Rolf-Dieter Meier

Ernteplanet


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ehrlich gesagt, finde ich das ganz angenehm“, fügte Marco an, “keine verkniffenen Gesichter, kein Rumgemecker. Ist doch toll!“

      „Na ja, eigentlich hast du Recht“, antwortete Erik, „Vielleicht liegt es ja daran, dass endlich der Frühling da ist.“

      Und beide stimmten ein fröhliches Gelächter an.

      Die Zweifel, die meinem Vater anlässlich der Geschehnisse der letzten Tage zumindest sporadisch erfasst hatten, waren nicht unbegründet, wie sich bald herausstellen sollte. Mangels einer vernünftigen Erklärung blieb einem bis dahin nichts anderes übrig, als sich in das Schicksal zu fügen und es auf die allgemeine Wetterlage oder die Umstände zu schieben. Ich kann mich allerdings noch sehr gut daran erinnern, dass mein Vater das Gespräch mit Marco wiederholt zum Anlass nahm, seine prophetische Gabe zu preisen, was natürlich stark übertrieben war, da er genauso wie alle anderen weit davon entfernt war, auch nur einen Bruchteil der Wahrheit erkannt zu haben.

      Am gleichen Tag, zu vorgerückter Stunde, hatte auch meine Mutter einen Beitrag zu den merkwürdigen Ereignissen beigesteuert. Dabei lösten die von ihr gemachten Feststellungen bei ihr weniger Zweifel, sondern mehr Sorge um ihren Arbeitsplatz aus, was bei meinem Vater äußerste Heiterkeit ausgelöst haben soll.

      Nach dem erfolgreichen Meeting, das sich bis in die Nachmittagsstunden hingezogen hatte und dem anschließenden Gespräch mit Marco, fühlte sich Erik ausgelaugt. Daher beschloss er die Arbeit, die vor ihm lag, auf den nächsten Tag zu verschieben und zunächst eine schöpferische Pause einzulegen. Also machte er diesmal pünktlich Feierabend und ging nach Hause. Dort erwartete ihn bereits Kirstin, die zu seiner Verwunderung ebenfalls pünktlich ihren Arbeitstag beendet hatte. Dies war also eine gute Gelegenheit, wieder einmal gemeinsam das Abendessen einzunehmen. Während sie einen Meeresfrüchtesalat zubereitete, begann er den Tisch am Fenster der Küche einzudecken. Den Tisch im Esszimmer nutzten sie nur zu besonderen Anlässen oder bei einer größeren Anzahl von Gästen. Das Fenster gab bei Tageslicht den Blick frei auf einen großen Hinterhof mit einer Rasenfläche, die neben Bäumen und Sträuchern auch einen kleinen Spielplatz beherbergte. Da die den Hof umgebenden Häuser überwiegend von älteren Menschen bewohnt wurden, deren Kinder im Zweifel längst ihre eigenen Wege gingen, wurde der Spielplatz nur wenig genutzt. Kirstin hatte sich bereits vorgenommen, von diesem Angebot zumindest hin und wieder Gebrauch zu machen, wenn der Nachwuchs einmal da sein sollte.

      Während er gerade das Besteck aus dem Küchenschrank holte, sprach Kirstin ihn an: „Ich habe eine Flasche Riesling mitgebracht. Er steht im Kühlschrank. Kannst du ihn bitte aufmachen?“

      „Wein zum Abendbrot?“ fragte er verwundert, nahm aber den Korkenzieher aus dem Fach neben dem Besteckkasten, ging dann zum Kühlschrank, nahm die Flasche heraus und begann sie zu entkorken.

      „Na ja“, antwortete sie, „erstens passt er gut zu dem Salat und zweitens hast du dir heute das Gläschen Wein verdient.“

      „Da gebe ich dir allerdings recht. Ich werde ...“, er legte eine Pause ein, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, “… dann mal die Gläser holen.“

      Erik stellte die Flasche Wein auf den Küchentisch und kümmerte sich anschließend um die Gläser. Kurze Zeit später war alles angerichtet, zur Feier des Tages hatte Erik noch eine Kerze mitgebracht, die nun ihr warmes Licht verbreitete.

      „Das sieht ja richtig gut aus“, meinte Erik angesichts des appetitlich angerichteten Salats.

      „Ich hoffe, er schmeckt so gut, wie er aussieht.“ Kirstin schien sichtlich stolz auf das Ergebnis ihrer Arbeit.

      „Das hoffe ich auch“, dachte Erik, während er sich die erste Portion in den Mund schob. Überrascht musste er zugeben, dass ihr wirklich alles gelungen war. Deshalb war sein „Ausgezeichnet!“ heute wirklich ernst gemeint.

      Während er also diesmal mit großem Appetit die gelungene Mahlzeit genoss, nahm Kirstin das Gespräch wieder auf.

