Michael Schenk

Zwerge der Meere


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hohes Alter. Andächtige Stille herrschte, als das Paar eine der schwermütigen Balladen seines Volkes zum Besten gab. Beide verfügten über beeindruckende Stimmen und die helle Stimme der Frau ergänzte sich auf harmonische Weise mit dem tiefen Bass des männlichen Sängers. Einige der Begriffe waren den Matrosen aus Telan fremd, da sie für den Kulturkreis der Zwerge typisch waren, aber die Geschichte einer unglücklichen Liebe, die verstand jeder Seemann. Als das Paar schwieg, schienen seine Stimmen noch für einen Moment im Raum zu schwingen, bevor die anderen Gäste begeistert mit Händen und Füßen stampften.

      Der Mann und die Frau dankten es, in dem sie eine flotte Melodie zu spielen begannen und mit den fröhlichen Klängen war die Schänke erneut von unbeschwertem Gelage erfüllt.

      Als Herios-Lar den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, nickte er Theon verschwörerisch zu. Der kleine Handelsherr gab dem Wirt einen Wink und zwei stämmige Zwerge trugen ein kleines Fass heran.

      „Der Blor gibt uns den Grund, zu deinem Schiff zu gehen, Kapitän“, sagte Theon augenzwinkernd und im Gefolge der Fassträger zogen sich die beiden Freunde aus dem Trubel der Schänke zurück. Inzwischen war es Nacht geworden und der Mond und die Sterne warfen ihr Licht auf die schwimmende Stadt. Der warme Schein von Öllampen erhellte den Weg zur Anlegeplattform.

      Dormos stand noch immer auf der Brücke. Er hatte sich einen Schemel geholt, die Füße gemütlich auf die Reling gelegt und paffte ein Pfeifchen. Als er die beiden näher kommen sah, erhob er sich und beugte sich über den Handlauf.

      „Es tut mir leid, dass ich dir das Vergnügen verderben musste, Dormos“, sagte Herios-Lar freundlich. „Im Fallenden Meißel geht es hoch her.“

      „Kein Problem, Kapitän.“ Dormos hob seine Pfeife an. „Ich habe mein Pfeifchen und einen Krug Wein bei mir und die See leistet mir Gesellschaft. Zudem“, er zwinkerte Theon zu, „dient es ja einem guten Zweck.“

      „Haben die Anderen etwas bemerkt?“

      Der alte Seemann wusste, was Herios-Lar damit meinte. „Die beiden Neuen haben nichts davon bemerkt. Pernat hat sie an Deck eingeteilt und Monros und Malkwin haben die beiden Kisten geschickt zur Seite geschoben. Eine mit Setzlingen und eine mit Mutterboden.“

      „Mutterboden?“ Theon sah den Kapitän überrascht an.

      „Nun, ihr müsst die Setzlinge ja irgendwo einpflanzen, nicht wahr? Ich denke, es dürfte euch auch an guter Erde mangeln. Viel konnte ich nicht an Bord schaffen, aber sie ist vom besten Acker meines Vaters.“

      „Dann danke ich dir und auch deinem Vater, mein Freund.“ Theon blickte sichtlich gerührt zu Dormos hinauf. „Und auch dir danke ich. Wir haben hier etwas mitgebracht, was dich für die Einsamkeit auf der Brücke entschädigen wird.“

      „Wie erwähnt, Handelsherr, ich habe mein Pfeifchen und…“ Dormos verstummte überrascht. Er blickte auf seine Hand, die auf dem Handlauf der Reling lag. „Da ist etwas. Etwas hat das Schiff berührt.“

      Herios-Lar winkte ab. „Das Schiff wird gegen die Plattform gestoßen sein.“

      Dormos schüttelte den Kopf. „Nein, Kapitän, das war es nicht. Da. Da ist es wieder.“ Dormos beugte sich über die Reling. „Es kommt von unten. Aus dem Wasser.“

      Die beiden Anderen traten näher heran und starrten ebenfalls ins Wasser.

      „Da ist etwas.“ Theon deutete nach unten. „Ein Schatten unter dem Schiff.“

      „Verdammt, jetzt kann ich es auch sehen.“

      Dormos nickte. Von oben hatte er die bessere Sicht. „Ist ein Wal, Kapitän.“

      „Ein Wal?“

      „Ein Wal, Kapitän. Ich würde sagen, es ist ein junges Männchen. Die Tentakel sind noch sehr hell und nicht besonders lang. Gut zu erkennen, jetzt, wo er direkt unter dem Schiff liegt.“

      „Verdammt“, fluchte Herios-Lar erneut. „Das fehlte noch.“

      „Wie kommt ein Tentakelwal unter euer Schiff, mein Freund?“, fragte der kleine Handelsherr irritiert.

