Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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eine grimmige Freude über das geschlachtete Tier ins Gesicht geschrieben, - seinem Lächeln nach zu urteilen, hatte er es sogar eigenhändig geschlachtet, - und so war es auch. Das Schwein war gerade erst getötet worden; seine Augen waren noch klar, doch sie sahen ins Leere, mit dem vorwurfsvollen Blick der gequälten Kreatur.

      Aus der Wohnung über dem verstaubten 'Kolonialwaren-Laden' neben der Fleischerei drang jetzt das Kreischen eines Radios, das plötzlich abgedreht wurde, dann unvermutet ein unterdrückter Schrei, der eine Frau auf der Gasse übermäßig zusammenfahren ließ, danach das schwere Seufzen eines Menschen, der ungestört schlafen möchte.

      Diese Frau, die in diesem Moment an dem Fleischergeschäft vorüber ging, war Luisa, die junge Frau Signor Botellos. Sie schüttelte sich unwillkürlich, als sie das tote Schwein auf dem Rücken des Fleischers sah. Sie selbst schleppte zwei Einkaufsnetze, die viel zu schwer schienen für ihre schmale Gestalt. Den Kopf hatte sie mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Doch trotz der schweren Last, die sie tragen mußte, hatte ihr Gang eine eigentümliche Grazie und Würde.

      Luisa wagte es einige Schritte lang nicht, fest aufzutreten, immer noch beladen vom Anblick des gerade eben geschlachteten Tieres. Als sie längst an der Fleischerei vorüber war, am Ende der Gasse, kam es ihr vor, als fühlte sie es immer noch im Rücken, den leeren Blick der toten Augen, wie eine wahnsinnige Erscheinung, und dann war es nur noch ein kleiner Seufzer, den sie auszustoßen wagte: „Muß das eigentlich sein, daß in diesem elenden Dorf fast auf der Straße geschlachtet wird?“

      Inzwischen war sie zu einem kleinen ausgetrockneten Bach abgebogen, schritt über eine kleine Brücke und befand sich in einer kleinen Gasse, an deren Ende sich ein kleiner Platz vor ihr öffnete, Einige schöne alte Häuser mit hölzernen geschnitzten Balkonen in maurischer Art umgaben den Platz.

      Ein junger, recht hübscher Mann, der ihr quer über den Platz entgegen kam, blieb stehen, als er sie bemerkte und sprach sie an: „Guten Tag, Signora Luisa! Darf ich Ihnen die Taschen bis zu Ihrem Hause tragen?“, und er wollte ihr gleich eine der Einkaufstaschen abnehmen. Luisa wunderte sich über die ungewohnte Hilfsbereitschaft des Jungen. „Laß, Angelo!“, sagte sie leise, und faßte ihre Taschen fester.

      Und als er sie noch einmal bittend und hilfsbereit ansah, fügte sie hinzu: „Das ist sehr liebenswürdig von dir! Aber ich bin es gewöhnt, zu tragen! Und ich habe es nicht weit!“, damit huschte sie an ihm vorbei.

      Ihre Stimme war sanft und schmerzlich, dabei warm und weiblich zart, so wenig passend zu dieser gedrückt wirkenden Gestalt. Sie blieb jetzt im Schatten des Gäßchens stehen, richtete etwas an ihrer Kleidung, und bog in eine kleine Neben-Gasse ein. Im Nu war sie verschwunden.

      Angelo Toccabelli, der junge Mann, der Signora Luisa hatte helfen wollen, ging mit schnellen Schritten die Gasse entlang, die aus dem Ort hinaus führte, betrat die kleine Brücke, die sich über dem Bachbett wölbte, und befand sich nun auf einem Trampelpfad, der in einem Bogen zwischen einem großen Garten und einem Eichenwäldchen entlanglief. Dieser Pfad ging dann mitten durch das Eichenwäldchen hindurch, an dessen Ende sich überraschend ein großer, lang ausgedehnter Platz öffnete, der ehemalige Schießplatz; dort war es, wo Angelo hinstrebte.

      Am westlichen Ende dieser Lichtung, in Richtung einiger niedriger Berge und des dahinter liegenden Meeres, stand die Ruine eines kleinen eingeschossigen Baus aus der faschistischen Zeit, das ehemalige Clubhaus, am anderen, östlichen Ende, in Richtung des Dorfes, fiel das Gelände steil ab, und man konnte in der Ferne den Kirchturm von Castellina erblicken, sowie die Spitzen der Dächer einiger größerer Häuser.

