Angelika Nickel

Angstgeflüster


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Der Baum gehört zum Grundstück dazu.«

      »Wir könnten ihn doch fällen«, schlug das Mädchen vor.

      »Nein, das können wir nicht.«

      »Warum?«

      »Weil es auch Bäume gibt, die unter Naturschutz stehen.« Nancy fiel nichts anderes ein.

      »Der auch?«, wollte Susan wissen.

      »Susan, es reicht! Sei jetzt still. Schließ die Augen und schlaf. Und vergiss endlich diesen Baum!«

      »Wenn Grand mir eine Geschichte erzählt, vergesse ich den Baum ganz bestimmt«, versuchte sie es nochmals.

      »Kleine Lady, genug jetzt!« Sie stand auf und löschte die Nachttischlampe. »Austricksen, als wenn ich mir das gefallen lassen würde«, schimpfte ihre Mutter leise, als sie zum Zimmer hinausging.

      Als Nancy ins Wohnzimmer kam, waren ihr Mann und ihr Schwiegervater dabei, sich über die Historie Coconut-bottles, zu unterhalten.

      »Mit deinen Hexengeschichten hast du vielleicht was angerichtet!«, fuhr Nancy den Mann an. »Sie macht mir vor, Angst vor Bäumen zu haben. Was aber vergehen würde, wenn du ihr eine Geschichte erzählen würdest.« Sie verzog abwertend den Mund. »Als wenn ich nicht wüsste, was das für Geschichten sind, die du ihr erzählst! Ewig geht es dabei um Hexen!«

      Dan schaute zu ihr hin. »Was hast du eigentlich gegen Hexen, um dass du dich jedes Mal dermaßen aufregst?«, fragte er sie. »Hast du etwa ein Kindheitstrauma, das mit Hexen zu tun hat?«, vermutete er plötzlich.

      Nancy sprang auf. »Weißt du was, Dan – für heute reicht es mir mit dir. Ich gehe ins Bett!«, fauchte sie, und rauschte aus dem Zimmer.

      Verwundert schaute Dan seinen Sohn an. »Hat sie denn ein Trauma, von dem ich nichts weiß?«

      Nick zuckte mit den Schultern. »Wenn, dann weiß auch ich nichts davon.« Er nahm die Packung mit Chips und langte hinein. »Hör‘ einfach damit auf, andauernd von Hexen zu erzählen, dann regt sie sich auch wieder ab. Und Susan hört auf, sich Flausen von dir in den Kopf setzen zu lassen«, schlug er vor, und hob seinem Vater die Tüte mit den Chips hin. »Auch welche?«

      5 –Der Baum

      In der Nacht kam ein Sturm auf.

      Die Äste des Baums schlugen an Susans Fenster. Manche von ihnen machten dabei kreischende Geräusche.

      Ein Blitz erhellte Susans Zimmer, und gleich darauf grollte Donner durch die Nacht.

      Susan wachte auf.

      Neuerlich krachte der Donnerhall durch die nächtliche Stille.

      Ängstlich hielt sich Susan die Ohren zu.

      Neuerlich schlugen die Äste gegen das Fenster und gaben dabei ein kreischendes Geräusch von sich.

      »Nicht, geh weg«, wimmerte das Mädchen, und ließ den Blick nicht vom Fenster. Sie war sich sicher, dass in dem Baum einer saß. Grelle Augen schauten zu ihr herein. »Bitte, geh doch weg. Ich sag auch nichts Böses mehr gegen dich«, flüsterte sie.

      Erneut schlugen die Äste hart gegen die Fensterscheibe.

      »Susan«, glaubte sie auf einmal, ihren Namen zu hören. Und wieder rief es: »Susan.«

      »Nein, bitte, Baum, lass mir meine Ruhe«, bettelte sie.

      Ein Blitz, ein Donner und ein lauter Ruf: »Susan!«, ließ das Mädchen schreiend aus dem Bett hochfahren und blitzartig aus dem Zimmer flüchten.

      »Mom, Dad!«, schrie Susan außer sich vor Angst, auf dem Flur stehend, nur mit ihrem Nachthemd bekleidet.

      Grandpa Dan eilte auf das Mädchen zu. »Susan, was ist denn los mit dir?«, fragte er besorgt. »Hast du schlecht geträumt?«

      Das Kind schüttelte den Kopf. »Nein, der Baum ruft nach mir.«

      »Unsinn, Susan«, sagte ihr Vater, der unterdessen, gemeinsam mit seiner Frau, neben seiner Tochter stand.

