Michael Schenk

Zwerge der Meere


Скачать книгу

Stunden später waren die beiden schweren Kisten im Frachtraum verstaut und Pernat kontrollierte die Luken sorgfältig, bevor er Herios-Lar zunickte. Dieser zwinkerte Dormos zu, der auf der kleinen Brücke der Beovanaal stand und rief die übrige Besatzung zu sich.

      „Die meisten von euch kennen den Fallenden Meißel. Und ihr kennt die Wirkung des Weins, den die kleinen Herren ausschenken.“ Er sah einige der Männer wissend lächeln und hob mahnend die Hand. „Morgen werden wir wieder auf See gehen. Ihr dürft euch betrinken, Männer der Beovanaal, aber auch wenn ihr morgen einen Brummschädel habt, erwarte ich, dass der Griff eurer Hände sitzt. Und behandelt mir die kleinen Herren und ihre Frauen mit Respekt und Freundlichkeit.“

      „Keine Sorge, Kapitän“, erwiderte einer der ältesten Matrosen. „Wer das nicht beachtet, bekommt das Tau und hat seine letzte Reise auf unserer braven Beo gemacht.“

      Herios-Lar lachte leise auf. „Es wäre das erste Mal, dass einer meiner Matrosen das Tau spürt und ich denke, wir alle können darauf verzichten.“

      Es gab strenge Regeln an Bord eines Schiffes, damit die Disziplin bewahrt wurde. Lange Zeiten auf See und das Zusammenleben auf engem Raum, konnten zu Streitigkeiten oder Nachlässigkeit führen. In der verschworenen Gemeinschaft der Beovanaal hatten die Männer zueinander gefunden und nur ein einziges Mal hatte es bösen Streit gegeben, den Dormos mit seinen gewaltigen Fäusten rasch geregelt hatte. Aber auf den größeren Schiffen und den Kreuzern der Flotte, auf denen Hunderte von Männern und Frauen fuhren, kam es gelegentlich zu Verstößen, die dann mit dem Tau geahndet wurden. Der Betreffende wurde nach den königlichen Artikeln bestraft, in denen für jedes Vergehen eine Strafe festgelegt war. Es war die unangenehme Pflicht des Ersten Offiziers, sie zu vollstrecken und die entsprechende Anzahl der Schläge mit dem Tauende auszuführen. Pernat hatte noch nie „das Tau geschwungen“ und war insgeheim froh darüber. Ein Tauende konnte, je nach Kraft der Schläge, üble Verletzungen am Rücken hervorrufen und Pernat hatte schon Seeleute gesehen, deren Rücken voller Narben gewesen waren.

      Begleitet von einer fröhlichen Schar Zwerge und dem Handelsherrn Theon Klugweil, machte sich die Besatzung auf den Weg zum Fallenden Meißel. Die Schänke lag in der Nähe der Anlegeplattform und war von ihrem Besitzer den menschlichen Bedürfnissen angepasst worden. Der Wirt hatte bereitwillig die Zwischendecke herausgenommen und einige Tische und Bänke anfertigen lassen, die den Maßen der Menschen entsprachen. Damit seine Gäste sich auf Augenhöhe gegenüber sitzen konnten, waren die Tische parallel zu den Wänden aufgestellt. An der Wandseite waren Podeste gezogen worden, so dass die Zwerge dort erhöht saßen. In der Mitte der Schänke war eine große Tanzfläche freigelassen worden, die direkt an den Tresen grenzte. Auch hier standen etliche der Schemel auf kleinen Podesten. Die Zwerge nahmen diese Unbequemlichkeit gerne auf sich, da sie sich als höfliche Gastgeber zeigen wollten.

      Es war noch ein wenig Zeit, bis zum Einbruch der Dunkelheit, aber der „Fallende Meißel“ war bereits gut besucht, als die Mannschaft der Beovanaal mit ihren Begleitern eintraf. Die Ankunft des Menschenschiffes hatte sich herumgesprochen und bot dem geselligen Zwergenvolk die Gelegenheit für eine der kleinen Feiern, die sie so sehr schätzten. Entsprechend würde es auch in den anderen Schänken hoch hergehen und die Wachen würden besonders aufmerksam sein, dass jeder sicher nach Hause gelangte und kein Streit ausbrach.

      Herios-Lar und Theon hatten sich an einen kleinen Tisch gesetzt, von dem aus sie einen guten Überblick über das Treiben hatten. Einige der Matrosen der Beovanaal hatten ihre Instrumente mitgebracht. Flöten, mit Saiten bespannte Streichbretter und die beliebten Schlagtrommeln. Letztere waren kaum faustgroß und stammten noch aus jener Zeit, da auch das Reich Telan über Ruderschiffe verfügte, bei denen der Takt geschlagen werden musste. Die Matrosen begannen sofort, eine der beschwingten Melodien zu spielen, die in Telan so populär waren und der Rhythmus wurde bereitwillig von Händen und Füßen der anderen Gäste aufgenommen. Andere gingen auf die Tanzfläche und fröhliches Gelächter erklang, wenn die unterschiedlich großen Tänzer versuchten, im Takt zu bleiben und die Füße der anderen zu verschonen.

