Jan-Hillern Taaks

Die Wolf


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mir ist die Ehe wichtig, aber ich kann ihm ja nicht sagen, du musst mich heiraten. Er würde lachen. Er muss es auch wollen."

      Onkel Otto tat etwas, was er bislang noch nie getan hatte. Bereis am nächsten späten Nachmittag suchte er die Gärtnerei auf, sah, wie Bernd eine Kundin bediente. Er wartete geduldig, dann ging er auf Bernd zu und fragte, ohne ihn zu begrüßen:

      "Hast du ein paar Minuten für mich Zeit? Ich will mit dir reden."

      Bernd hatte Zeit, wenngleich er keine große Lust hatte, sich mit dem Onkel seiner Helene zu unterhalten. Er vermutete mit Recht, dass der Onkel mit ihm über die Ehe mit Helene reden wollte. Er wollte keine Komplikationen, vor allem wollte er sein bisheriges Leben nicht ändern. Genau das würde er auch dem Onkel von Helene sagen.

      Otto und Bernd gingen auf den Hof der Gärtnerei. In einer windgeschützten Ecke standen sich die unterschiedlichen Männer gegenüber. Der schöne, große Bernd in Jeans und T-Shirt auf der einen Seite, der schlanke, ebenfalls sehr große, mittelalterliche Otto im grauen Anzug mit dem Gesicht eines Raubvogels auf der anderen Seite. Otto brauchte keine vielen Worte. Aus seiner Brusttasche holte er einen Umschlag heraus und hielt ihn Bernd praktisch vor die Nase.

      "In diesem Umschlag sind DM 10.000,00 bar." Otto steckte den Umschlag wieder ein. Leise fuhr er fort: "Sobald du vor dem Standesamt deine Unterschrift geleistet hast, gehört der Umschlag dir." Otto machte eine Pause, dann fuhr er fort:

      "Du brauchst nicht mit Helene zu wohnen, sie und das Kind bleiben bei dem Stiefvater, bei Ralf. Du kannst dein bisheriges Leben fortführen, und du gehst auch sonst keine Verpflichtungen ein. Aber du gehst zum Standesamt und unterschreibst."

      Bernd schaute Onkel Otto erst ganz verdutzt, dann lächelnd an. Er entgegnete fast freundlich:

      "Weshalb denkst du, du könntest mich kaufen? Ich bin nicht käuflich."

      Onkel Otto nickte. Auch er lächelte.

      "Das freut mich zu hören. Ich bin es auch nicht gewohnt, Leute zu kaufen. Dass ich es jetzt versucht habe, zeigt dir hoffentlich, wie wichtig mir das Wohl von Helene ist. Ich will dir auch sagen, weshalb es Helene wichtig ist, einen Trauschein zu haben." Onkel Otto erzählte, dass Helenes Geburtsschein zeige: Vater unbekannt. Er fuhr fort: "Wenn sie ein Kind von dir bekommt, so soll das Kind einen Namen haben, einen Geburtsschein, auf dem unter Vater wie auch unter Mutter der Name Wolf steht. Das klingt in der heutigen Zeit verrückt, aber ich verstehe Helene."

      "Es ist ihr wirklich so wichtig?", fragte Bernd nach einer Weile ein wenig verwundert.

      "Ja, so ist es", erklärte Otto. "Und ich wiederhole: Helene bleibt bei uns wohnen, ebenso das Kind, und wir helfen ihr, das Kind auch großzuziehen. Aber es soll einen Namen haben - das sind Helenes Gedanken. Sie will dich nicht drängen, und sie hat keine Ahnung, dass ich jetzt mit dir rede. Auch ihr Stiefvater weiß von nichts. Und dabei soll es auch bleiben."

      Bernd nickte mehrfach, immer noch verwundert. Schließlich sagte er:

      "Wenn ich heirate, wird ein Teil meiner Freiheit, meines Lebens, verloren gehen."

      Otto schüttelte den Kopf. "Nein", betonte er, "du wirst nichts verlieren." Und nach einer Pause sagte er weiter: "Mein Angebot steht. Deine Unterschrift, und du hast das Geld. Erst wollte ich dich einfach kaufen. Jetzt aber habe ich meine Meinung über dich geändert. Nein, du bist nicht käuflich, aber ein Hochzeitsgeschenk würdest du doch nicht ablehnen."

      Bernd lachte laut auf und schlug Otto auf die Schulter. Dann nickte er. Ja, es war ein Deal. Dann sagte Bernd noch: "Ich will dir sagen, was ich mit dem Geld tun werde. Ich werde mir eine kleine Werkstatt für meine Holzschnitzereien zulegen und vor allem Geräte kaufen."

      Otto sagte ernsthaft: "Tu das, und mir gefällt, dass du daran denkst."

