Maja M. Scharf

Die Galloway Geschwister


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      1

      Als ich an diesem Morgen aufwachte, hatte ich noch keinen Schimmer davon, dass dieser Tag nicht nur vollkommen anders verlaufen würde als geplant, sondern auch der Beginn eines völlig veränderten Lebens für mich sein würde.

      Als ich nach dem Ausschlafen aufstand und unter die Dusche ging, hatte ich noch keinen Schimmer davon, was mich an diesem Tag alles erwartete und dass mein Leben danach nie mehr wieder so sein sollte wie bisher.

      Zunächst handelte es sich um einen ganz gewöhnlichen Samstagmorgen; nach dem Duschen lief ich hinunter in die Küche und gesellte mich zu meiner Mutter und Steven zum Frühstück.

      „Guten Morgen, Amelia“, begrüßten sie mich fröhlich, als ich mich zu ihnen an den Tisch setzte.

      Während Steven sich gleich wieder seiner Zeitung zuwandte, schenkte meine Mutter mir Kaffee ein und lächelte mich mit ihrem üblichen strahlenden Lächeln an. „Gut geschlafen?“, fragte sie.

      Ich nickte und nahm mir ein Brötchen aus dem üppig gefüllten Korb in der Mitte des Tisches. „Klar“, antwortete ich lächelnd, „und du?“

      Meine Mutter schmunzelte leicht. „Bestens“, erwiderte sie und wandte sich dann auch wieder ihrer Zeitung zu.

      „Hast du irgendwas Bestimmtes vor heute?“, wollte Steven wissen.

      Ich zuckte mit den Achseln. „Eric gibt heute Abend eine Party“, antwortete ich.

      „Das ist ja mal was ganz Neues“, sagte Steven sarkastisch.

      Ich funkelte ihn grinsend an. „Tja, hier kann ich ja noch keine Party machen“, gab ich trocken zurück, „da muss ich mich noch ein paar Wochen gedulden, bis ihr endlich auf Hawaii seid.“

      Steven schüttelte lachend den Kopf. „Wehe“, murmelte er nur und wandte sich ebenfalls wieder seiner Zeitung zu.

      Steven und meine Mutter waren bereits seit fast vierzehn Jahren miteinander verheiratet. Sie hatten sich kennen gelernt, als ich gerade einmal drei Jahre alt gewesen war. Seitdem war Steven wie ein Vater für mich. An meinen leiblichen Vater konnte ich mich nicht mehr erinnern, er hatte meine Mutter schon kurz nach meiner Geburt verlassen.

      „Und was habt ihr heute so vor?“, fragte ich nach einer Weile.

      „Ich habe nachher noch eine Telefonkonferenz“, sagte Steven und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Deshalb muss ich los.“ Er stellte seine Kaffeetasse in die Spüle, gab meiner Mutter einen Kuss und mir einen Klaps und verschwand aus der Küche.

      Steven war ein vielbeschäftigter Mann; er war Geschäftsführer einer großen Immobilienfirma und verdiente viel Geld, hatte dafür aber auch immer viel zu tun.

      „Und was hast du vor?“, wandte ich mich an meine Mutter, als wir alleine waren.

      „Ich wollte in die Stadt fahren“, sagte sie und stand auf, um den Tisch abzuräumen.

      „Triffst du dich mit dem Club der reichen Ehefrauen?“, entgegnete ich grinsend und half meiner Mutter.

      Meine Mutter schnitt eine Grimasse. „Sehr witzig“, meinte sie. „Nein, ich wollte mir ein neues Paar Schuhe kaufen und vielleicht mal wieder zur Maniküre gehen.“

      „Okay“, murmelte ich nur und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Der „Club der reichen Ehefrauen“, wie ich es nannte, bestand aus drei furchtbaren Frauen und meiner gutherzigen Mutter, die überhaupt nicht dazu passte. Meine Mutter war im Gegensatz zu den drei anderen Frauen selbst berufstätig (sie leitete ihre eigene kleine Backstube, in der es die herrlichsten Kuchen und Gebäckstücke gab, die man sich vorstellen konnte) und sie war ein herzlicher und freundlicher Mensch und nicht eiskalt und nur an Geld interessiert wie die drei anderen Frauen, die nichts konnten außer das Geld ihrer reichen Männer auszugeben.

      Dieser „Club“ traf sich etwa zweimal im Monat und ich verstand einfach nicht, warum meine Mutter immer noch dabei war, aber sie meinte, sie müsste dahin, wenn sie weiterhin „zur Gesellschaft dazu gehören wollte“.