      „Es ist die Zeit, in der sich die Wale paaren“, brummte der Kapitän. „Jetzt, bei Vollmond und von unten betrachtet, ähnelt der Rumpf der Beovanaal den Umrissen eines Walweibchens, zumal das Schaufelrad von unten, wenigstens ungefähr, wie die paarungsbereit eingerollten Tentakel eines Weibchens aussehen kann. Der Bursche da ist in der Brunft und will sich mit unserem Schiff paaren.“

      Fröhliches Gelächter klang auf, aber Herios-Lar schüttelte den Kopf. „So witzig ist das nicht, ihr Freunde. Ich habe die Paarungsspiele der Tentakelwale einige Male sehen können und da geht es ziemlich heftig zu. Zwar kann der Bursche dem Rumpf nichts anhaben, aber er könnte die Schaufeln des Rades zerquetschen.“

      Theon Klugweil zupfte sich an den Bartzöpfen. „Das wäre nicht gut. Schön, ich lasse ein paar Axtschläger der Wache holen. Die können den Wal mit ihren Speeren vertreiben.“

      „Wenn er nur verletzt wird, gerät er derart in Wut, dass er alles Mögliche anstellen kann“, wandte Dormos ein. „Am Besten warten wir ab, bis er aufgibt.“

      „Das kann lange dauern, glaube mir. Diese Walmännchen sind zähe Burschen. Wenn wir Pech haben, hängt der noch morgen Mittag unter dem Schiff, reibt sich am Rumpf und zerlegt in seiner Liebeslust das Schaufelrad mit seinen Tentakeln. Nein, Dormos, wir müssen ihn irgendwie loswerden.“

      „Warte, wie wäre es damit?“ Theon deutete auf das Fässchen mit Blor, welches die Helfer auf die Plattform gestellt hatten. „Es lässt sich mit Wasser verdünnen. Diese Wale sind sehr empfindlich, was die Veränderung des Wassers angeht. Wenn wir das Blor hineingießen…“

      „Schade um das Zeug, aber es ist einen Versuch wert.“ Herios-Lar wies unter das Schiff. „Versuchen wir es.“

      Die Fassträger öffneten es, hoben es an den Rand der Plattform und begannen den Inhalt ins Wasser zu kippen.

      „Hoffentlich bringt es ihn nicht um“, murmelte einer der Zwerge. „Ein solcher Kadaver unter der Stadt und hier wimmelt es in zwei Stunden von Dornfischen. Dann ist es erst einmal vorbei, mit dem Schürfen.“

      „Hoffentlich wirkt es überhaupt.“

      Es wirkte.

      Erst begann die Beovanaal unmerklich zu schaukeln, dann waren einige Schläge zu hören, als das Walmännchen hektisch mit den Tentakeln peitschte. Wasser wirbelte einen Moment auf, dann verschwand der Schatten unter dem Schiff.

      „Armer Kerl“, sagte Dormos mitfühlend. „Der hat sich von dieser Nacht sicherlich mehr versprochen.“

      Herios-Lar lächelte erleichtert. Sein Schiff schien keinen Schaden genommen zu haben. „Zudem hat er morgen vielleicht einen ansehnlichen Brummschädel.“

      „Etwas von dem Blor ist noch übrig“, meldete einer der Zwerge, der in das Fass hinein blickte.

      „Schön, ich denke, wir sollten jetzt die Kisten vom Schiff holen“, sagte Theon. „Danach können wir uns zu Dormos gesellen und uns unbeschwert einem weiteren Becher zuwenden.“

      „Auch zwei Bechern, mein Freund, auch zweien.“

      03 In letzter Sekunde

      Birunt Hammerschlag sah Varnum und Oldrum mahnend an, nachdem sie mit deutlicher Verspätung in den Fallenden Meißel traten. „Nachdem wir nun die Ehre haben, auch unsere jüngsten Schürfer und Pumper willkommen zu heißen“, knurrte er heiser, „kann ich ja endlich beginnen.“

      Das Menschenschiff war vor zwei Tagen aufgebrochen und seitdem erfüllte die Schänke wieder ihren ursprünglichen Zweck. Dieser bestand nicht allein darin, den Zwergen Alkohol und Vergnügen zu bieten, sondern auch am Morgen die Arbeiten einzuteilen oder die Männer tagsüber mit Erfrischungen und Nahrung zu versorgen. Daher lagen die Schänken, mit Ausnahme des Goldenen Grundes, an den