Michael Schenk

Zwerge der Meere


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schob erneut ein paar Büschel der langblättrigen Wasserpflanzen zur Seite und musste einen erschrockenen Schrei unterdrücken.

      Zwischen dem Grün hervor grinste ihn ein blanker Totenschädel an.

      Varnums Herz schlug wie rasend, aber es gelang ihm, die aufkeimende Panik zu bezwingen. Wem immer der Schädel gehört hatte, war schon lange tot und sicher keine Gefahr mehr. Er fand seinen Atemrhythmus wieder und trat erneut vor. Nun erkannte er auch andere Knochen, von den fast zerfallenen Resten der Bekleidung umgeben. Noch immer umgab eine metallene Spange die knöchernen Füße des Toten.

      Der junge Schürftaucher beruhigte sich wieder. Dies war ein Mann des Zwergenvolkes, den man vor langer Zeit der See übergeben hatte, wie es die Tradition der Clans der Meere verlangte. Varnum wusste, dass die Spange als Gewicht diente, damit der Tote rasch versank. Zudem sollte er nicht zur Oberfläche treiben, wenn sich sein Körper zersetzte. Der Name, Clan und die Verdienste des Mannes waren in die Plakette eingraviert. Obwohl er neugierig war, scheute er davor zurück, die Gravur zu betrachten und wandte sich ab, um dem Toten die ewige Ruhe zu belassen.

      Gerade, als er sich abwenden wollte, sah er einen anderen hellen Schimmer am Boden. Ganz in der Nähe des Verstorbenen. Abermals trat er näher und streckte zögernd die Suchstange aus. Konnte es sein?

      Er fand keine Antwort auf die Frage, denn aus den Augenwinkeln sah er ein silbriges Blitzen im Wasser. Angespannt sah er in die Richtung. Hatten seine Augen ihn getäuscht? Hatten die Reflexe des Sonnenlichtes im Wasser ihn genarrt? Eine Schliere im Glas des Kugelhelms? Varnum verharrte unbeweglich und seine Augen schienen das Wasser durchbohren zu wollen. Nichts. Oder doch?

      Ja, da war wieder ein silbriger Schimmer. Dicht über dem Boden und er kam näher. Jetzt sah Varnum auch die hoch aufragende Rückenflosse. Ein Dornfisch, und wo einer dieser Jäger war, befanden sich auch andere.

      Er hielt die Suchstange nach oben, zog sein Messer und schlug die stählerne Klinge rhythmisch in schnellen Schlägen gegen das Metall. Das Wasser leitete das Alarmsignal zu den anderen Männern. Sie reagierten augenblicklich. Auch wenn sie die Ursache des Signals nicht sofort erkannten, war seine Bedeutung klar. Raus aus dem Wasser! So schnell, wie irgend möglich.

      Schürfer ließen ihre Meißel fallen, Sammelkörbe sanken achtlos zu Boden und, die Beile in den Händen, lösten die Männer hastig die Gewichte von den Füßen. Wer fertig war, zog kurz an seinem Atemschlauch. Zwei Mal in rascher Folge, eine kurze Pause und ein dritter Zug.

      Oben auf den Plattformen würde nun Hektik einsetzen. Die erfahrenen Pumper würden die Schwengel nun eine Spur schneller bewegen, dem Atem eines erregten Schürfers angepasst, der wusste, dass es um sein Leben ging. Die anderen Männer auf der Plattform würden nun, Hand über Hand, schnell und mit gleichmäßigem Zug, die Schläuche einholen. Bei aller Eile durfte der Atemschlauch nicht beschädigt werden.

      Die dicht unter der Oberfläche schwimmenden Wachen spähten nach der Ursache der Gefahr, ihre Hände umklammerten die Speere. Ihre Möglichkeiten waren beschränkt. Sie konnten die Luft nur für kurze Zeit anhalten und das bedeutete, dass der Schutz ihrer Speere erst wirksam wurde, wenn die Schürfer sich der Oberfläche näherten.

      Aus dem silbrigen Schimmer waren mehrere geworden, die nun, auf Grund des Schalls, zielstrebig in Richtung Varnums schwammen. Noch waren die Körper ohne exakte Konturen, wenn man von den Rückenflossen absah, aber der junge Schürfer hatte kein Verlangen, die Gebisse und Dornen der Raubfische aus nächster Nähe zu sehen.

      Die anderen Schürftaucher hatten schon einen guten Vorsprung, als er endlich selbst die Gewichte abwarf und sich mit Schwung vom Meeresgrund abstieß. In seiner Hektik hatte er vergessen, an seinem Schlauch zu ziehen, aber Oldrum passte auf. Varnum spürte, wie er von dem Schlauch durchs Wasser gezogen wurde. Schnell, aber nicht schnell genug.