      Helene ahnte nichts von der Vereinbarung. Sie freute sich ganz einfach, als Bernd ihr sagte, dass er sie heiraten wolle, und dass die Ehe noch vor der Geburt des Kindes stattfinden solle. Etwas ungehalten erklärte er, dass sich an seinem bisherigen Leben nichts ändern werde. Und dann nahm er sie in seine Arme, und sie wusste, dass sie ihm immer noch verfallen war. In seiner Gegenwart war sie nicht frei, nicht zielbewusst, sondern sie gehörte ihm. Aber sie wusste doch, dass sie ihr eigenes Leben führen müsse, dass sie sich etwas Freiraum bewahren müsse, um nicht "unterzugehen" - nun, der Gedanke war vielleicht zu dramatisch ausgedrückt, aber so ähnlich empfand sie es.

      Die Hochzeit fand genau vier Wochen vor der Geburt von Heinrich Wolf statt. Zur Hochzeit gab es nichts, was feierlich gewesen wäre. Es gab das Brautpaar und die Trauzeugen, sie kamen im Standesamt zusammen und gingen anschließend wieder auseinander. Bernd hatte als Trauzeugen eine Kollegin mitgebracht, für Helene war es ihr Stiefvater, begleitet von Onkel Otto, der Bernd den Umschlag mit dem Geld heimlich zusteckte. Bernd nahm den Umschlag entgegen, und er verabschiedete sich von Helene mit einem sehr flüchtigen Kuss.

      Helene war nicht enttäuscht. Irgendwie verstand sie, dass Bernd die Trauung nicht gewollt hatte, und dass ihn irgendetwas dazu gezwungen hatte. Dennoch war sie froh, jetzt Helene Wolf zu sein, und ihr Kind sollte auch Wolf heißen. In der Geburtsurkunde sollte nicht "Vater unbekannt" stehen, wie bei ihr selbst.

      "Und was machen wir jetzt?", fragte Ralf nach dem Nachhauseweg.

      Otto lud Ralf und Helene zu einem Essen ein, dann allerdings müsse er sich seiner Arbeit widmen. Und Helene sagte, sie habe noch an einer Seminararbeit zu arbeiten, und sie sei froh, dass sie dafür die Zeit habe.

      Eine kirchliche Trauung hatte es nicht gegeben. Es wurde darüber gar nicht gesprochen. Helene wusste nicht einmal, welcher Konfession Bernd angehörte. Vielleicht war er aus der Kirche ausgetreten, wie Ralf. Das würde zu ihm passen, sinnierte Helene flüchtig.

      9. Kapitel

      Die Geburt des Jungen Heinrich fand im Krankenhaus statt, es gab keine Komplikationen. Helene war auch während des Geburtsvorganges voller Freude, und als sie das kleine Bündel im Arm hielt, war sie ganz einfach glücklich. Nur zwei Tage später war sie wieder zu Hause - und sie war zunächst ein wenig ratlos. Sie hatte den Jungen, sie hatte auch genügend Milch für ihn, sie hatte das Studium, und sie hatte auch den Haushalt. Gewiss, für den Haushalt gab es Hilfe, was aber sollte sie nun mit ihrem Studium tun, und was mit ihrer Arbeit in der Kanzlei? Es war wunderbar, dass sowohl Ralf als auch Onkel Otto zuhörten und Hilfe schafften. Helene wusste, dass es nicht selbstverständlich war, so viel offene Ohren und Hilfe zu bekommen. Sie wusste es zu schätzen, und sie sagte es auch - und sie zeigte es auch.

      Ralf stellte Gerlinde vor, eine Frau von 32 Jahren, die in der Filiale gearbeitet hatte, die Ralf leitete. Die Filiale sollte im kommenden Jahr, spätestens in zwei Jahren, geschlossen werden, was Ralf seinen Mitarbeitern in einer Versammlung ganz offen gesagt hatte. Gerlinde war geschieden, sie hatte vor drei Jahren ihr Kind verloren, und sie hatte vor einiger Zeit ihrem Chef gestanden, dass sie am liebsten Kindergärtnerin oder "Kinderfrau" sei, was immer dass heißen mochte. Ralf hatte zugehört, und jetzt hatte er sich an das Gespräch erinnert.

      Gerlinde war eine mittelgroße, rundliche Frau, die immer freundlich war. Allerdings hatte Ralf noch nie gehört, dass sie laut gelacht hätte. Überhaupt war sie nie laut. Eine Schönheit war sie nicht, dafür hatte sie viel "zu runde Konturen". Ralf fragte sie, ob sie für seine Tochter - für seine Stieftochter - als Kindermädchen arbeiten wolle. Ja, das wolle sie tun. Und bereits am Abend brachte er Gerlinde mit und stellte sie vor.

      "Gerlinde Moeller würde gern als Kindermädchen, als Kinderfrau, für uns arbeiten", sagte Ralf, und er ließ Helene und Gerlinde allein, damit sie sich kennenlernen würden.

      Gerlinde war für Helene eine ideale Lösung, wie sie schnell beim ersten Gespräch feststellte, Sie mochte Gerlinde, die den Kleinen liebevoll in die Arme nahm. Allein die Art, wie Heinrich Gerlinde ansah, so ohne Furcht, freute Helene. Gerlinde erzählte ein wenig von dem Kind, das sie verloren hatte, von dem Mann, von dem sie geschieden war, und davon, dass sie keine Kinder mehr bekommen könne. Gerlinde könne sofort anfangen - das heißt, sie brauche eine Woche Zeit, denn sie habe