Maja M. Scharf

Die Galloway Geschwister


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Lokals um einen großen Springbrunnen herum verteilt. Ich suchte mir einen davon aus und nahm Platz. Es dauerte keine zwanzig Sekunden, da war auch schon ein Kellner bei mir. Er war ein attraktiver Südländer und schenkte mir ein freundliches Lächeln.

      Ich bestellte einen Cappuccino und er verneigte sich leicht vor mir, ehe er davon wuselte und die Bestellung am nächsten Tisch aufnahm.

      Ich schaute ihm kurz nach und unweigerlich huschte ein leichtes Lächeln über mein Gesicht. Als ich mich abwenden wollte, blieb mein Blick zufällig an den zwei Mädchen hängen, die zwei Tische weiter saßen und aufgeregt miteinander tuschelten. Dabei verdeckten sie ihre kichernden Gesichter immer wieder hinter den Speisekarten und spähten dann immer über diese hinweg zu etwas offensichtlich furchtbar Interessantem, das sich auf der anderen Seite des Springbrunnens befinden musste.

      Ich runzelte kurz belustigt meine Stirn über die beiden peinlichen Mädchen und wandte mich dann kopfschüttelnd von ihnen ab. Weil es hier ansonsten allerdings nichts annähernd Interessantes zu sehen gab, sah ich schon nach wenigen Sekunden wieder zu ihnen rüber und überraschenderweise starrten die Mädchen jetzt zu mir herüber. Stirnrunzelnd drehte ich mich um, um zu sehen, was sie anstarrten, doch es schien tatsächlich so zu sein, dass sie mich anguckten. Als unsere Blicke sich wieder trafen, wandten die Mädchen sich rasch ab und spähten schon wieder herüber zur anderen Seite des Springbrunnens.

      Und dieses Mal folgte ich ihrem Blick.

      Wenn ich in der Sekunde gewusst hätte, dass ich gleich zum ersten Mal den Jungen sehen würde, durch den sich mein ganzes Leben von Grund auf verändern würde, dann … ja, was dann eigentlich? Vielleicht hätte ich dann genauer oder aufmerksamer hingeschaut oder hätte sein Verhalten genauer beobachtet. Vielleicht hätte ich dann lieber gar nicht erst hingesehen?

      Aber Tatsache war, ich sah hin, ohne mir irgendetwas dabei zu denken.

      Er saß auf einer Bank neben dem großen Springbrunnen, hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und – und das fand ich tatsächlich etwas merkwürdig – er sah mir direkt in die Augen. Normalerweise hätte ich mich angesichts dessen gleich wieder abgewandt, aber es war mir nicht möglich. Ich hatte noch nie so einen Menschen gesehen.

      Er war wohl so ungefähr in meinem Alter und er war nicht hübsch, sondern schlichtweg wunderschön. Er hatte kurze dunkle Haare, volle sinnliche Lippen und eine gerade perfekte Nase. Soweit ich das im Sitzen und aus dieser Entfernung beurteilen konnte, war er ziemlich groß und schlank, hatte breite Schultern und das weiße T-Shirt spannte leicht an seinen Brustmuskeln. Er sah unglaublich aus. Und noch dazu sah er mich unverwandt an. Der Blick aus seinen strahlend blauen Augen war von solch starker Intensität, dass ich seine Augenfarbe auch bei der Entfernung zwischen uns deutlich erkennen konnte und dass ich glaubte, Stromschläge darüber zu kriegen.

      Ich schluckte und spürte, wie ich rot anlief. Mit all meiner Willenskraft wandte ich meinen Blick wieder von dem Jungen ab. Dass er mich ununterbrochen anstarrte, erklärte jedenfalls die Blicke der beiden Mädchen, allerdings fragte ich mich unweigerlich, warum so ein Junge jemanden wie mich anglotzte. Die einzige plausible Erklärung, die mir spontan einfiel, war, dass ich irgendetwas Komisches an mir hatte und mit einem Mal fühlte ich mich peinlich berührt.

      Der Kellner kam wieder an meinen Tisch und brachte mir meinen Cappuccino. Ich war äußerst dankbar, dass er kurz die Sicht auf den Jungen verdeckte und am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob ich irgendetwas Peinliches im Gesicht hatte, aber ich traute mich nicht. Und so entfernte der Kellner sich wieder und ich nippte an meiner Tasse und bemühte mich angestrengt, den Jungen nicht noch einmal anzusehen.

      Doch ich spürte seine und auch die neidischen Blicke der beiden Mädchen und wollte nichts wie weg hier. So schnell wie möglich trank ich das heiße Getränk aus, legte genug Geld auf den Tisch, stand auf und wandte mich ab, ohne den Jungen oder die Mädchen noch eines Blickes zu würdigen.