      »Doch! Er hat nach mir gerufen«, flüsterte sie und ihre Lippen bebten vor Angst.

      Nancy schickte einen bösen Blick in Dans Richtung. »Da siehst du, was du mit deinen Schauergeschichten anrichtest!«

      »Ich?« Dans Blick drückte Verwunderung aus. »Ich hab ihr ja gar keine Geschichte erzählt, heute.«

      Sie verzog den Mund. »Heute nicht. Aber was ist mit all den anderen Malen? Oder meinst du, dass sie diese Schauergeschichten vergisst?«, schimpfte sie weiter.

      »Grand hat mir nichts über Bäume erzählt«, flüsterte Susan.

      »Dann kannst du ja jetzt wieder in dein Bett gehen und weiterschlafen!«, befahl ihre Mutter ihr.

      »Nein, ich kann da nicht wieder hinein. Der Baum will mich holen«, weinte Susan auf einmal drauflos.

      »Jetzt hör‘ endlich mit solch einem Mist auf.« Sie zeigte mit der Hand in Richtung von Susans Zimmer. »Mach dich jetzt auf der Stelle in dein Bett!«

      »Nein, bitte nicht.«

      Dan nahm die Kleine auf den Arm. »Ich bringe dich wieder in dein Bett und bleibe bei dir, bis du eingeschlafen bist. Und du wirst sehen, dass der Baum dir nichts tut«, versprach er ihr.

      »Er ruft mich.«

      »Er wird dich auch nicht rufen. Das war sicherlich nur der Wind, der dich deinen Namen hat rufen hören lassen«, versuchte er ihr, einen Grund zur Erklärung zu geben.

      Nancy kam auf ihn zu. »Wenn du ihr aber auch nur eine Geschichte erzählst!«, drohte sie, mit erhobenem Zeigefinger. »Dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass der Baum dich holt!«

      »Nancy!«, rief Nick laut. »Wie kannst du nur? Du machst Susan doch noch mehr Angst.«

      Ihr Kopf fuhr herum. »Ach, jetzt bin ich mal wieder an allem schuld?«, fauchte sie Nick an. »Wisst ihr was, macht doch gerade, was ihr wollt!« Zornig lief sie ins Schlafzimmer zurück.

      »Dein Grandpa geht mit dir mit. Du brauchst dich in diesem Haus vor nichts zu fürchten, Kleines. Und das weißt du doch auch«, sagte ihr Vater, und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Schlaf jetzt.«

      Dan trug seine Enkeltochter zurück ins Zimmer und legte sie in ihr Bett.

      Während Susan versuchte, einzuschlafen, ließ Dan den Baum nicht aus den Augen. Was, wenn sie sich das doch nicht eingebildet hat? Irgendwie hat der Baum schon etwas an sich, was einem Angst macht.

      Und auch er glaubte auf einmal, dass ihn aus dem Baum heraus, unheimliche Augen beobachteten.

      Dem Mann fiel wieder die Geschichte ein, die er über diesen Ort erzählt bekommen hatte.

      Und wenn doch an dem allem, was dran ist?, fragte er sich, und ihm grauste. Wenn es wahr wäre, dann läge ein Fluch auf Coconut-bottle.

      6 –Coconut-bottle, und eine Geschichte darum

      »Wir gehen spazieren«, sagte Dan, bevor er die Tür hinter sich schloss.

      »Sag nicht, dass er Susan mitgenommen hat«, sagte Nancy besorgt.

      »Jetzt gib doch endlich einmal Ruhe und hör‘ auf damit, dir ständig Sorgen zu machen. Er ist ihr Großvater«, stellte Nick richtig. »Niemals würde er etwas tun, um Su auch nur in die Nähe von Gefahr zu bringen.«

      »Braucht er auch nicht. Seine Schauergeschichten, die er ihr andauernd erzählt, reichen schon.«

      »Lass uns auch spazieren gehen«, schlug er vor. »Dabei können wir uns auch ein bisschen in Coconut-bottle umsehen. Wenn du magst, fahre ich auch mit dir zu meiner neuen Schule, und du kannst dir anschauen, wo dein Mann in Zukunft arbeitet.«

      »Als