Rolf-Dieter Meier

Ernteplanet


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wäre zumindest ein Anfang“, entgegnete Kirstin.

      „Vielleicht hätte ja eine Schelle gereicht. Aber eine Abreibung hat dieser Ausbeuter verdient.“ Igor lächelte, mit sich und der Welt zufrieden.

      „Wissen sie, was der für einen Wagen fährt?“

      „Nein !“, antwortete sie, verblüfft über die Wendung, die das Gespräch nahm.

      „Einen Ferrari ! Wir bekommen ein paar Euro die Stunde und er sahnt ab. Er ist ein Ausbeuter.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schlug Igor mit der rechten Hand auf den Tisch.

      „Herr Ibramowitsch, wenn sie bei der Befragung so argumentieren, sehe ich schwarz.“

      Kirstin war nun überzeugt, dass Ihr Klient beratungsresistent war und sah in einer weiteren Unterhaltung keinen Sinn mehr. Während sie noch überlegte, was sie noch tun könnte, erschien der Gerichtsdiener und teilte ihnen mit, dass der Prozess in fünfzehn Minuten beginnen würde. Kirstin war dankbar für diesen Hinweis, enthob er sie doch von der Verpflichtung, sich weitere Gedanken machen zu müssen. Sie machte es kurz, wünschte Igor und sich selbst viel Glück für die anstehende Verhandlung und verließ das Besprechungszimmer, während Igor unverändert grinsend ihren Abgang mit Interesse verfolgte.

      Die Gerichtsverhandlung wurde für Kirstin zu einem unerwarteten Highlight in ihrer Karriere, woran sie aber, wie sie zugeben musste, nur einen geringen Anteil hatte. Als sie den kleinen Gerichtssaal betrat, war der Staatsanwalt und Behrendt jun. schon anwesend. Sie nickte den beiden Herren zur Begrüßung zu und setzte sich auf einen der beiden Stühle an dem kleinen Verteidigertisch. Sie hatte kaum Platz genommen, als sich die Tür zum Gerichtssaal erneut öffnete und eine ältere Dame eintrat. Sie steuerte auf einen der hinteren Sitzplätze zu und setzte sich, holte eine Illustrierte aus ihrer Tasche und begann sich die noch verbleibende Zeit mit dem Studium derselben zu vertreiben. Schließlich erschien auch Igor von einem Justizbeamten begleitet und setzte sich neben Kirstin. Dabei lächelte er ihr aufmunternd zu. Er schien wirklich davon überzeugt zu sein, dass die Geschichte für ihn glimpflich verlaufen würde. Kirstin lächelte etwas verkrampft zurück und widmete sich dann aus Verlegenheit ihren Unterlagen.

      „Meine Damen und Herren, ich eröffne hiermit die Verhandlung.“

      Erschrocken blickte Kirstin auf. Sie hatte sich so in ihre Papiere vertieft, dass ihr entgangen war, dass der Richter den Saal betreten hatte. Der Richter hieß Alexander Koslowski und war Kirstin bereits aus einigen Verhandlungen bekannt. Das Schwierige bei ihm war, dass seine Entscheidungen nie vorhersehbar waren. Er hatte sie immer überrascht. Wo sie ein scharfes Urteil erwartet hätte, zeigte er unerwartete Milde. Ein anderes Mal ließ er ihrem Klienten fast die Höchststrafe angedeihen, wo sie ein minderschweres Vergehen gesehen hatte. Erst in der nächsten Instanz wurde das Urteil wieder teilweise zurückgenommen. Aber genau diese Unwägbarkeit machte Kirstin Sorgen. Der Richter nahm routinemäßig die Personalien auf, verlas die Anklageschrift und fragte dann Igor, ob er noch vorab etwas sagen wollte. Igor nickte und erhob sich, was Kirstin derartig überraschte, dass sie sich nicht vom Fleck rührte und kein Wort herausbrachte. Dies war gegen die Abmachung, die sie getroffen hatten.

      „Sehr geehrter Herr Richter, ich habe Herrn Behrendt“, dabei deutete er auf den Juniorchef, “in meiner Erregung einen Boxhieb versetzt. Dies war völlig unangemessen und ich möchte mich dafür bei ihm von ganzem Herzen entschuldigen. Auch der Alkohol rechtfertigt nicht diese Handlung, die ich aufs äußerste bedauere.“

      Igor senkte schuldbewusst sein Haupt und stand da, wie ein begossener Pudel.

      „Was war das denn?“, dachte Kirstin und starrte Igor verblüfft an. Allerdings verblieb ihr nicht allzu viel Zeit, diese Aussage zu verarbeiten, denn Behrendt jr. erhob sich, um seinerseits eine Erklärung abzugeben.