      Einen kurzen Moment lang wusste ich nichts mit mir anzufangen und stand etwas planlos an dem großen Springbrunnen herum. Während ich mich angestrengt darauf konzentrierte, nicht zu dem Jungen hinüber zu sehen, fragte ich mich, wohin ich jetzt gehen sollte. Es dauerte eine kleine Weile, bis mir wieder einfiel, dass meine Mutter sich in dem Schuhgeschäft auf der anderen Seite des Springbrunnens befand.

      Schnellen Schrittes bewegte ich mich von dem Brunnen weg und auf den Eingang des Schuhgeschäfts zu, ohne mich umzudrehen. Ich wollte so schnell wie möglich von dem Café verschwinden und den Blicken des Jungen und der beiden Mädchen entkommen, die ich nach wie vor in meinem Rücken spürte.

      Während ich auf das Schuhgeschäft zusteuerte, sah ich den Jungen und vor allem seine unglaublichen blauen Augen vor mir, deren Anblick sich auf meine Netzhaut eingebrannt zu haben schien. Und auch wenn ich es nicht wollte, konnte ich nichts dagegen tun, dass ich plötzlich stehen blieb und mich noch einmal umdrehte. Ich stand direkt im Eingang des Schuhgeschäfts und spähte zu der Bank an dem großen Springbrunnen rüber, doch der Junge war nicht mehr da. Er hatte seinen Platz verlassen.

      Eine eigenartige Mischung aus Verwirrung und Erleichterung machte sich augenblicklich in mir breit. Kopfschüttelnd senkte ich meinen Blick und schmunzelte; sicher hatte ich mir nur eingebildet, dass er mich so angestarrt hatte. Vermutlich war es nichts weiter als ein zufälliger Blickkontakt zwischen uns gewesen. Und doch … seine blauen Augen und wie sie mich fixiert hatten …

      Ich schluckte und versuchte, den Jungen aus meinen Gedanken zu vertreiben.

      Und gerade als ich mich wieder umdrehte und das Schuhgeschäft betreten wollte, ging plötzlich alles sehr schnell.

      Ich wandte meinen Blick von der Bank, auf der gerade noch der Junge gesessen hatte, ab und wollte mich wegdrehen, als ich auf einmal eine Bewegung vor mir wahrnahm. Es dauerte eine Sekunde, bis mir klar wurde, was für eine Bewegung das war. Jemand kam geradewegs auf mich zugerannt. Ich stutzte und runzelte verwirrt meine Stirn, doch es bestand kein Zweifel, dass die Person genau auf mich zurannte. Im selben Moment ertönte über meinem Kopf ein ohrenbetäubender Knall und der Boden unter meinen Füßen begann zu beben. Ich spürte sengende Hitze über mir und riss meinen Kopf hoch. Die Decke über dem Eingang des Schuhgeschäfts, über mir, war plötzlich explodiert, eine Feuerwelle rollte rasend schnell auf mich zu, Betonteile krachten von der Decke zu Boden und dicker schwarzer Rauch umhüllte das Geschehen.

      Das alles geschah in Sekundenbruchteilen und es gab nichts, das ich hätte tun können, um zu verhindern, dass ich von der Explosion erfasst wurde. Merkwürdig … meinem Unterbewusstsein war vollkommen klar, dass ich in den nächsten Sekunden sterben würde und es hieß doch, in solchen Momenten zöge das gesamte Leben eines Menschen vor seinem geistigen Auge an ihm vorbei, doch das Einzige, was ich sah, war der Junge, der auf der Bank gesessen und mich aus seinen unglaublichen Augen angestarrt hatte.

      Aber ich sah ihn überhaupt nicht vor meinem geistigen Auge, ich sah ihn plötzlich wirklich!

      Genau in dem Augenblick der Detonation über mir, erkannte ich die Person, die auf mich zurannte; es war der Junge! Als er noch etwa drei Meter von mir entfernt war, stürzte er sich mit ausgestreckten Armen auf mich und erreichte mich, kurz bevor ich von der Feuerwelle und den herabstürzenden Trümmerteilen erfasst wurde. Die Wucht seines Körpers riss mich von den Füßen und stieß mich gute zwei Meter von der Explosion weg.

      Ich landete unsanft auf dem Boden, spürte immer noch enorme Hitze über mir und atmete stickige giftige Luft ein. Trotzdem riss ich meine Augen auf und richtete mich ein Stückchen auf. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich dem Jungen direkt in die Augen.

      Er lag genau vor mir auf dem Boden und erwiderte meinen Blick eindringlich.

      Um uns herum herrschte das reinste Chaos; Menschen schrien und rannten in alle Richtungen davon, dichter Rauch breitete sich über und um uns herum aus und ein schriller Alarm hallte durch das ganze Einkaufszentrum. Ich nahm kaum etwas von alldem wahr, so gebannt starrte ich den Jungen an. Ich hatte keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, aber er hatte mir gerade das Leben gerettet. Er hatte sich auf mich gestürzt, hatte mich rechtzeitig erreicht und vor der Explosion und den herabstürzenden Trümmerteilen beschützt.

      Ich schluckte und