      „Ich habe heute einen interessanten Artikel in der Zeitung gelesen. Eine Meldung aus der Polizeistatistik. Danach soll es einen enormen Rückgang bei der Gewaltkriminalität gegeben haben.“

      „Das hört man doch gerne“, sagte Erik und nahm sich noch eine Scheibe von dem Baguettebrot.

      „Schon“, fuhr Kirstin fort, „allerdings verzeichnen sie diese Entwicklung erst seit einer Woche. Bei den Eigentumsdelikten ist der Rückgang allerdings nicht so ausgeprägt, aber es gibt ihn.“

      „Und, haben sie eine Erklärung dafür gegeben?“ fragte Erik.

      „Nein, nur dass es diesen bemerkenswerten Rückgang gibt. Es war ja auch nur ein kleiner Artikel.“ Kirstin nahm ihr Glas und nahm einen kräftigen Schluck.

      „Erik, nimm doch mal an, diese Entwicklung wäre dauerhaft. Was dann?“

      “Wie meinst du das?“ Erik konnte sich nicht vorstellen, worauf sie hinaus wollte.

      „Wenn es keine Verbrechen mehr geben würde, was würden all die Anwälte dann tun, die damit ihre Brötchen verdienen? Dazu kommen ja noch die Richter und die Mitarbeiter der Justiz.“ Kirstin setzte eine Trauermiene auf.

      „Also, ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass es je eine Welt ohne Verbrechen gibt. Es wäre schon erfreulich, wenn es weniger wäre. Außerdem gibt es genügend andere Jobs für Juristen. Für Gute allemal.“ Und um ihr zu schmeicheln, fügte Erik hinzu: „Und du bist gut!“

      „Danke. Aber im Fernsehen haben sie vorhin in den Nachrichten auch einen kurzen Hinweis auf dieses Phänomen gebracht. Und wenn das von Dauer ist, dann …“ Kirstin machte eine Pause und betrachtete das Glas Wein, das sie in der Hand hielt.

      „Was dann?“ fragte Erik.

      „Dann werde ich bestimmt entlassen.“

      Erik schaute sie entgeistert an. „Das meinst du doch nicht ernst?“ Dann spürte er, wie ihn Heiterkeit übermannte und er wusste, was nun kommen würde.

      Am Donnerstag, den 04.04.2047, hatten sich meine Eltern früh zu Bett begeben. Mein Vater wollte sich am nächsten Tag ausgeruht an die Ausarbeitung des Strategiekonzepts machen und war angesichts der anstrengenden vergangenen Tage gleich in einen tiefen Schlaf gefallen. Meine Mutter hatte noch ein wenig gelesen bevor sie ebenfalls das Licht ausschaltete und sich dem Schlummer hingab. Es sollte für längere Zeit der letzte erholsame Schlaf sein.

      Freitag, 05.04.2047

      Wie an jedem Arbeitstag üblich, wurden Kirstin und Erik um sechs Uhr geweckt. Beide fühlten sich ausgeruht und gestärkt, den neuen Tag in Angriff zu nehmen. Bei einem Blick aus dem Fenster stellte Erik fest, dass es wohl wieder ein schöner Tag werden würde, da trotz der aufkommenden Dämmerung noch einige Sterne am Himmel zu sehen waren. Beide wickelten routinemäßig das morgendliche Programm ab und machten sich auf den Weg zur Arbeit. Im Erdgeschoß begegneten sie einem sichtlich gut aufgelegten Tomasz Lewandowski, der gerade im Begriff war, ein Leuchtmittel auszutauschen und dabei ein ihnen unbekanntes Liedchen vor sich hin summte.

      „Einen schönen guten Morgen! Sie kommen vorbei?“ Dabei wies er auf den Zwischenraum zwischen seiner Leiter und der angrenzenden Wand. „Das gilt natürlich nicht für sie, Frau Stendahl.“

      „Sie Schmeichler!“ antwortete Kirstin, während Erik mit dem Brustton der Überzeugung ein „Das gilt natürlich auch nicht für mich!“ hervorbrachte. Beide passierten dann den ausreichend Platz bietenden Engpass, drehten sich noch einmal um und wünschten dem Hausmeister einen schönen Tag.

      „Danke, gleichfalls!“ antwortete dieser und machte sich immer noch lächelnd wieder an seine Arbeit.

      Im Büro angekommen, machte sich Erik gleich wie geplant ans Werk. Für elf Uhr war eine Lagebesprechung mit Dr. Konzalik anberaumt, bei der er schon eine erste Grobplanung vorlegen wollte. Kirstin hatte heute auch keinen auswärtigen Termin und wollte sich in einen neuen Fall einarbeiten. Das Wetter entwickelte sich tatsächlich so, wie es Erik erwartet hatte: die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel herab bei angenehm frühlingshaften Temperaturen. So heiter sich