      „Lieber Igor“, dabei streckte er diesem beide Arme entgegen, „ich danke Dir für deine aufrichtigen Worte, aber nicht du musst dich bei mir entschuldigen, sondern ich mich bei Dir. Ich habe Dich durch meine unbedachten Worte verletzt und deswegen hatte ich diesen Schlag verdient.“

      Kirstin konnte es nicht fassen, jetzt rannen ihm auch noch Tränen über die Wangen. Zum Richter gewandt, setzte er seine Ansprache fort: „Herr Richter, ich ziehe meine Anzeige gegen Herrn Ibramowitsch zurück und bedauere zutiefst, sie mit diesem Fall unnütz beschäftigt zu haben.“ Dann drehte er sich wieder zu Igor, hob erneut beide Arme während der Tränenstrom nicht versiegte: „Und du kannst wieder bei uns anfangen, denn ich nehme die Kündigung zurück.“ Sprachs und marschierte schnurstracks auf Igor zu, einen entgeistert schauenden Staatsanwalt zurücklassend. Igor ging nun seinerseits auf den Juniorchef zu und beide fielen sich in die Arme, wobei nun auch Igor die Tränen herabrannen. Kirstin saß genauso entgeistert auf ihrem Platz wie der Staatsanwalt. Nur der Richter zeigte deutliches Vergnügen und auch die einzige Zuschauerin dieses bewegenden Schauspiels schien hoch erfreut, denn sie ließ, wie sonst nur in der Oper üblich, ein lautes „Bravo!“ hören.

      „Ich glaub, ich bin im falschen Film“, dachte Kirstin gerade noch, als der Richter auch schon kurzen Prozess machte: „Die Verhandlung ist geschlossen!“

      Während Igor und der Juniorchef Arm in Arm unter dem Beifall der älteren Dame den Gerichtssaal verließen, packten die Verbliebenen ihre Akten und strebten dann ihren jeweiligen Büros zu.

      Erik hatte gerade zwei Entenbrustfilets in den Backofen geschoben und wollte sich an die Zubereitung des Dressings für den Feldsalat machen, als aus dem Wohnzimmer die Anfangsakkorde aus den vier Jahreszeiten von Vivaldi erklangen. Jemand rief an, also eilte er über den Flur hinüber in das Zimmer, wo auf dem Mediaschirm unten in einem weiß umrandeten Feld der Name seiner Schwiegermutter zu lesen war. Er nahm die Fernbedienung vom Couchtisch und aktivierte das Bild und zugleich die Kamera, sodass auch die Anruferin ihn sehen konnte. Eine ältere Dame erschien auf dem Schirm, die ihm freundlich zulächelte.

      „Hallo Erik, du bist also tatsächlich wieder zurück aus Madrid.“

      „Ja, am Freitag schon.“

      „Ich will auch gar nicht weiter stören. Kirstin ist wohl noch nicht da?“

      „Nein, sie hatte heute einen Gerichtstermin und wollte noch den Abschlussbericht schreiben. Sie wird so in einer halben Stunde hier sein.“

      „Macht nichts. Ich rufe an, weil wir Euch für Sonntag zum Essen einladen wollen. Dann kannst du uns auch über deinen Aufenthalt in Spanien berichten. So ein Job im Ausland ist doch bestimmt interessant.“

      „Das kann man wohl sagen. Ich habe tatsächlich ein paar gute Neuigkeiten.“

      „Fein. Übrigens, es wird wieder dein Lieblingsgericht geben. Ich hoffe, das ist in deinem Sinne.“

      „Super ! Wir kommen so gegen dreizehn Uhr. Ist das in Ordnung?“

      „Ja und schöne Grüße auch von Papa.“

      „Werde ich ausrichten. Also dann bis Sonntag. Wir freuen uns!“

      Das Bild auf dem Display verschwand. Erik war begeistert, nicht allein, weil er sich mit seinen Schwiegereltern gut verstand, sondern weil seine Schwiegermutter über eine Gabe verfügte, die in seiner Familie nicht sonderlich verbreitet war: sie war eine exzellente Köchin. Leider war Kirstin aus der Art geschlagen und hatte diese Fähigkeit nicht geerbt, was sie aber nicht so recht wahrhaben wollte und mit der ihr eigenen Beharrlichkeit ignorierte. Es war ja nicht so, dass sie nicht kochen konnte, aber an irgendetwas mangelte es fast immer: die Kartoffeln zu fest oder zu weich, zu salzig oder zu lasch, das Fleisch zu zäh oder der Fisch zu locker, dass er auseinander fiel, zu viel oder zu wenig Gewürz. Dagegen war das, was ihre Mutter auf den Tisch brachte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer eine Punktlandung. Und obwohl sich seine Schwiegereltern in den letzten Jahren immer mehr der vegetarischen Küche angenähert hatten, gab es vor allem auf Wunsch von Erik bei diesen Familientreffen Rouladen. Also genau das, wonach ihm nach den Wochen auswärtiger Küche gelüstete. Auch Kirstin würde das gefallen. Heute war wirklich sein Glückstag!

      Meine Eltern konnten ihr Glück nicht fassen. Immer wieder berichtete jeder dem anderen von den wunderbaren Ereignissen des Tages, während sie die Entenbrust mit größtem Appetit vertilgten und so manches Glas Rotwein die