      Eine kleine Herde von Schweinen, die auf dem wild bewachsenen Gelände grasten, flüchteten laut grunzend bei Angelos Annäherung. Aber nicht nur die Schweine zogen sich zurück, sondern auch eine Frau, die von der Erz-Grube kam und den Weg zurück zum Ort gehen wollte, versteckte sich sicherheitshalber - und auch aus Neugier - vor Angelo im Schatten des Eichenwäldchens.

      Angelo stellte sich unter eine große Eiche, am östlichen Ende des Platzes, blickte einen Moment prüfend in den Himmel, ob das Wetter halten würde, und schickte sich ins Warten.

      Direkt neben dem Weg, nicht weit von ihm entfernt, standen die Reste eines offenen Schuppens, des Palottolaio; darin verrostete eine große alte Maschine, zerbrochene Tonscheiben lagen herum, die sogenannten Tontauben, und die Maschine war die Apparatur gewesen, mit der sie in die Luft geschleudert wurden, - als Übungs-Ziel für die Schützen.

      Angelo mußte nicht lange warten, denn kurz darauf näherte sich auf dem schmalen Weg durch das Eichenwäldchen ein Mädchen, das vom Ort her kam. Das Mädchen war hochgewachsen und recht kräftig, und ihr junges, etwas rundliches Gesicht strahlte Kraft und Sicherheit aus. Es war Agustina, die Tochter Luisas und Signor Botellos.

      „Warum kommst du erst jetzt?“, fragte Angelo. Als sie beide so dicht beieinander standen, konnte man sehen, daß Agustina fast größer war, als Angelo, und schon geformt wie eine Frau. Angelo wollte sie in den Arm nehmen, doch sie entwandt sich ihm, trat einen Schritt zurück und sagte:

      „Laß mich! Man könnte uns sehen!“

      „Hier ist niemand!“, entgegnete Angelo unwillig und versuchte noch einmal, sie an sich zu ziehen, „Du kannst mir wenigstens einen Kuß geben!“ rief er. Doch Agustina wich ihm geschickt aus,

      „Laß mich los!“, sagte sie energisch, „Ich will nicht!“ Widerwillig ließ der junge Mann von ihr ab.

      „Warum mußten wir uns ausgerechnet am Schießplatz treffen?“, fragte Agustina jetzt.

      „Mir gefällt es hier!“, sagte Angelo, „Es ist nicht so lange her, daß wir hier schießen geübt haben. - Jeder weiß, daß ich einer der besten Schützen in Castellina bin.“

      „Nicht so gut wie dein Bruder Giovanni!“, seufzte sie leise. Angelo zuckte zusammen,

      „Giovanni ist tot!“, murmelte er mit schiefem Gesicht. Das Mädchen blickte ihn nur schweigend und nachdenklich an.

      „Darf man wissen,“, sagte er nach einer Weile, „warum du mich so anschaust?“

      „Ich schaue dich an wie immer!“, antwortete sie, ein wenig ärgerlich.

      „Sei auf der Hut, du! Ich verstehe heute keinen Spaß!“

      „Ciao!“, erwiderte sie schroff und wandte sich zum Gehen.

      „Du bleibst hier!“, rief er und packte sie grob an der Schulter. Sie fuhr herum und blickte ihn so böse an, daß er sie freigab. Er ließ seine Arme sinken und schaute das Mädchen an, das steif und wie erstarrt vor ihm stand. Und durch ihren Körper und ihr Gesicht hindurch sah er einen Fallschirm langsam vom Himmel herabsegeln. An dem Fallschirm hing sein Bruder Giovanni.

      „Hab ich dir weg getan?“, fragte er unsicher.

      „Nein, du hast mir nicht wehgetan.“ Eine Weile standen sie schweigend voreinander, während der Himmel sich verfärbte und rosa und gelbliche Wolkenbänder am Horizont entlang zogen. Der Fallschirm war wieder fort.

      „Und was jetzt?“, sagte er endlich. Angelo war es gewohnt, daß die Mädchen sich aufrichteten, wenn er an ihnen vorbei ging, und ihn so lange anschauten, bis ihnen die Augen weh taten. Doch Agustina war so stolz wie eine Prinzessin!

      „Und?“, wiederholte das Mädchen leise, „Kann ich jetzt gehen?“

      „Nein! - So leicht wirst du mich nicht los, meine Schöne!“

      „Es ist gut,“, sagte das Mädchen und blieb. Und Angelo schien es, als ob sie lächelte.

      Er betrachtete sie erwartungsvoll, und als sie immer noch nichts sagte, fragte er:

      „Und? - Was meint dein Vater?“

      „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß es nicht meine Schuld ist. Vater sagt, ich muß warten! - Soll ich jetzt gehen?“

      „Ich mag nicht länger warten!“ rief der Junge, „Wir sind alt genug. Wenn dein Bruder heiraten kann, warum nicht du?“

      „Ich bin viel jünger als