte Miene auf und tat so, als ob sie immer noch von der Landschaft, diesem fabelhaften Ausblick auf Cefalú fasziniert wäre. „Sieht man sich wieder?“, sagte sie mit unterkühlter Stimme und zeichnete weiter.

      Er achtete nicht auf ihre Worte, sondern trat an die Staffelei, und warf einen Blick auf das angefangene Bild. Ihr kam es vor, als verzöge er das Gesicht, und schürzte die Lippen. „Machen Sie das professionell?“, fragte er ganz sachlich. Doch diese Frage und das Gesicht, das er dabei machte, kränkten sie. Kam sie sich doch schon als Künstlerin vor! Sie war so gespannt und verärgert, daß sie ihm die Staffelei samt dem Karton darauf über den Kopf zu schlagen vermocht hätte.

      „Ich bin bald fertig . . . “, ließ sie sich schließlich herab zu murmeln, und war unendlich dankbar, daß ihre Stimme nicht zitterte, wie jetzt ihre Hand.

      „Ich warte gern ein wenig . . . “, erwiderte er ruhig und setzte sich auf die schmiedeeiserne Balustrade und schaute interessiert in die Landschaft hinaus.

      Er wäre wieder in den Bergen gewesen, sagte er, als sie endlich begann, ihre Sachen zusammenzupacken.

      „Was treiben Sie denn eigentlich dort?“, fragte sie.

      „Ich suche etwas!“

      „Was?“Er lächelte fein,

      „Gemsen!“

      „Haben Sie Gemsen gesagt?“

      „Ja! - Nein, ich suche etwas anderes, aber das möchte ich nicht sagen! - Noch nicht, wir kennen uns noch nicht genug!“

      Das war nun kein großer Vertrauensbeweis, doch Pauline nahm sein Angebot, sie einmal beim Suchen mitzunehmen, an. Gern nahm sie es auch an, als er ihr anbot, sie hoch zum Hof zu bringen, wo sie wohnte.

      „In meinem letzten Gasthof war es schrecklich . . . “ , erzählte er während der Fahrt. Keine weitere Nacht würde er dort verbringen wollen. Laute Musik und Gesang bis in die tiefe Nacht hinein, eine ständige Unruhe im ganzen Haus. Er hatte all seine Sachen schon wieder hinten im Auto. Und er hatte für die Übernachtung doppelt soviel bezahlten müssen, als üblich. Pauline mußte über ihn lachen, ihn, der einen so gescheiten und weltgewandten Eindruck machte.

      Raphael zog dann zu ihr auf diesen Bauern-Hof, ins Haupthaus, in dem auch sie wohnte. Wohnzimmer, Küche, Flur benutzten sie beide gemeinsam, doch jeder hatte einen eigenen Eingang, und er gelangte nur über eine Außen-Treppe in sein Zimmer, das oben im ersten Stock, direkt unter dem Dach lag.

      „Ein richtiges Schwalbennest!“, so nannte sie es und bei dieser Benennung blieb es.

      3. Kapitel

      Die Nacht war kaum vergangen, der Himmel erhellte sich bereits, und wie von den Schreien der ersten Schwalben verjagt, verschwand der letzte Stern, da saß der Pfarrer von Castellina al Monte Largo in der Stille des Morgens am Bach, auf einem Felsen am Ufer, unbeweglich, die leichte Bambusgerte in der Hand, denn der Pfarrer war gekommen, um den Fischen aufzulauern, womöglich dem Berghecht.

      Diesmal war der Pfarrer nicht allein beim Fischen. An diesem Morgen saß am anderen Ufer, wie sie es verabredet hatten, Signor Botello, und hielt die Angelrute vor sich wie eine Axt. Der schöne klare Morgen erschien ihm nach der letzten schlaflos verbrachten Nacht nicht jung und verheißungsvoll, sondern eher wie ein trüberer Abend, nur kühler und blasser.

      Neidisch schaute Signor