      Die Körper der Dornfische waren jetzt deutlich zu erkennen und der vorderste schwamm gerade an dem toten Zwerg vorbei. Sein lang gestreckter Körper glitt mühelos durch das Wasser, dass sein angestammtes Element war. Dornfische waren Tötungswerkzeuge von hoher Effizienz. Maximale Geschwindigkeit bei minimalem Bewegungsaufwand, zwei armlange Dorne vorne am Kopf und ein Gebiss, welches mühelos die Knochen eines Zwerges zerkleinern konnte. Doppelt so lang wie ein Menschenmann und hungriger als eine Schar junger Zwerge. Es war der Tod, der da auf Varnum zueilte und Varnum wusste, dass er sterben würde, wenn kein Wunder geschah.

      Er hielt Messer und Beil in den Händen, ruderte verzweifelt mit den Beinen. Vom Atemschlauch rückwärts gezogen, sah er die Annäherung der Dornfische. Atemberaubend in ihrer Schönheit und ebenso tödlich. Er wagte es nicht, nach oben zu sehen. Wo blieben die Axtschläger mit ihren Speeren?

      Varnum schätzte, dass er den halben Weg nun zurückgelegt hatte. Der Zug an seinem Schlauch war stärker geworden. Vielleicht hatten die Männer auf der Plattform in dem klaren Wasser erkennen können, in welcher Gefahr er schwebte und zogen schneller. Er hatte nichts dagegen, schneller in Sicherheit zu gelangen, aber er fürchtete um die Haltbarkeit des Atemschlauches.

      Da Helm und Halsstück des Tauchanzuges durch die Scharniere miteinander verbunden waren, konnte er sie nicht alleine lösen. Ohne den Anzug und die Glaskugel auf seinem Kopf, hätte er längst oben sein können. Warum dauerte es so lange?

      Der führende Dornfisch war fast heran. Sein senkrecht stehendes Maul öffnete sich in Erwartung einer ausgiebigen Mahlzeit. Varnum konnte die beiden Zahnreihen mit ihren tödlichen Dreiecken erkennen und es gab nur eine Möglichkeit, dem Angriff zu begegnen. Er spannte die Muskeln an, wartete auf den richtigen Augenblick.

      Der Dornfisch war da, sein Maul weit geöffnet und schon schnappte der Räuber zu.

      Varnum zog blitzartig die Beine an den Leib, so eng er konnte und hieb mit dem Beil zu. Das Wasser bremste den Schwung seines Schlages, aber er hatte Glück. Der Angreifer wollte im Reflex seine Richtung ändern, um eines der Beine doch noch zu erwischen und schwamm dabei direkt in die stählerne Schneide. Das Beil traf nicht richtig, aber der Fisch wurde dicht hinter dem Maul verletzt. Blaugrünes Blut quoll hervor, während er zur Seite auswich, um erneut anzugreifen.

      Die nachfolgenden Dornfische hatten die Verletzung ihres Führers bemerkt und instinktiv schnappten sie nach der neuen Beute. Ein kurzer Wirbel aus silbrigen Körpern entstand im Wasser, eine Wolke aus Blut breitete sich aus, aus der sich einzelne Fleischbrocken lösten, die langsam zum Meeresboden taumelten, aber von gierigen Mäulern gepackt wurden, bevor sie ihn berührten.

      Es dauerte nur wenige Augenblicke, in denen der verletzte Dornfisch zerteilt wurde, kostbare Augenblicke, die Varnum näher an die schwimmende Stadt brachten.

      Ein Speer zischte an ihm vorbei, dann ein zweiter, aber beide verfehlten ihr Ziel und beeindruckten die sich erneut nähernden Räuber nicht. Varnum spürte einen Ruck und wie er an Geschwindigkeit verlor. Sofort begriff er, dass der Atemluftschlauch gerissen war. Ausgerechnet jetzt, so kurz vor der rettenden Plattform. Hoffentlich hielt die Gummimembrane, die verhindern sollte, dass nun das Wasser in den Helm strömte. Hinter sich hörte er das Rauschen entweichender Luft aus dem Schlauch und er schrie auf, als er eine harte Berührung spürte.

      Im ersten Moment glaubte er, einer der Dornfische habe ihm den Dorn in den Leib gerammt oder zugebissen, aber er spürte keinen Schmerz, nur unangenehmen Druck. Mit brutaler Gewalt wurde er unvermittelt durchs Wasser gerissen. Ein Schlag traf seinen Rücken, erneut schrie er auf, sah Wellen an seinen Helm schwappen und wusste, dass er endlich oben war. Die Luft begann knapp zu werden und er war noch nicht in Sicherheit.

      Rechts und links wurden Speere ins Wasser geschleudert, Hände packten die Riemen seines Tauchanzugs und zerrten ihn rücksichtslos aus dem Wasser. Er stöhnte, als er hart auf die Bretter der Plattform prallte, aber in diesem Moment war es das schönste Gefühl, dass er sich vorstellen konnte.

      Er rang nach Luft, fühlte Hände, die an ihm waren und wie mit einem letzten Ruck der Taucherhelm von seinem Kopf gezerrt wurde. Keuchend lag er da, hörte Stimmen, die er nicht verstand und sog gierig die frische Seeluft in seine Lungen. Erst langsam fand er zu sich.

      Heimur Sichelhieb kniete neben ihm und grinste breit. „Glück gehabt, mein junger