      „Willst du mitkommen?“, fragte meine Mutter mich jetzt.

      Ich antwortete nicht sofort, sondern sah sie skeptisch an. „Erstmal geh ich Zähne putzen“, sagte ich ausweichend und lief nach oben.

      Während ich meine Zähne putzte, überlegte ich, was ich sonst bis heute Abend anstellen sollte. Mir fiel nichts ein, also sprach eigentlich nichts dagegen, meine Mutter zu begleiten, bis auf die Tatsache, dass ich solche Dinge wie eine Maniküre verabscheute.

      Ich ging wieder nach unten und traf meine Mutter im Flur, die sich schon fertig zum Ausgehen machte. Sie warf mir einen kurzen Blick zu und fragte abermals: „Und? Möchtest du mitkommen?“

      Nachdenklich betrachtete ich meine Mutter eine Weile, wie sie ihr Outfit vor dem Spiegel zurechtrückte und an ihren Haaren herum zupfte, und fragte mich unwillkürlich, ob sie wirklich meine Mutter war. Ich hatte so gut wie nichts mit ihr gemeinsam; sie tat viel für ihr Äußeres und legte Wert darauf, gut auszusehen und gut angezogen zu sein (ein ansteckendes Merkmal der reichen Ehefrauen, vermutete ich), wohingegen ich mit meinem Aussehen ziemlich locker umging. Meine Mutter machte Yoga und tanzte für ihr Leben gern, ging regelmäßig zur Maniküre und Kosmetikerin und liebte es, shoppen zu gehen, ich hingegen fand das alles eher ermüdend. Und meine Mutter war eine hervorragende Köchin und Bäckerin, während mir sogar die einfachsten Gerichte total misslingen konnten. Außerdem war meine Mutter einfach eine wunderschöne Frau, groß und schlank, mit langem blonden Haar, hellblauen Augen und sehr sinnlichen Lippen. Von ihrem hinreißenden Äußeren hatte ich nicht viel geerbt; ich war klein und hatte eine durchschnittliche Figur, braune Haare und dunkelgrüne Augen und volle, wenn auch nicht so toll geformte Lippen wie meine Mutter. Ich fand mein Aussehen okay, wenn ich auch zugeben musste, dass ich nicht so sehr darauf achtete und nicht viel tat, um besonders hübsch auszusehen.

      Meine Mutter drehte sich zu mir um und zog fragend die Augenbrauen hoch. „Na?“

      Ich zögerte. Ich war erst einmal mit ihr bei der Maniküre gewesen und das war fast noch langweiliger gewesen als den ganzen Tag zu Hause zu verbringen. Und ich mochte es nicht, wenn irgendwelche fremden Leute an meinen Händen herum fummelten.

      Doch weil ich nichts Besseres zu tun hatte und meine Mutter mich so glücklich anstrahlte, nickte ich achselzuckend. „Wieso eigentlich nicht“, meinte ich und zog mir meine Schuhe an.

      Wir betraten das Einkaufszentrum und ich folgte meiner Mutter ins Obergeschoss, wo das Nagelstudio lag, in dem sie sich schon seit Jahren ihre Nägel machen ließ. Die Ladeninhaberin begrüßte meine Mutter fast wie eine Freundin, mit Küsschen auf die rechte und linke Wange und einer überschwänglichen Umarmung. Nach der freundschaftlichen Begrüßung wies sie uns zwei Plätze zu und bot uns ein Getränk an, dann machte sich auch schon je eine Mitarbeiterin an unseren Händen zu schaffen.

      Nach fast einer ganzen Stunde, in denen ich das Säubern, Feilen und Lackieren über mich hatte ergehen lassen, fühlten sich meine Hände so sauber und rein an, dass sie mir fast fremd vorkamen.

      Meine Mutter bezahlte und wir verließen den Laden.

      „Und wie findest du’s?“, fragte sie mich.

      „Ganz gut“, log ich und brachte ein Lächeln zustande.

      Meine Mutter durchschaute mich sofort und schnalzte missbilligend mit der Zunge. Dann blieb sie vor einem schicken Schuhgeschäft stehen und sah interessiert in die Schaufenster.

      „Ich geh da mal kurz rein“, meinte sie.

      Ich nickte amüsiert, da ich genau wusste, was „kurz“ zu bedeuten hatte. Glücklicherweise befand sich direkt gegenüber von dem Schuhgeschäft ein hübsches Café, wo ich warten konnte.

      „Ich warte da auf dich“, sagte ich und deutete zu dem Café hinüber.

      Meine Mutter lächelte verständnisvoll. „Okay, mein Schatz.“

      Dann