      Becher und Krüge kreisten, und die Trinkgefäße der Herren Zwerge entsprachen nicht ganz dem Volumen, das ein gestandener Seemann aus Telan gewohnt war.

      Als eine Zwergenfrau den Krug von Herios-Lar nachfüllen wollte, legte Theon Klugweil rasch seine Hand darüber. „Nein, keinen Wein mehr. Bring uns etwas von dem Götterstoff unserer Landbrüder. Ich will sehen, wie es unserem Freund schmeckt.“

      „Götterstoff?“

      Theon lachte leise auf. „Vielleicht auch ein Stoff der finsteren Mächte. Ich weiß nicht, woraus unsere Brüder des Landes ihn fertigen, aber sie nennen ihn Blor. Eine glasklare Flüssigkeit, die es in sich hat, wie du gleich feststellen wirst.“

      Die Frau brachte einen neuen Krug und schenkte ihnen ein, wobei sie Herios-Lar neugierig musterte. Er erwiderte ihren Blick mit freundlichem Lächeln.

      Die hübsche Zwergenfrau schien unsicher, doch dann fasste sie sich ein Herz. „Diese Bräune deiner Haut, Menschenwesen, hast du sie überall?“

      Herios-Lar schüttelte überrascht den Kopf und Theon lachte auf. „Du musst ihre Neugier verstehen. Sie hat noch nie zuvor Menschen gesehen und zudem ist Besana die Tochter unserer Heilerin und erlernt selbst diese Kunst. Da ist ihre Wissbegier sicher verständlich.“

      Die junge Frau nickte ernst. „Dann scheint eure Haut wie die unsere beschaffen zu sein und sich nur unter der Sonne zu bräunen. Aber eure Haare sind anders. Sie sind kürzer und feiner, als die unseren. Ihr tragt auch nicht alle einen Bart. Wächst er nicht bei Jedem?“

      „Oh doch, bei uns Männern schon“, entgegnete Herios-Lar gutmütig. „Aber jeder von uns kann sein Barthaar so schneiden, wie es ihm gefällt.“

      „Ich wette, Besana würde gerne einen von euch Menschen aufschneiden, um zu sehen, wie ihr Innen beschaffen seid.“ Theon lachte schallend.

      Die junge Zwergin sah den Handelsherrn nachdenklich an. „Immerhin sind es unsere Freunde, wie du sagst, Herr Klugweil. Wie sollen sie von unseren Heilern versorgt werden, wenn wir nicht wissen, wie sie beschaffen sind?“

      „Keine Sorge, sie sind wie wir.“ Theons Stimme klang unvermittelt ernst. „Ich sprach mit den Brüdern vom Lande, die an der Seite der Menschen kämpften. Sie haben genug Tote von ihnen gesehen und mir versichert, dass sie ebenso beschaffen sind, wie wir. Nur ein wenig größer.“ Er hob seinen gefüllten Becher an. „Und nun lass zwei alten Männern die Freude, etwas von dem Blor zu kosten.“

      Während die Zwergin davon ging, sah Theon ihr wohlgefällig nach. „Ein kluges Mädchen und sehr schön. Gerät sehr nach ihrer Mutter, mein Freund.“

      „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Männer des Clans hinter ihr her sind.“

      „Vor allem zwei“, bestätigte der kleine Handelsherr. „Ein Schürfer und ein Pumper. Zwei Freunde.“

      „Das klingt nicht gut, Theon. Eine Frau kann schnell zwischen zwei Freunde treten.“

      „Sprichst du da aus Erfahrung, mein großer Freund?“

      „Mag sein.“

      Der Zwerg spürte, dass er da bei seinem menschlichen Freund einen wunden Punkt berührte und hob rasch seinen Becher. „Lass uns den Blor kosten und dann sag mir, wie du ihn findest.“

      Der Kapitän hatte bei den Zwergen bislang nur Wein und Gerstensaft getrunken und unterschätzte offensichtlich die klare Flüssigkeit, denn er nahm einen kräftigen Schluck. Er brauchte eine Weile, um wieder zu Atem zu kommen und nickte Theon mit gerötetem Gesicht zu.

      „Götterstoff, nicht wahr?“, brummte der Handelsherr zufrieden.

      „Wenn man ihn in Maßen trinkt“, ächzte Herios-Lar. „Ansonsten ein Gebräu der Finsternis. Mit dem sich wahrscheinlich der Rost von unserer Dampfmaschine entfernen lässt.“

      Theon lehnte sich zufrieden zurück. „Wie dem auch sei. Ob du ihn trinken oder für deine, äh, Dampfmaschine nutzen willst, ich werde dir ein Fässchen davon